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Schlechte Wirtschaftslage

DIW-Präsident über Migration: „Menschen mit geringen Qualifikationen sind eine riesige Chance“

Marcel Fratzscher spricht im Interview darüber, wie wir den Fachkräftemangel beheben und warum er die Diskussion um die Bezahlkarte „grauenvoll“ findet.

Die deutsche Wirtschaft wächst im kommenden Jahr noch weniger als gedacht. Am Mittwoch, 21. Februar, stellt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Jahreswirtschaftsbericht vor. Aus ihm geht hervor, wie gering das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2024 tatsächlich ausfällt.

Schon vorab nennt Habeck die wirtschaftliche Lage Deutschlands „dramatisch schlecht“. Ein Grund dafür sei auch der Fachkräftemangel, den der Grünen-Politiker als „Wachstumsbremse“ bezeichnet.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher spricht über Chancen für eine stärkere Wirtschaft

Mit Lösungen für den Fachkräftemangel beschäftigt sich Prof. Marcel Fratzscher. Er ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Interview mit BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA, spricht er über drei Bereiche, in denen Chancen für eine stärkere Wirtschaft liegen: Migration, erwerbstätige Mütter und die Zufriedenheit der nachfolgenden Generationen.

Im Interview mit BuzzFeed News Deutschland verrät DIW-Präsident Marcel Fratzscher, wie wir Arbeitswelt verändern müssen. (Archivbild)
Herr Fratzscher, wenn Sie sich überlegen müssten, in welches Land Sie einwandern – würden Sie sich für Deutschland entscheiden?
Aus dem Bauch heraus, nein. Deutschland hat keine gute Willkommenskultur und es geht auch darum, wo man sich wohlfühlt.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel die grauenvolle Diskussion um die Bezahlkarte. Die lässt den Eindruck entstehen, Menschen kommen nur wegen der Sozialleistungen zu uns. Aber Personen, die verzweifelt sind, die Schutz suchen, kommen zu uns, egal wie hoch die Sozialleistungen sind. Das Einzige, das wir mit der Bezahlkarte bewirken, ist, dass die IT-Programmiererin aus Indien oder der Ingenieur aus Brasilien sagen: „Das tue ich mir nicht an. Ich gehe lieber dahin, wo ich als Mensch ordentlich behandelt werde.“ 
Migrationsexperten sprechen von 1,5 Millionen Zuzügen, die wir pro Jahr brauchen, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. Das sind nicht nur IT-Programmiererinnen und Ingenieure, oder?
Wir haben aktuell zwei Millionen offene Stellen in Deutschland und das betrifft alle Branchen. Dafür brauchen wir hoch-, gering- und nicht qualifizierte Beschäftigte. Der Schlüssel ist nicht die Qualifikation, sondern wie sich die Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren. 
Also brauchen wir kein Fachkräfteeinwanderungsgesetz?
Nicht wenn es so restriktiv ist: Warum müssen Zuwanderer Deutsch können, mindestens 41.000 Euro im Jahr verdienen oder einen Master-Abschluss haben? Wir bauen so viele Hürden auf, dass es für viele Menschen unattraktiv wird, nach Deutschland zu kommen. 
Was brauchen wir dann?
Wir brauchen junge, motivierte Menschen, die sich in Deutschland weiterbilden wollen. Die meisten Menschen, die nach Deutschland kommen, sind zwischen 20 und 30 Jahren alt. Auch mit geringen Qualifikationen sind sie eine riesige Chance, weil sie noch ein langes Berufsleben vor sich haben. Diesen Menschen können wir Perspektiven bieten.
Was müssen wir tun, um den über drei Millionen Schutzsuchenden in Deutschland eine Perspektive zu bieten?
Wir müssen unser Ausbildungssystem flexibler gestalten. Statt zuerst einen Sprachkurs und eine Zusatzqualifikation zu verlangen, sollten wir Geflüchteten direkt eine Stelle oder einen Ausbildungsplatz vermitteln. Dann dauert die Ausbildung eben anderthalb Jahre länger und ein Drittel davon ist ein Sprachkurs. Uns muss klar sein: Es ist besser, es kommen zehn Prozent mehr Menschen zu uns und alle davon haben Chancen Arbeit zu finden, als wenn zehn Prozent weniger zuwandern und die sich nicht integrieren.
So, wie es aktuell der Fall ist?
Wir haben viele Zuwanderer, die sich nicht integrieren. Das Problem liegt nicht bei denen, sondern bei uns. Das zeigt der Vergleich mit den Niederlanden: Auch dorthin sind Ukrainer und Ukrainerinnen geflüchtet, viele mit einem ähnlichen Hintergrund wie in Deutschland. Mittlerweile haben 50 bis 60 Prozent von ihnen Arbeit. In Deutschland sind es nur 25 Prozent.

Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschland.

„Wir brauchen junge, motivierte Menschen, die sich in Deutschland weiterbilden wollen“, findet der Ökonom Marcel Fratzscher (Symbolbild).

