Stromimporte kein Grund zu Sorge
Spahn-Post zur Atomkraft: Habeck hat nicht um Energie aus Frankreich „gebettelt“
Jens Spahn (CDU) behauptet auf einer Plattform, dass der Wirtschaftsminister Frankreich um Energie angefleht habe, bevor er die Atomkraft aufgab. Dies ist jedoch nicht wahr - tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.
Berlin – Das Thema Atomkraft erhitzt in Deutschland weiterhin die Gemüter. Die Union will nach den Neuwahlen im Februar 2025 bei einer Regierungsbeteiligung die Betreiber der Atomkraftwerke um eine Einschätzung bitten, ob sie denn wieder ans Netz gebracht werden könnten. Dabei haben sich diese bereits skeptisch geäußert. Entsprechend hat auch schon der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz eingeräumt, dass die Kernkraft in Deutschland vermutlich wirklich Geschichte ist. Stattdessen will er auf die Kernfusion als Zukunftstechnologie setzen.
Jens Spahn setzt Post auf Twitter ab: Deutschland habe Frankreich um Strom gebeten
Hartnäckig hält sich die Behauptung aber auch innerhalb der CDU, das AKW-Aus habe dazu geführt, dass Deutschland mehr Strom importieren müsste als vor dem Ende der Atomkraft. Jüngstes Beispiel: Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn schreibt auf X (ehemals Twitter): „Um Atomstrom aus Frankreich betteln. Aber Kernkraftwerke in Deutschland abschalten. Die grüne Energiepolitik ist voller Widersprüche und hat unserer Wirtschaft nachhaltig geschadet!“
Um Atomstrom aus 🇫🇷 betteln. Aber Kernkraftwerke in 🇩🇪 abschalten. Die grüne Energiepolitik ist voller Widersprüche und hat unserer Wirtschaft nachhaltig geschadet! Das Schreiben an die franz. Energieministerin zeigt deutlich, dass bei der Abschaltung der Kernkraftwerke grüne…
— Jens Spahn (@jensspahn) November 27, 2024
Anlass des Posts ist ein Artikel in der Bild-Zeitung, indem über einen Brief von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an seine Amtskollegin Agnès Pannier-Runacher berichtet wird. Darin fragt Habeck die französische Energieministerin in dem vom 8. August 2022 datierten Brief: „Du sagtest, dass das Ziel der französischen Regierung ist, zum 1. November 2022 40 Gigawatt AKW-Leistung und zum 1. Januar 2023 50 Gigawatt am Netz zu haben. Kannst Du mir bestätigen, dass ich das richtig erinnert habe?“
Die Bild-Zeitung und Jens Spahn schließen daraus, dass Habeck prüfen wollte, ob Frankreich nach der Abschaltung der Atomkraftwerke genug Strom haben würde, um Deutschland mitzuversorgen. Die Atomkraftwerke sind in Deutschland am 15. April 2023 vom Netz gegangen.
Deutschland hat 2022 mehr Strom nach Frankreich exportiert als andersrum – nach AKW-Aus wendete sich das Blatt
Spahn und Bild-Zeitung behaupten weiter, dass nach dem Abschalten der Atomkraftwerke in Deutschland der Import von Atomstrom aus Frankreich massiv gestiegen sei. Das stimmt teilweise auch (im April 2023 hat Deutschland aber mehr Strom nach Frankreich exportiert, als importiert), allerdings war das nach Darstellung des Habeck-Ministeriums nicht Gegenstand des Briefs.
