Tiefstpreise bringen Solarfirmen in Not
Panik in Europas Solarindustrie: Führte Photovoltaik aus China zu plötzlichem Preissturz?
Die Preise für Solaranlagen sind stark gefallen. Viele vermuten eine Schwemme subventionierter Billigmodule aus China. Das Problem ist ohne teure Förderung in Europa schwer zu lösen.
Der Sommer war unschön für die Photovoltaik-Industrie in Europa. Die Preise für Solaranlagen stürzten binnen weniger Monate auf ein Rekord-Tief, manche Hersteller bedroht das bereits in ihrer Existenz. Im Vergleich zum Januar liegen die Preise heute um knapp 30 Prozent niedriger, bei 15 Cent pro Watt Leistung.
Der Schuldige liegt nach Ansicht vieler in dem Sektor in Fernost: In europäischen Lagern stapelten sich Solarmodule aus China mit einer geschätzten Kapazität von 40 Gigawatt (GW), teilte der Branchenverband European Solar Manufacturing Council (ESMC) im September mit. Das entspreche der gesamten Kapazität der in Europa 2022 neu installierten Anlagen. „Und die Ankündigungen für neue Produktionskapazitäten in China reißen nicht ab; immer mehr Unternehmen nehmen neue Produktionslinien in Betrieb, entgegen allen vernünftigen Geschäftsregeln“, kritisierte der ESMC, dem etwa 70 Unternehmen angehören. Das Problem: In China gibt es bereits Überkapazitäten, sodass immer mehr überschüssige Solaranlagen und Zellen in den Export gehen, auch nach Europa.
China dominiert die weltweite Solarindustrie; 2022 kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 87 Prozent der nach Deutschland importierten Photovoltaikanlagen aus der Volksrepublik. In anderen Ländern Europas ist es ähnlich.
Europas Solarfirmen verzweifeln an Preisabsturz und Überangebot aus China.
„Die gesamte europäische Solarindustrie wird seit einigen Monaten Opfer eines noch nie da gewesenen Preiskriegs“, wetterte Gunter Erfurt, Vorstandschef des Schweizer Photovoltaikherstellers Meyer Burger, kürzlich im Interview mit dem Handelsblatt. Meyer Burger produziert Photovoltaikanlagen unter anderem im sächsischen Freiberg und in Thalheim bei Bitterfeld. Chinesische Anbieter verkauften ihre Module in Europa unter den Produktionskosten in China – und damit sehr deutlich unter denen europäischer Hersteller, so Erfurt. Das Ziel, wieder eine europäische Solarindustrie aufzubauen, sei so nicht mal annähernd erreichbar.
40 Unternehmen aus der Branche, darunter auch Meyer Burger sowie der deutsche Modulproduzent Heckert Solar und das Start-up Nexwafe, forderten daher in einem gemeinsamen Brief an die EU Unterstützung: „Wenn jetzt nichts passiert, ist das Risiko groß, dass europäische Solarproduzenten in den nächsten Monaten massive Probleme bekommen werden, manche sogar insolvent gehen.“ Die Firmen fürchten eine Wiederholung des Niedergangs von vor zehn Jahren. Damals gingen die deutschen Pioniere des deutschen Photovoltaik-Booms – Solarworld, Q-Cells, Conergy und andere – unter dem ersten Ansturm chinesischer Solarhersteller zugrunde.
Johan Lindahl vom ESMC warnte kürzlich auf einer Konferenz, dass die durchschnittliche Kapazitätsauslastung der Fabriken in Europa bereits auf 35 Prozent gesunken sei – und manche Hersteller auf ihren Lagerbeständen sitzenblieben, weil diese nach jetzigen Preisen zu teuer eingekauft wurden und sich nur mit großem Verlust verkaufen ließen. Der Verband forderte daher die EU auf, diese Lagerbestände aufzukaufen – um sie vielleicht später für den Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen.
Billige Solaranlagen: Abhängigkeit von China enorm
Doch es gibt hier keine einfachen Lösungen. In keinem Segment der Energiewende ist die Abhängigkeit von China so groß wie bei der Photovoltaik, und das bei Komponenten noch mehr als bei den kompletten Anlagen. Bei Wafern – dünnen Siliziumscheiben, die mithilfe von Sonnenstrahlen den Strom erzeugen – liegt Chinas Weltmarktanteil laut einer aktuellen Studie der Stiftung Klimaneutralität gar bei irren 97 Prozent. Bei Solarzellen sind es 85 Prozent. Und auch beim Rohstoff Polysilikon sei die Abhängigkeit von China mit 79 Prozent Weltmarktanteil „teilweise kritisch“. Auf diese riesigen Marktanteile Schutzzölle zu erheben, würde die so dringend gebrauchte Energiewende massiv verteuern – und damit voraussichtlich ausbremsen.
Stattdessen will die EU die Abhängigkeiten reduzieren; bis 2030 sollen nach dem geplanten NetZero Industry Act der EU-Kommission mindestens 40 Prozent aller Photovoltaikanlagen im europäischen Inland produziert werden. Gigafabriken sollen in Frankreich, Italien und Deutschland entstehen. Wie das gehen soll, ist unklar. Doch ohne gezielte Förderung wäre es Europas Herstellern kaum möglich, mit den niedrigeren Preisen in den USA und in China zu konkurrieren – die in beiden Staaten durch hohe staatliche Subventionen ermöglicht werden. Und solche Subventionen kosten viel Geld und sind bei Konservativen und Liberalen unbeliebt. Meyer Burger entschied gerade, die nächste Expansionsrunde nicht in Deutschland, sondern in den USA anzugehen.
Photovoltaik-Nachfrage in Europa robust
Fehlende Nachfrage ist jedenfalls kein Problem, die Photovoltaik boomt in ganz Europa. In Deutschland wurde das Jahresziel der Regierung für 2023 von 9 Gigawatt neuer Solaranlagen bereits Mitte September erreicht. Berlin plant für 2030 mit einer Verdreifachung der aktuellen Gesamtkapazität auf 215 Gigawatt. Doch die Frage ist, wer diese ganzen Solaranlagen produziert.
Resilient ist nur, wer Teile der Produktion selbst stemmt und bei Importen die Lieferanten breit streut. Das Gegenteil ist bei der Photovoltaik der Fall. „Nur noch acht Prozent aller Modulkapazitäten werden 2023 nicht von China kontrolliert sein“, schrieb Gunter Erfurt vor wenigen Tagen in einem Beitrag auf LinkedIn. „Das empfinden wir als normal und völlig OK? In Zeiten massiver geopolitischer Veränderungen? Ich bin enorm besorgt, und wir sollten es alle sein.“