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Eine Handvoll Leben

Frühchen Sila kam in München mit nur 310 Gramm zur Welt – und mit jeder Menge Lebenswillen

Ihr kleines Wunder: Mama Jessica gibt Sila die Flasche. Die Kleine wog bei ihrer Geburt nur 310 Gramm.
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Ihr kleines Wunder: Mama Jessica gibt Sila die Flasche. Die Kleine wog bei ihrer Geburt nur 310 Gramm.

Als Sila vor vier Monaten auf die Welt kam, wog sie nur 310 Gramm. Doch in ihrem winzigen Körper steckt eine ganze Menge Lebenswillen. Heute wiegt die Kleine schon zwei Kilogramm. Sie hat ihren Eltern viel über Wunder beigebracht.

München/Odelzhausen – Auf dem Arm ihres Papas wird Sila sofort ruhig. Gerade hat sie noch geweint, sie hat Hunger. Doch schneller als ihre Mama Jessica das Fläschchen vorbereiten kann, hat ihr Papa Selim sie schon beruhigt. Vorsichtig küsst er sie auf die Stirn, mit ihren winzigen Fingerchen greift Sila in seinen Bart und schließt die Augen. Obwohl sie inzwischen 2120 Gramm wiegt, sieht sie furchtbar klein an der starken Schulter ihres Vaters aus. Als sie dort das erste Mal lag, das erste Mal sein Herz schlagen hörte, war sie vier Tage alt und wog kaum mehr als ein Päckchen Butter.

Sila kam zu früh auf die Welt. Viel zu früh. Die Ärzte hofften um jeden Tag, den sie im Bauch ihrer Mutter weiterwachsen würde. In der 26. Woche wäre es zu gefährlich für das Baby geworden, noch länger zu warten. Als Sila am 13. September in der München Klinik in Harlaching auf die Welt kommt, wiegt sie 310 Gramm. So wenig, wie noch kein Frühchen vor ihr.

Sila wird per Kaiserschnitt und in der Fruchtblase auf die Welt geholt

Sie ist das zweite Kind von Jessica und Selim. Als ihr Baran vor sechs Jahren geboren wurde, zeigte die Waage viereinhalb Kilo. Die Schwangerschaft war unkompliziert. Die 37-Jährige aus Odelzhausen im Kreis Dachau hatte gehofft, dass es bei ihrem zweiten Kind ähnlich laufen würde. Bis sie bei einem Kontrolltermin in der 20. Schwangerschaftswoche erfährt, dass ihr Baby nicht normal wächst. Ärzte sprechen von einer intrauterinen Wachstumsretardierung, erklärt Professor Christoph Scholz, Chefarzt der Frauenklinik. Das kommt gelegentlich vor – aber selten überleben die Babys, wenn es so früh passiert. Behutsam versuchen die Ärzte der München Klinik, Jessica darauf vorzubereiten, dass ihr Kind viel zu früh auf die Welt kommen wird. Und dass es vielleicht nicht überleben wird. „Wir hatten nicht viel Hoffnung“, sagt Jessica rückblickend. Sie wusste ja nicht, was für eine Kämpferin ihre Tochter ist.

Sila muss per Kaiserschnitt und in der Fruchtblase auf die Welt geholt werden. 30 Ärzte und Intensivpflegekräfte sind im OP. „Bei einem so kleinen Kind kann jede Berührung einen Bluterguss auslösen“, erklärt Scholz. Schon ein zum Termin geborenes Baby hat nur 300 Milliliter Blut im Körper. Sila aber viel, viel weniger. Die Fruchtblase wird deshalb erst außerhalb des Körpers ihrer Mutter geöffnet. Jede Berührung, die vermieden werden kann, muss vermieden werden, jeder Handgriff so behutsam wie möglich sein. „Die Organe sind nach zwölf Wochen fertig entwickelt“, erklärt Scholz. „Danach wachsen sie nur noch.“ An Sila ist alles winzig. Ihr ganzer Fuß ist so groß wie ein Fingernagel. Die Augen sind noch die meiste Zeit zu, die Ohren noch nicht richtig ausgebildet, die Stimme ist noch viel zu schwach, um zu schreien. Auch Brustwarzen hat sie noch nicht. Aber sie will leben. Als Jessica ihre Tochter das erste Mal sieht – eine kleine Handvoll Leben mit vielen Kabeln – weiß sie: Sila wird es schaffen. „Ich hab das gefühlt.“

