Gebirgsjäger üben für den Ernstfall
Brigadegeneral Maik Keller im Interview: So läuft die Gefechtsübung Berglöwe ab
Wie läuft eigentlich „Berglöwe“, die Großübung der Bundeswehr ab? Brigadegeneral Maik Keller spricht im Interview mit BGLand24.de über den Sinn der Übung, was die Soldaten dabei lernen und wie man eigentlich die Reiter Alpe im Angriff einnimmt und anschließend verteidigt.
Bad Reichenhall - Gebirgsjäger sind dazu ausgebildet, unter extremen Wetterbedingungen und im unwegsamen Gelände kämpfen zu können. Sie sind hochspezialisiert - für Einsätze im Gebirge, Hochgebirge, bitterkalten Umgebungen und in der Wüste. Deshalb sind die Soldaten vor allem am bayerischen Alpenrand verankert. Bad Reichenhall ist der größte Standort der Gebirgsjägerbrigade. Weitere Standorte sind Füssen, Ingolstadt, Mittenwald und Bischofswiesen. So können die Soldaten in den Alpen für den Ernstfall trainieren - Bergsteigen, Klettern und Skibergsteigen gehören zum Alltag. Doch das allein reicht nicht.
Gebirgsjägerbrigade 23 übt für den Ernstfall: Berglöwe
Die Landes- und Bündnisverteidigung rückt wieder mehr in den Fokus, erklärt Brigadegeneral Maik Keller im Gespräch mit BGLand24.de. Die Aneignung der Krim durch Russland hatte Maßnahmen zur Folge, die Deutschland, dessen Verbündete und die NATO ergriffen haben. Unter anderem wurde auch die Präsenz der Bundeswehr in Litauen erhöht. Um sich in der Ausbildung auf mögliche Verteidigungseinsätze vorbereiten zu können, „ist es notwendig, alle Fähigkeiten, die eine Brigade hat, auch in der Praxis abzubilden und zu üben, damit wir als Gebirgsjägerbrigade und Teil des deutschen Heeres unsere Bereitschaft wieder erhöhen, um in der Landes- und Bündnisverteidigung wirken zu können”, so Keller. Deswegen führe man die Übung Berglöwe durch. Als Brigadekommandeur leitet Keller die groß angelegte Übung.
Bundeswehr-Übung Berglöwe 2021




Drei Gebirgsjägerbataillone gehören zur Gebirgsjägerbrigade 23. Das Gebirgsjägerbataillon 231 aus Bad Reichenhall ist der Kern der Übung. „Geübt werden soll aber das ganze System Brigade, heißt neben den Gebirgsjägern auch die Unterstützer, etwa Pioniere, Logistiker und Aufklärer. Nur so kann die Kampftruppe auch in der Landes- und Bündnisverteidigung ihre Wirkung erzielen”, erklärt Keller.
Wie läuft die Übung “Berglöwe” ab?
Doch wie läuft eine großangelegte Übung wie Berglöwe ab? Schließlich sind 1400 Soldaten mit 300 Fahrzeugen beteiligt. Dazu wird neben den Übungsplätzen der Bundeswehr auch das freie Gelände mit einbezogen. „Die Übung hat verschiedenen Phasen. Wir steigern uns vom Leichten zum Schweren. Wir beginnen mit einer sogenannten Verlegung. Das heißt, wir marschieren (Anm. mit den Fahrzeugen) in einen Raum, um von dort aus die weitere Operation, die wir in der Übung durchführen, zu planen. Danach wird es darum gehen, aus diesem Raum wieder zu verlegen, in den Bereich Bad Reichenhall, um dort dann in unserem Szenario anzugreifen: einmal auf das Ristfeuchthorn und dann auf die Reiter Alpe”, das eigentliche Angriffsziel, so Keller. Oben auf dem Hochplateau richte man sich zur Verteidigung gegen einen fiktiven Feind ein. Mit dem komplexen Gelände im Gebirge werde die Übung auch schwieriger. Wetterverhältnisse und Müdigkeit können den Soldaten zusetzen. „Es geht ja nachts auch immer weiter”, so Keller.
Fiktiver Feind fordert Fähigkeiten der Truppe
So eine große Übung braucht eine Rahmenorganisation. Dazu gehöre auch eine Leitung, die die ganze Übung im Blick behalte und auch steuere, erklärt Keller. Auf Entwicklungen werde so reagiert und versucht, „die Übung in ebendiese Richtung zu steuern, wie ich mir das vorstelle”, erklärt Keller, „dass das gelingt, brauchen wir einen Feind.” Eine andere Brigade stellt diesen Feind dar, testet die Wachsamkeit und Sicherung der Truppe, die beübt wird, also das Bataillon 231, und reagiert so, wie es die Leitung braucht. Mit Gefechten provoziere man etwa Reaktionen. Dabei gibt es auch einen Schiedsrichterdienst, „die dann beobachten und bewerten, wie sich die Übungstruppe geschlagen hat”.
