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Verweigerer, Migration, Gesetzesänderungen

Jobcenter-Chefin packt über Bürgergeld aus: „Ob die Menschen arbeiten wollen, kann man nicht sagen“

Die Erhöhung des Bürgergelds zog weitflächige Kritik nach sich. Bei den Jobcentern gibt es derweil mehrere andere Baustellen. Eine Insiderin zeigt die größten Probleme auf.

Berlin – Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge haben im Jahr 2023 rund 3,9 Millionen Menschen Bürgergeld bezogen. Etwa 1,9 Millionen von ihnen gelten als nicht erwerbsfähig. Seitdem die Erhöhung des Bürgergelds feststeht, hagelt es Kritik an der Bundesregierung. Die Frage dahinter: Lohnt sich die Arbeit in Deutschland überhaupt noch? Auf der Seite der Jobcenter sorgt das jedoch für ganz andere Probleme.

Regelsatz des Bürgergelds für Alleinstehende563 Euro
Fälle von Leistungskürzungen wegen Arbeitsverweigerung52.174 (Stand 2021)
Bürgergeldbezieher in Deutschland3,9 Millionen

Bürgergeld – Für 50 Prozent der Empfänger ist Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt aussichtslos

Eine derjenigen, die dafür sorgen, dass Bürgergeldempfänger in den Arbeitsmarkt zurückkehren, ist Steffi Ebert. Sie leitet das Jobcenter im thüringischen Landkreis Schmalkalden-Meiningen. Gegenüber dem Focus gab sie an, dass die Vermittlung von Jobs in 50 Prozent der Fälle ein „aussichtsloses Unterfangen“ sei.

Dafür gibt es ganz verschiedene Gründe. Die aktuell viel diskutierte Erhöhung des Bürgergelds hält sie für keine Lösung. „Ich glaube aber nicht, dass das allein mit höherem Bürgergeld aufzufangen ist, sondern es gibt einfach auch Menschen, die kommen mit ihrem Budget klar und andere nicht.“ Im Gegenteil: Stattdessen bewerben sich manche Menschen einfach nicht, weil das Bürgergeld für sie lukrativer ist.

„Ob diese Menschen arbeiten wollen oder nicht, kann man nicht sagen“

Laut Ebert ist es nicht immer leicht, zu erkennen, wer sich absichtlich vom Arbeitsmarkt fernhält und wer nicht. Menschen, die vier Jahre oder länger im System sind, nennt das Jobcenter Längstzeitleistungsbeziehende. „Ob diese Menschen arbeiten wollen oder nicht, kann man gar nicht pauschal sagen.“ Hier stapeln sich häufig mehrere Probleme: Schulden, Sucht, eine angeschlagene Gesundheit oder labile Psyche.

Die Bürgergeld-Erhöhung zog enorme Kritik nach sich. In den Jobcentern selbst gibt es ganz andere Probleme.

Entsprechend schwierig gestaltet sich die Vermittlung. „Hier geht es darum, zu prüfen, ob noch Erwerbsfähigkeit vorliegt oder andere Leistungsträger wie Rententräger oder Sozialhilfeträger zuständig sind.“ Je länger die Arbeitslosigkeit anhält, umso geringer sei die Aussicht auf einen neuen Job.

Anteil der Arbeitsverweigerer an Bürgergeld Beziehenden ist vergleichsweise klein

Wie groß der Anteil der Arbeitsverweigerer tatsächlich ist, verraten die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Wichtig dabei: Es listet die Fälle von Leistungskürzungen aufgrund von „Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ auf. Diese berücksichtigen jedoch nicht, ob zum Beispiel zwei dieser Fälle auf dieselbe Person zurückzuführen sind.

Im Jahr 2021 gab es 52.174 solcher Fälle von Leistungskürzungen. Tendenziell geht die Anzahl der Leistungskürzungen durch Arbeitsverweigerung seit Jahren zurück. Leistungskürzungen wegen Verweigerung machten einen Anteil von etwa 27 Prozent aller Leistungskürzungen im Jahr 2021 aus.

Eigenheiten beim Bürgergeld bei Migranten

Ob Migranten ein Bürgergeld beziehen dürfen, hängt vom jeweiligen Status ab. Asylberechtigte (anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte) dürften grundsätzlich arbeiten und haben daher einen Anspruch auf Bürgergeld. Ebert zufolge machen Migranten im Landkreis Schmalkalden-Meiningen aktuell einen Anteil von 32 Prozent der Leistungsempfänger aus. Seit der ersten Flüchtlingswelle im Jahr 2015 sei ihr Anteil drastisch gestiegen.

Dabei hat Ebert schon sehr motivierte Menschen kennengelernt, aber auch welche, bei denen ein hohes Maß an Hilfestellung notwendig sei. Teils lägen gesundheitliche Einschränkungen vor, teils eine unvollständige oder nicht verwertbare Schul- und Berufsausbildung. „Die Bildungssysteme in den Ländern sind eben unterschiedlich und daher mit den deutschen Anforderungen oftmals nicht vereinbar.“ Die erfolgreiche Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt sei eine mittel- bis langfristige Aufgabe. Experten raten dazu, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge zu lockern.

Gesetzesänderungen und extreme Flexibilität beim Bürgergeld

Zuletzt haben die Mitarbeiter der Jobcenter mit wiederholten Gesetzesänderungen und technischen Einzelheiten zu kämpfen. Erst Mitte Januar hat Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) vorgeschlagen, das Grundgesetz zu ändern, damit Jobverweigerer kein Bürgergeld mehr erhalten. „Wenn hier eine generelle Streichung durch die Rechtsprechung nicht gedeckt ist, sollten wir eben die Verfassung ändern“, sagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Die Expertin Ebert bemängelt: „Ständige Rechtsänderungen sind schon eine Herausforderung für jede Behörde in der Umsetzung. Das Bürgergeld-System ist sehr individuell in jedem Einzelfall.“ Allein in der Umsetzung sei es sehr komplex für jede Bedarfsgemeinschaft. Für die Mitarbeiter führe dies zu einer hohen Belastung, Kunden wiederum zeigten oftmals Unverständnis wegen der langwierigen Entscheidungsprozesse.

Rubriklistenbild: © IMAGO / Revierfoto

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