„Europäischer Starlink“
Deutschlands Rolle bei IRIS2 – Wie die Politik das neue Space Race verliert
Elon Musks „Starlink“ versorgt die halbe Welt mit Internet. Jetzt will die EU nachziehen. Das „IRIS2“-Projekt soll Europas Stellung im Weltall stärken – diese Rolle spielt Deutschland dabei.
Brüssel – Die Raumfahrtbranche verändert sich. Laut Marco Fuchs, dem Vorstandsvorsitzenden des Satellitenbauers OHB, geht es der Industrie „gut, sehr gut“, zahlreiche neue Wettbewerber hätten den Markt vergrößert. Auf EU-Ebene scheint die Zeit für ein gemeinsames Großprojekt gekommen zu sein. „IRIS2“ soll die Nachfrage nach sicheren Verbindungen und höherer Bandbreite beantworten. Ein Problem dabei: Deutschland könnte eine viel größere Rolle einnehmen.
IRIS2 – die Antwort auf den wachsenden Bedarf von Hyperkonnektivität
„Unsere Welt bewegt sich in eine neue digitale Ära. Unsere Wirtschaft und Sicherheit sind zunehmend von einer sicheren und widerstandsfähigen Konnektivität abhängig.“ So erklärte die Europäische Kommission die Notwendigkeit des IRIS2-Projekts. IRIS2 (Kurzform von ‚Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite‘) ist ein neues, in den Weltraum ausgelagertes System zur sicheren Verknüpfung. Konkret handelt es sich um ein (noch theoretisches) Satellitennetzwerk, das die europäischen Regierungen bei einer Bandbreite von Aufgaben unterstützen soll. Zum Beispiel:
- Grenzkontrolle
- Krisenmanagement
- Überwachung von Geo-Daten
- Sichere Kommunikation (etwa in europäischen Botschaften)
Zwar entsteht bei IRIS2 gern der Vergleich zum US-amerikanischen Starlink, jedoch gibt es dabei einige gravierende Unterschiede. Es geht vorrangig um Europas Unabhängigkeit: Die Satelliten kommen ausschließlich für europäische Belange zum Einsatz. Laut der EU-Kommission soll IRIS2 eine „weltraumbasierte Säule“ für ein digitales, widerstandsfähiges und sicheres Europa sein. Außerdem soll sie den europäischen Wettbewerb und die Weiterentwicklung der Gesellschaft fördern.
Die deutsche Beteiligung an IRIS2
Um zu erklären, inwiefern Deutschland bei dem Projekt mitwirkt, eignet sich ein Blick auf den Entstehungsprozess. Laut dem Handelsblatt soll ein Industriekonsortium in Kürze ein verbindliches Angebot über die technische Ausgestaltung von IRIS2 vorlegen, es wirkt also federführend. Neben Satellitenherstellern wie Eutelsat und Hispasat sind auch der französische Technologiekonzern Thales und Airbus (das zum Teil Deutsch ist) in diesem Konsortium vertreten.
Über verschiedene Ausschreibungen will die Europäische Union festlegen, welche Unternehmen aus welchen Ländern in welchem Umfang an IRIS2 beteiligt sind. Die erste Ausschreibung, bei der es um die Hardware ging, ist bereits gelaufen. Insider-Informationen zufolge haben hier zum Beispiel der deutsche Satellitenhersteller OHB (eines der größten Weltraumunternehmen Europas) und die Deutsche Telekom den Zuschlag bekommen. Trotzdem habe Deutschland nicht die bei anderen EU-Projekten geltende Quote erreicht, was bei einigen Vertretern von Wirtschaft und Politik für ein gewisses Maß an Aufregung gesorgt hat – berichtete jedenfalls das Handelsblatt.
„Beteiligung der deutschen Industrie muss dringend geklärt werden“
Zum Beispiel hatte die Ausschreibung den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) auf den Plan gerufen. Matthias Wachter, der Raumfahrtbeauftragte des Bundes, sagte dazu, die deutsche Industrie sollte „mit ihrer Expertise und ihrem absehbaren Bedarf an Konnektivitätslösungen eine führende Rolle beim Aufbau von IRIS2 spielen.“ Aus dem Wirtschaftsministerium kam im Dezember gar ein Brandbrief, gerichtet an die ausführende Unternehmen. Darin hieß es: „Die Beteiligung der deutschen Industrie und deren Anteil an der Wertschöpfung müssen dringend geklärt werden.“
Die Idee für ein europäisches Satellitennetzwerk soll von Thierry Breton getragen worden sein, der aktuell EU-Binnenmarktkommissar ist – und außerdem „enge Verbindungen“ zum französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire habe. „Man darf nicht vergessen, dass Breton Franzose ist“, zitiert das Handelsblatt Johann-Dietrich Wörner, den Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. „Auch wenn das eigentlich keine Rolle bei einem EU-Kommissariat spielen sollte.“
Bei der Software schlägt Deutschlands Stunde – aber die Politik braucht gemeinsame Linie
Allerdings lässt diese Ansichtsweise außer Acht, dass noch Ausschreibungen ausstehen. Bei der Software zum Beispiel, so teilte ein Vertreter der Raumfahrtbranche auf IPPEN-Anfrage mit, liege die große Stärke der deutschen Raumfahrtunternehmen. Hier geht es etwa um Services bei Satellitennutzung, um Cloud-Anwendungen, um Datenverarbeitung. Da seien die deutschen Unternehmen besonders stark – es bestehen „hohe Hoffnungen“, da noch an Bord zu kommen.
Dafür gebe es jedoch die Voraussetzung, dass die deutsche Politik sich konkrete Gedanken darüber macht, welche Aspekte der IRIS2-Funktionalität sie nutzen möchte. Grenzschutz ist eine Sache, das Umweltministerium könnte sich für Geodaten interessieren, beim Innenministerium gebe es einen Bedarf für die Polizei – aber von der Bundesregierung fehle die gemeinsame Linie, was bei IRIS2 bestellt werden soll. „Wenn das passieren würde, wäre es viel leichter, einen Pitch zu erstellen und diesen Pitch dann auch zu gewinnen“, teilte der Branchenvertreter mit.
Nach aktuellem Stand ist geplant, dass die ersten Dienste von IRIS2 bereits 2024 ausgeliefert werden sollen. Die volle Leistungsfähigkeit soll IRIS2 bis 2027 erreichen.
Rubriklistenbild: © IMAGO / ZUMA Wire Joshua Conti/Ussf