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Arbeitskräftemangel: Wie uns Chancengleichheit helfen kann

Welche anderen Möglichkeiten haben wir, zwei Millionen offene Stellen zu besetzen? Müssen die 66 Prozent der erwerbstätigen Mütter, die Teilzeit arbeiten, aufstocken?
Müssen tun sie nichts. Aber sie sollten die Chance dazu haben. Chancengleichheit ist essenziell, und wenn sie fehlt, schadet das der Wirtschaft massiv. Wir brauchen finanzielle Anreize, damit sich Arbeiten für Frauen mehr lohnt. Dadurch bringen wir viel mehr von ihnen in den Arbeitsmarkt.
Was behindert die Chancengleichheit?
Das Ehegattensplitting zum Beispiel, also der Steuervorteil von verheirateten Paaren, der mit dem Einkommensunterschied größer wird. Wir müssen das Ehegattensplitting reformieren. Eine Lösung wäre beispielsweise ein Familiensplitting, also dass Steuervorteile proportional mit der Anzahl der Kinder wachsen anstatt mit dem Einkommensunterschied. 
Wer kümmert sich dann um die Kinder und Pflegebedürftigen? Die Deutschen leisten jedes Jahr unbezahlte Care-Arbeit im Wert von 825 Milliarden Euro. Das meiste davon übernehmen Frauen.
Chancengleichheit funktioniert nur, wenn wir das Pflegesystem und die Kinderbetreuung ausbauen. So haben Frauen die Möglichkeit, mehr zu arbeiten, mehr zu verdienen und mehr Steuern zu zahlen. Das stärkt die Wirtschaft. Es ist effizienter, eine Fachperson kümmert sich um zehn Kinder, als zehn Mütter bleiben bei ihrem Kind zu Hause. Wenn wir Kinderbetreuung stärken, können wir mehr Menschen entlasten und damit mehr in Arbeit bringen. Das heißt nicht, dass es ein Zwang ist. Aber wirklich jede Person sollte eine Wahl haben. Besonders wichtig ist das für alleinerziehende Berufstätige, von denen es immer mehr gibt und die Belastungen noch viel stärker spüren.
Care-Arbeit und Haushalt bleiben oft an Frauen hängen. (Symbolbild)

Unsere Autorin erzählt, warum sie sich nicht mehr darauf freuen kann, Kinder zu bekommen

Fratzscher über die Generation Z: „Das ist kein Egoismus, das ist Selbstschutz“

Viele Beschäftigte in Deutschland leiden unter Belastung. Laut einer aktuellen Studie befürchten 61 Prozent von ihnen sogar einen Burnout – 30 Prozent hatten schon einen. Woran liegt das?
Ein Grund ist die Entgrenzung der Arbeit. Homeoffice, Digitalisierung und flexible Arbeitszeiten sehen viele Beschäftigte positiv. All das hat aber auch gefährliche Seiten. Arbeit bleibt nicht mehr begrenzt und jeder und jede ist praktisch immer erreichbar. Ein zweiter Punkt sind die veränderten Anforderungen an Arbeit. Unsere Jobs sind viel komplexer geworden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen ständig dazulernen, ihre Aufgaben verändern sich. Das setzt viele Menschen unter Druck.
Also hat die Generation Z recht, wenn sie eine bessere Work-Life-Balance fordert?
Wir sollten uns alle eine Scheibe von der Generation Z abschneiden. Alte weiße Männer haben auch schon in meiner Jugend geklagt, wie faul die junge Generation sei. Das müssen wir einfach ignorieren. Kriege, Klimakrise und Corona-Pandemie – selten hatte eine Generation so schwierige Startchancen wie die Gen Z. Das ist kein Egoismus, das ist Selbstschutz. 
Wie muss sich die Arbeitswelt verändern, damit nicht nur die Gen Z, sondern alle zufrieden, gesund und damit ja auch leistungsfähig bleiben?
Die Arbeitswelt muss mehr auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten eingehen und ihre Wünsche nach Arbeitszeit, Arbeitsort und Verantwortung beachten. Die Menschen, die weniger arbeiten wollen, sollen weniger arbeiten. Natürlich schaffen sie in vier Tagen nicht genauso viel wie in fünf Tagen. Aber wenn wir die steigende Anzahl an Krankheitstagen und die zunehmende Zahl von erwerbsunfähigen Menschen einbeziehen, wird klar: Es ist wirtschaftlich sinnvoll, dass Menschen so viel arbeiten, wie sie möchten.
Pflege, Kinderbetreuung, psychische Gesundheit: Hat die Wirtschaft diese „emotionalen“ Themen zu sehr vernachlässigt?
Darauf muss in Zukunft der Fokus liegen. Mich ärgert, dass viele Unternehmen immer mit dem Finger auf die Politik zeigen. Sie sind verantwortlich dafür, dass ihre Beschäftigten gesund und zufrieden sind. Das kann bedeuten, Geld in die Qualifikation von Zuwanderern zu stecken, flexible Arbeitszeiten anzubieten oder digital zu werden, damit Eltern von zu Hause arbeiten können.

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Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka / Sebastian Gollnow

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