Trotz Industriestrompreis
Wirtschaftsstandort Deutschland leidet: „Wir sehen eine Deindustrialisierung“
Deutschlands Attraktivität als Wirtschaftsstandort nimmt rapide ab. Das ergab eine neue Umfrage. Im Ausland winken den Unternehmen hingegen teilweise hohe Subventionen.
München - Der Industriestandort Deutschland wird immer unattraktiver. Das ergab eine neue Umfrage der Beratungsfirma Deloitte. Zwei Drittel der von ihr befragten Unternehmen hätten bereits Teile ihrer Wertschöpfung ins Ausland verlagert. Vor allem leiden Sektoren der Industrie, die in Deutschland eine lange Tradition haben: Im Maschinenbau und im Bereich der Automobile gehen demnach besonders viele der befragten Entscheidungsträger von einer weiter sinkenden Standortattraktivität aus.
45 Prozent der befragten Betriebe erwarten, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestandorten weiter zurückfallen wird. Unter den Unternehmen im Maschinenbau und der Autoindustrie sind es sogar 65 Prozent, von denen wiederum knapp zwei Drittel mit einem deutlichen und ein Drittel mit einem leichten Attraktivitätsverlust rechnen.
Unternehmen verlagern Teile der Produktion ins Ausland
67 Prozent der befragten Unternehmen haben auf die Lage bereits mit einer moderaten bis starken Verlagerung ihrer Wertschöpfungskette reagiert. Bislang konzentrieren sich diese Verlagerungen größtenteils auf die Bauteilfertigung, so die Befragung. Geplante Verlagerungen beträfen jedoch zunehmend auch „hochwertigere Wertschöpfungsteile“ wie die Vormontage und die Produktion im Allgemeinen.
Die Schwachpunkte des Wirtschaftsstandorts Deutschlands sind weiterhin: hohe Energiekosten, ein hohes Lohnniveau, ein schlechteres Marktumfeld als im Ausland und zu viel Bürokratie. „Das Vertrauen in den Standort Deutschland ist erschüttert“, sagt Deloitte-Industrieexperte Florian Ploner, einer der Autoren der Studie, dem Handelsblatt. Die Stimmung bei den Unternehmen habe sich in den letzten sechs Monaten nochmal verschlechtert. Vor allem wegen der hohen Energiekosten gebe es in der Industrie „erhebliche Schmerzen“, sagt Ploner der Wirtschaftszeitung. Sein Fazit: „Wir sehen eine Deindustrialisierung“.
Wer wurde für die Studie befragt?
Die Beratungsfirma Deloitte hat nach eigenen Angaben im September mit Unterstützung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie 108 „Lieferketten-Verantwortliche“ in Großunternehmen (83 Prozent) und kleinen und mittelgroßen Unternehmen (17 Prozent) befragt.
Auch der zuletzt neu geschaffene Industriestrompreis hilft Industrieunternehmen nicht wirklich, meint Experte Florian Ploner. Zwar soll der Industriestrompreis in den kommenden fünf Jahren Entlastungen von insgesamt 28 Milliarden Euro bringen. Da er aber auf fünf Jahre begrenzt ist, bringe der vergünstigte Strompreis nicht genügend Planungssicherheit für die Unternehmen, sagt Ploner dem Handelsblatt.
Autobauer zieht es nach Asien und in die USA
Den Maschinenbau und die Automobilindustrie zieht es aus den genannten Gründen vor allem nach Asien und in die USA. In den Vereinigten Staaten winken Unternehmen saftige Subventionen durch den Inflation Reduction Act (IRA). In den anderen Branchen gibt es zwar auch eine Trendbewegung nach Asien und Amerika. Es werden aber auch andere EU-Länder als Investitionsziele beliebter. Unter den EU-Ländern werden Polen, Rumänien und Tschechien besonders häufig genannt.
Die große Mehrheit der befragten Unternehmen geht laut der Umfrage davon aus, dass Deutschland im aktuellen Subventionswettlauf mit den USA und China verlieren wird. Eine Mehrheit von 36 Prozent betont, dass Deutschland hier aktiver werden müsse. Trotzdem fordern die Unternehmensvertreter - insbesondere im Maschinenbau und der Autoindustrie - nicht generell mehr Subventionen oder Investitionsanreize, sondern vor allem Bürokratieabbau, wettbewerbsfähige Energiepreise sowie Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung. (mit Material der AFP)
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