Das erläutert das Wirtschaftsministerium öffentlich in einer Reaktion auf den Spahn-Post: „Die Darstellung trifft nicht zu. Genau andersrum ist es richtig: Es ging nicht um den Import von französischem Strom nach Deutschland, sondern um die Frage des Exports nach Frankreich, um die französische Stromversorgung zu sichern. Bundesminister Habeck musste seinerzeit berechnen lassen, wie viel Strom Deutschland an Frankreich im Winter 22/23 liefern musste, um die Ausfälle der störanfälligen französischen AKWs zu kompensieren.“
Die Darstellung trifft nicht zu. Genau andersrum ist es richtig: Es ging nicht um den Import von französischen Strom nach Deutschland, sondern um die Frage des Exports nach Frankreich, um die französische Stromversorgung zu sichern. Bundesminister Habeck musste seinerzeit 1/2
— Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (@BMWK) November 27, 2024
Das lässt sich auch unabhängig überprüfen: Wie aus den Energy Charts für Europa hervorgeht, hat Deutschland im Jahr 2022 durchgängig mehr Strom nach Frankreich geliefert. Im November 1,48 Terrawattstunden, im Dezember 2,02 TWh, im Januar 2023 1,66 TWh, im Februar 2023 1,12 TWh und im März 1,42 TWh.
Allerdings kippte das nach dem Abschalten der Atomkraftwerke, da lieferte Frankreich tatsächlich mehr Strom nach Deutschland als andersherum. Im Gesamtjahr 2023 hielten sich die Stromimporte und -exporte zwischen den beiden Ländern allerdings ungefähr die Waage: Deutschland hat 8,92 TWh nach Frankreich exportiert und 9,34 TWh aus dem Nachbarland importiert.
Viel mehr importiert hat Deutschland aus Dänemark, wo der Anteil Erneuerbarer Energien besonders hoch ist. 2023 haben die Dänen uns mit über 15 TWh Strom versorgt. Viel Strom haben wir auch aus den Niederlanden bekommen, wo der Anteil der Atomenergie nur drei Prozent der Stromerzeugung ausmacht. Die Norweger haben auch nach Deutschland exportiert, dort wird sehr viel Strom aus Wasserkraft erzeugt. Insgesamt stammte 83 Prozent des importierten Stroms aus den skandinavischen Ländern.
Wirtschaftsinstitut klärt auf: Deutschland kann eigenen Strombedarf auch nach AKW-Aus decken
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat das Thema im Sommer daher auch aufgegriffen. „Dieser Importüberschuss ist aber kein Zeichen dafür, dass der deutsche Kraftwerkspark nicht mehr ausreicht, die eigenen Bedarfe zu decken. Neben der zunehmenden Anzahl erneuerbarer Energien standen im vergangenen Jahr auch in Zeiten, in denen fleißig importiert wurde, nicht nur bestehende Kohlekraftwerke, sondern auch ausreichende Gaskapazitäten zur Verfügung“, erklärt das IW in einer Nachricht im Juni 2024.
„Strom wird schlichtweg zu den Zeiten importiert, in denen der Strompreis in den Nachbarländern niedriger ist und die grenzüberschreitenden Leitungen ausreichend freie Kapazität aufweisen, um diesen nach Deutschland zu leiten. Dadurch können Importe den Strompreis an der Börse zeitweise absenken, wenn günstiger Strom in den Nachbarländern zur Verfügung steht.“ Wie das Wirtschaftsinstitut ebenfalls erläutert, war der Strom, den Deutschland importiert hat, meistens grün (aus Solar-, Wasser- und Windkraft), weil dieser besonders günstig ist. 73 Prozent des importierten Stroms stammte aus diesen Quellen.
Mehr Stromimporte aus Europa sind kein schlechtes Zeichen: Strompreis wird dadurch gesenkt
„Die gestiegenen Stromimporte sind daher kein Grund zur Sorge. Stattdessen sollten wir das günstige Stromangebot aus den europäischen Partnerländern begrüßen und die nötigen Leitungskapazitäten weiter ausbauen“, heißt es im Fazit des IW.
Deutschland ist also trotz Abschalten der Atomkraftwerke in der Lage, seinen eigenen Strombedarf ausreichend zu decken. Der Stromhandel zwischen den europäischen Ländern ist schlichtweg ein Weg, den Strompreis in ganz Europa zu senken und dafür zu sorgen, dass der Strommix möglichst häufig aus grünen Quellen stammt. Wenn der Wind also in Deutschland nicht weht, dafür in Norwegen, dann bietet der internationale Handel eine Möglichkeit, weiterhin den günstigen Windstrom zu beziehen, bevor man Kohle- und Gaskraftwerke anzapft.
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