Sanktionen auf Arctic-LNG-2
Putins Wirtschaft eiskalt erwischt – Westliche Sanktionen stören LNG-Verkauf
LNG sollte Milliarden in die russische Wirtschaft pumpen. Doch westliche Strafmaßnahmen könnten dies verhindern. Laut Untersuchungen gibt es zu wenige Abnehmer.
Moskau – Im Juni hatte die EU zum ersten Mal Sanktionen verabschiedet, die russisches LNG (Liquified Natural Gas) ins Visier genommen haben. Das erklärte Ziel: Russlands Wirtschaft um so viele Einnahmen wie möglich zu bringen, damit dem Land die Finanzierung des Ukraine-Kriegs schwerer fällt. Jetzt zeigt sich, dass die Sanktionen wirksamer sind als vorher gedacht.
Einlagern statt verkaufen – Sanktionen erwischen Russlands Wirtschaft eiskalt
Arctic LNG 2 sollte eigentlich Russlands größte Flüssiggas-Anlage werden. Eine Produktion von 20 Millionen Tonnen LNG pro Jahr war das Ziel. Seitdem die westlichen Partner der Ukraine dem Kreml weitflächige Sanktionen auferlegt hatten und sich zunehmend von russischem Erdgas trennen, verlegt sich Russlands Präsident Wladimir Putin zunehmend auf verflüssigtes Erdgas (LNG). Eigentlich hatte Putin vor, die LNG-Exporte von rund 47,5 Milliarden Kubikmetern Gas (2023) auf 188 Milliarden Kubikmeter (Zielwert für 2031) zu steigern.
Jetzt zeigt eine Auswertung von Schiffsdaten und Satellitenbildern jedoch, dass Novatek (die Firma, die das russische Prestigeprojekt Arctic-LNG-2 betreibt) Schwierigkeiten damit hat, das Gas an Kunden zu verkaufen. Novatek müsse viel Gas aus Arctic-LNG-2 zwischenlagern, berichtete die Financial Times. Das sei ein deutliches Zeichen dafür, dass die westlichen Sanktionen zunehmend Käufer abschrecken.
Konkret ging es um drei Schiffe, deren Bewegungen, aufgezeichnet von Satellitenaufnahmen und Schiffsverfolgungsdaten, den Rückschluss zulassen, dass es aktuell zu wenige Käufer für russisches LNG gibt. Eines davon, Everest Energy, soll seine Ladung bei einer schwimmenden Lagerungseinheit in der Nähe von Murmansk im nördlichen Russland abgeliefert haben, ehe es in Richtung Arctic LNG 2 zurückkehrte. Die anderen beiden Lieferungen sollen ebenfalls in russischen oder europäischen Gewässern geblieben sein, ohne einen Käufer erreicht zu haben.
Das Projekt Arctic LNG 2 steht unter US-Sanktionen, seit es den Ladebetrieb aufgenommen hat. Analysten der Datenplattform Kpler sehen die neuen Informationen als Hinweis auf die „Herausforderungen, denen Russland bei der Suche nach Käufern für sein sanktioniertes LNG gegenübersteht“. Die Financial Times gab an, sich vergeblich um einen Kommentar vom russischen Energiekonzern Novatek bemüht zu haben.
EU-Sanktionen zielen auf russisches LNG – Russlands Wirtschaft braucht Zeebrugge
Um Russland die Einnahmen aus dem Verkauf von verflüssigtem Erdgas abzugraben, hatte die Europäische Union (EU) im Juni das 14. Sanktionspaket auf den Weg gebracht. Dieses enthielt unter anderem neue Maßnahmen im Bereich Flüssigerdgas und gegen Schiffe, die Russland – egal, in welcher Form – im Ukraine-Krieg unterstützen. Vorher hatte bereits der finnische Gaskonzern Gasum reagiert und klargemacht, die Gas-Importe aus Russland einstellen zu wollen. Die neuen Sanktionen sollten die Förderung von russischem LNG in der Arktis untergraben.
