„Normalisierung“
Eine Insolvenz nach der nächsten: Pleitewelle rollt durch Deutschland
Die Zahl der Firmenpleiten steigt. Auch die Insolvenz-Prognose für die letzten Monate des Jahres sehen nicht gut aus. Experten sprechen von „Normalisierung“.
München – Die Schuhhändler Reno, Salamander und Görtz sowie die Modekette Peek & Cloppenburg haben etwas gemeinsam: Sie alle mussten in den letzten Monaten Insolvenz anmelden. Und die Zahl der Insolvenzen steigt weiter an. Betroffen sind nicht nur große Unternehmen. Vor allem im Gesundheitswesen waren mehrere Krankenhäuser betroffen. Die Prognose der Experten für das vierte Quartal des Jahres deutet auf einen weiteren Anstieg hin.
Steigende Insolvenz-Zahlen: Droht eine Pleitewelle?
Im ersten Halbjahr 2023 wurden 20,5 Prozent mehr Insolvenzen gemeldet als im Jahr davor, wie das Statistische Bundesamt veröffentlichte. Die Anzahl der Insolvenzen lag im September bei 1016, wie aus den monatlich veröffentlichten Zahlen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hervorgeht. Das sind etwa gleich viele wie im August, aber 33 Prozent mehr als im September 2022. „Im Sommer lag die Zahl der Insolvenzen zwar über dem Durchschnitt vor der Corona-Pandemie, aber sie war stabil“, erklärte Steffen Müller, Leiter der IWH-Abteilung Strukturwandel und Produktivität.
Auch der Gesundheitssektor ist von den Pleiten betroffen. Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigen, dass seit November 2022 ganze 26 Träger mit insgesamt 34 Krankenhäusern Insolvenz angemeldet haben. Örtliche Kommunen haben weitere Pleiten verhindert, da sie als Retter eingesprungen sind. „Die eine Frage ist, überleben die Krankenhäuser die nächste Zeit, bis eine Reform in Kraft tritt? Da hat sich die Lage weiter verschlechtert, weil die Kosten-Erlös-Schere weiter auseinandergegangen ist“, sagte DKG-Vizepräsident Thomas Lemke laut der Nachrichtenagentur dpa.
In den meisten Fällen bedeutet die Insolvenzen nicht gleich die Schließung, aber sehr viele Häuser sind in Not. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Roland Berger unter den 600 größten deutschen Kliniken aus dem Sommer schreibt über die Hälfte davon rote Zahlen.
Pleitewelle: Steigende Insolvenz-Zahlen bis Ende des Jahres erwartet
Die Prognose der IWH sieht vor, dass sich die Stabilität der Insolvenzzahlen bald ändern werde. „Wie schon im August deuten unsere Frühindikatoren im September auf einen deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen im vierten Quartal hin – vor allem im Baugewerbe sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen“, so Müller. Doch laut den Experten ist die steigende Anzahl an Insolvenzen normal. Es handle sich um keine Insolvenzwelle, sondern um eine „Normalisierung“.
Es gibt „noch einen Nachholeffekt aufgrund der umfangreichen staatlichen Hilfen in den vergangenen zwei Jahren, die inzwischen ausgelaufen sind und viele Unternehmen am Leben hielten“, sagte Jonas Eckhardt, Partner der Beratungsgesellschaft Falkensteg in einem Insolvenzreport Ende August. Durch die Corona-Pandemie und die Energiekrise hatte der Staat Unternehmen mit zahlreichen Hilfen unterstützt. Auch die Insolvenzantragspflicht wurde zeitweise ausgesetzt. „Für viele Betriebe werden die großzügig verteilten Staatsgelder der Vergangenheit jetzt zum Bumerang“, erklärte der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch Ende Juni.
Unternehmen melden Insolvenz: Hohe Energiekosten und Rückzahlungen
Verschleppte Anpassungen des Geschäftsmodells und die Rückzahlung der Hilfen bei dauerhaft steigenden Zinsen sorgen bei einigen Unternehmen für finanzielle Probleme. Hinzukommen steigende Materialkosten, Personalengpässe und die hohen Energiekosten, die viele Firmen belasten. Auch die Kaufkraft der Konsumenten nimmt ab. Ein weiteres Problem: Immer mehr Unternehmen entschließen sich dazu, Deutschland zu verlassen.
Trotz der gegenwärtigen Situation war die Zahl der Firmenpleiten aufgrund der Wirtschaftskrise 2009 mit 33.0000 immer noch deutlich höher als 2022. Die absolute Zahl der Unternehmensinsolvenzen belief sich laut Bundesamt auf 14.590. Wie lange die „Normalisierung“ noch anhält, bleibt offen. (vk)
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