Ausgewertet wird täglich, um daraus zu lernen. „Zum Schluss sage ich in einer großen Abschlussbesprechung, was in den einzelnen Phasen gut oder schlecht gelaufen ist und welche Lehren man daraus ziehen muss, um die dann wieder in die Ausbildung einfließen zu lassen. Das heißt, die Übung ist natürlich dazu da, das Gelernte zu üben, aber auch festzustellen, wo noch Defizite sind”, erklärt Keller. So könne man sich wiederum für die Landes- und Bündnisverteidigung besser aufstellen.
Szenario: Ein verbündeter Staat wird angegriffen
Die Übung selbst ist relativ einfach gehalten, wie Keller erklärt. Ein Bündnisverteidigungsszenario, bei dem ein verbündeter Staat angegriffen wird und „wir den Staat unterstützen”. Deshalb verlegen die Soldaten. „Wir rechnen auch noch nicht mit so massiven Feinden, sondern erst einmal mit kleineren Gruppierungen.” Die Soldaten müssen im Übungsalltag die Feindseite aufklären, gegen die sie sich sichern.
„Dazu haben Soldaten ihre Handwaffe, ihre Ausrüstung und Munition, immer am Mann oder an der Frau. Zusätzlich erfordert die Lage permanent verschiedene Tätigkeiten wie das Tarnen der Fahrzeuge, Sichern des Raumes, aber auch logistische Maßnahmen wie die Nachversorgung der Fahrzeuge oder Munition. Darüber hinaus müssen die Soldaten auch jede Gelegenheit nutzen, um zu ruhen oder zu verpflegen, um die Kampfkraft zu erhalten”, so Keller.
Die Soldaten, die führen, haben außerdem Planungsaufgaben für Folgeaufträge. „Insbesondere der Bataillonskommandeur plant den Folgeauftrag mit allem, was dranhängt. Und dann gilt es, wenn der Auftrag klar ist, die praktische Umsetzung zu führen und zu kontrollieren”, so Keller.
Sichtbar für die Bevölkerung wird die Übung vor allem bei den Märschen: die Kolonnen mit 20, 30 Fahrzeugen sind besonders auffällig. „Die Fahrzeuge sind bewaffnet und voll aufgerüstet, inklusive der Soldaten, die aus den Luken schauen und sichern. Das sieht man ja nicht so häufig”, so Keller.
Die Übung im Detail
Der Bataillonskommandeur führt drei Kampfkompanien, eine Versorgungskompanie und eine „schwere” Kompanie zur Unterstützung an. Wenn der Kommandeur einen Auftrag erhält, steigt er in den Planungsprozess ein, setzt einen Befehl um und gibt diesen an die jeweiligen Kompaniechefs weiter. Diese überlegen sich wiederum, wie sie ihre Teilaufträge umsetzen.
„Wenn man beispielsweise das Ristfeuchthorn nimmt, das ein Angriffsziel ist als Voraussetzung dafür, dass das ganze Bataillon auf die Reiter Alpe antreten kann”, sagt Keller, dann “verlegen die Soldaten immer erst einmal in einen Raum in der Nähe des Angriffsziels, um sich dort zu versorgen. Also Sprit, Munition und Verpflegung aufzufüllen. Von dort geht es dann in einen Raum, der unmittelbar am Angriffsziel ist, einen sogenannten Bereitstellungsraum, wo man sich das letzte Mal schüttelt. Dann wird bis an den Fuß des Berges in den Absitzraum verlegt. Hier sitzt die Infanterie von ihren Fahrzeugen ab und greift auf den Berg an.”
Am Ristfeuchthorn habe man als fiktiven Feind Spezialkräfte in doppelter Gruppenstärke oben auf dem Gipfel. „Die letzte Phase ist natürlich unter massiver Feindbedrohung und wird dann auch mit anderen Möglichkeiten, etwa aus der Luft, unterstützt. Da sieht man, wie alle Räder ineinander fassen müssen.”
Wetterverhältnisse beeinflussen Angriffssituation
Auch die Wetterverhältnisse müsse man beachten. „Die Leidensfähigkeit der Gebirgsjäger ist hoch. Die nehmen Regen etwa gelassen hin, weil sie es gewohnt sind, sich draußen im Gebirge zu bewegen. Im Winter hält man das Ganze ja noch bei anderen Temperaturen aus, das ist dann noch unangenehmer”, so Keller. Die Unterstützung aus der Luft werde auch vom Wetter beeinflusst, etwa Flugzeuge oder die Aufklärungsdrohne Luna. Und am Berg spiele das Wetter grundsätzlich eine Rolle. „Wer selber auf den Berg geht, weiß, dass es bei Regen immer gefährlicher und unangenehmer ist.” Regen könne im Angriffsmodus aber auch Vorteile haben. Hängt die Wolkendecke tief, könne man sich auch gedeckter an den Feind annähern.
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