Im Detail hatten die neuen Sanktionen alle künftigen Investitionen in LNG-Projekte verboten, die in Russland im Bau sind, sowie sämtliche Ausfuhren zugunsten solcher Projekte. Außerdem verbaten die Sanktionen – nach einem neunmonatigen Übergangszeitraum – die Nutzung von EU-Häfen für die Umladung von russischem Flüssigerdgas. „Dieses schlagkräftige Maßnahmenpaket wird Russland den Zugang zu Schlüsseltechnologien noch weiter verwehren“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Die europäischen Häfen (darunter Zeebrugge) verfügen über spezielle Technologien, die Russlands Eisbrecher-Frachter brauchen, um ihr LNG so effizient wie möglich weiterzuverschiffen. Das macht sie für den Transport weiter nach Asien so wichtig: Novatek, das Energieunternehmen, das die sibirischen Gasfelder ausbeutet, ist auf die Verladung angewiesen, um sich teure Umwege zu sparen. Sobald das Verbot eintritt, könnte der russische LNG-Handel nach Asien zum Erliegen kommen.
Schattenflotte soll Russlands Wirtschaft retten – was beim Öl klappt, klappt beim LNG nur bedingt
Seitdem der Westen die Sanktionspolitik gegenüber Russland verschärft hat, sucht Putin beständig nach neuen Taktiken, um westliche Sanktionen entweder zu umgehen oder sie ins Leere laufen zu lassen. Beim Öl zum Beispiel hatte Russland den vom Westen eingesetzten Ölpreisdeckel mittels einer Schattenflotte (zumindest teilweise) umschifft. So konnte Russland gegen einen Aufpreis trotz allem Öl in den Westen bringen, indem es einfach einen Umweg über asiatische Länder nahm, die die Sanktionen nicht mittragen wollten.
Eine ähnliche Taktik hatte Putin laut der Financial Times auch beim LNG angestrebt. Anfang August hatte das Portal von mysteriösen Käufern berichtet, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten Schiffe kaufen, die für den Transport von LNG genutzt werden könnten. In Erwartung des Handelsverbots über europäische Häfen stand der Verdacht im Raum, eine zweite „dunkle Flotte“ könnte entstehen. Auf Satellitenbildern hatten Analysten einen LNG-Tanker gefunden, der vor einer LNG-Verladestation in Russland geankert hatte. Es stehe nicht genau fest, welches Schiff es war, aber die Länge habe mit der „Pioneer“ übereingestimmt, einem unter der Flagge von Palau fahrendem Tanker, der im April den Besitzer gewechselt hatte.
Angeblich war die „Pioneer“, so gaben es ihre Positionsdaten an, nördlich von Norwegen ins Meer gelangt, wo es seit Ende Juli im Kreis fahre. Der Sentinel-1-Satellit der Europäischen Weltraumorganisation habe jedoch keine Schiffe an den Orten gesehen, an denen die Positionsdaten der „Pioneer“ ihren angeblichen Aufenthalt angezeigt hatten. Bei dem Bericht bezog sich die Financial Times auf Berichterstattung der Handelspublikation gCaptain.
Russlands Wirtschaft entgehen Milliarden durch LNG-Sanktionen
In der Vergangenheit hatten sich oft China und Indien dazu bereiterklärt, russische Güter zu kaufen, wenn der Westen sich zurückgezogen hatte – wenn auch zu Discount-Preisen. Im Falle von russischem LNG aus Arctic LNG 2 ist das nicht so leicht – es fehlt an der Infrastruktur, um gewinnbringend LNG zu verschiffen. Wenn Putin tatsächlich keine Käufer für sein LNG findet und das Gas weiterhin einlagern muss, entgehen Russlands Wirtschaft Milliarden.
Experten hatten bereits im Frühjahr prognostiziert, dass Russland sich in einer Frühstufe des wirtschaftlichen Verfalls befinde. Die vom Westen eingesetzten Sekundärsanktionen verschrecken zunehmend die Handelspartner des Kreml. Erst in dieser Woche (5. September 2024) hatten die USA zwei Unternehmen und zwei Transporter sanktioniert, die in Verdacht stehen, LNG aus dem Arctic-LNG-2-Projekt exportiert zu haben. „Die US-Regierung wird weiterhin mit einer schnellen Reaktion auf Versuche reagieren, das sanktionierte Arctic LNG 2-Projekt in Betrieb zu nehmen oder die Energiekapazitäten Russlands auf andere Weise zu erweitern“, teilte das U.S.-Außenministerium dazu mit.
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