Fünf Tage warten auf die erste Berührung

Die ersten drei Tage geht es nur darum, sie zu stabilisieren, erklärt Professor Marcus Krüger, Chefarzt der Neonatologie. Das Gewicht sei erst mal zweitrangig, alles dreht sich nur um die optimale medizinische Versorgung. „Ihre Lunge hat gut mitgemacht“, sagt Krüger. Selbst der kleinste Beatmungsschlauch ist für Sila noch sehr groß. Ihre Mama muss fünf Tage warten, bis sie sie das erste Mal vorsichtig berühren darf. „Die Haut war noch völlig durchlässig“, erklärt Krüger. Das Risiko, dass Bakterien in den Körper gelangen könnten, ist zu groß. Nach ein paar Tagen, wird Sila ihren Eltern für ein paar Minuten auf die Brust gelegt. Dass sie diese Verbindung aufbaut, ist sehr wichtig – manchmal sogar lebensentscheidend, erklärt Scholz.

Vier Monate bleibt Sila in Harlaching. Sie ist acht Tage alt, als sie operiert werden muss. Ihr Darm arbeitet noch nicht, wie er soll, es kommt zum Darmdurchbruch. Auch das übersteht die Kleine. Ihre Eltern sind den Ärzten dankbar – für jedes Gespräch, jede Frage, die sie zu allen Tages- und Nachtzeiten stellen durften. Vor allem aber dafür, was sie medizinisch leisten. „Das war so viel mehr als gute Arbeit“, sagt Jessica.

Fast immer an Silas Seite ist Lara Hilger. Die 25-Jährige ist Kinderkrankenpflegerin auf der Intensivstation in Harlaching. Sie wickelt Sila mit winzigen Windeln, badet sie das erste Mal – da wiegt das Mädchen 800 Gramm. Sie erklärt Silas Eltern jeden Handgriff. Am 4. Januar dürfen sie ihr Wunder endlich mit nach Hause nehmen.

Stolz auf Sila: Ihre Eltern und ihr Bruder Baran in der Klinik mit den Chefärzten Marcus Krüger (links) und Christoph Scholz sowie Kinderpflegerin Lara Hilger.

„In unserer Heimat Mazedonien steht Sila für mächtig“

Von einem normalen Alltag ist die Familie noch weit entfernt. Sila hat noch einen künstlichen Darmausgang. Ihre Eltern müssen ihre Atmung genau im Blick behalten – und noch oft zur Kontrolle ins Krankenhaus. Aber die Kleine wächst und entwickelt sich gut. „Sie hat mich ruhiger gemacht“, sagt Jessica nachdenklich. „Früher war ich eine Perfektionistin, alles musste immer wie geplant laufen.“ Sila hat ihr beigebracht, dass Wunder immer ungeplant passieren.

Am ersten Tag ihres Lebens hatte Sila noch keinen Namen. „Wir konnten uns nicht einigen“, erzählt ihre Mama. Dann fiel den beiden ein Vorschlag ein, den ihr Schwiegervater am Anfang der Schwangerschaft gemacht hatte. „In unserer Heimat Mazedonien steht Sila für mächtig“, erklärt Jessica. Beide blickten auf diesen winzig kleinen Menschen, der so sehr kämpfte, um leben zu dürfen. „Kein Name hätte besser gepasst.“

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