„Gibt kein klimaneutrales Erdgas“
Ökogas-Lüge: Deutsche Gasanbieter führen Kunden hinters Licht
Das Recherchenetzwerk Correctiv hat die Versprechen sogenannter „Ökogas-Tarife“ unter die Lupe genommen. Das Ergebnis sollte Gaskunden im Land aufschrecken lassen.
Berlin – Wer bei der Wahl seines Gas-Tarifs schon mal zwischen dem regulären Gas-Tarif und dem Ökogas-Tarif entscheiden sollte, der dürfte sich schon mal die Frage gestellt haben: Was genau ist Ökogas? Was macht dieses Erdgas denn jetzt „Öko“? Eine Recherche beim jeweiligen Gasanbieter ergibt dann meistens die Antwort: Damit ist fossiles Erdgas gemeint, dessen Emissionen aber kompensiert werden. Manchmal heißt es dann, das Gas sei „100 Prozent klimaneutral“. Das geht angeblich über sogenannte CO₂-Gutschriften, die die Gasversorger kaufen. Diese sollen belegen, wie die Emissionen ausgeglichen werden, beispielsweise indem in Aufforstungsprojekte investiert wurde.
Wie das Recherchenetzwerk Correctiv nun herausgefunden hat, ist aber an dieser Behauptung recht wenig dran. Die CO₂-Gutschriften verpuffen ins Nichts, wenn man ihnen nachgeht. Die Projekte, die zum Ausgleich der Emissionen herangezogen werden, sind entweder zweifelhaft oder überhaupt nicht vorhanden. Damit sind hunderttausende Gaskunden in Deutschland getäuscht worden – die Deutsche Umwelthilfe (DUH) prüft nun sogar juristische Schritte.
Ökogas-Lüge: 150 Gasversorger und Stadtwerke auf dem Prüfstand
In Kooperation mit Experten prüfte der Rechercheverbund die CO₂-Gutschriften von 150 deutschen Gasversorgen und kommunalen Stadtwerken zwischen 2011 und 2024. Das Fazit: 116 Gasversorger hätten CO₂-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten genutzt, die laut wissenschaftlicher Einschätzung nicht plausibel hätten nachweisen können, dass Emissionen tatsächlich verringert oder eingespart worden seien.
Betroffen seien damit rund zwei Drittel von insgesamt 16 Millionen ausgewerteten Gutschriften aus diesem Zeitraum. Nach den Berechnungen von Correctiv könnten somit über die Jahre insgesamt gut zehn Millionen Tonnen weniger CO₂-Emissionen ausgeglichen worden sein als von den Versorgern gegenüber Kunden behauptet. Zur Einordnung: 2023 wurden laut Umweltbundesamt in Deutschland Treibhausgase freigesetzt, die der Menge von 674 Millionen Tonnen Kohlendioxid entsprechen.
Die Liste der untersuchten Gasversorger und Stadtwerke hat das Correctiv im Artikel veröffentlicht. Darin können Kunden und Kundinnen nachsehen, welche Versprechen ihr Energielieferant gibt – und was tatsächlich an CO₂ eingespart wird. Zahlreiche Energieanbieter unterstützen demnach das Wasserwerk-Projekt im indischen Himachal Pradesh, das sich das Correctiv genauer angesehen hat. Demnach sind die CO₂-Zertifikate, die von dem indischen Projekt ausgegeben werden, nicht viel mehr als heiße Luft. Denn das Wasserkraftwerk, das sie angeblich mit den Zertifikaten finanzieren würden, braucht das Geld der deutschen Gasversorger nicht. Es wäre auch ohne Geld aus Deutschland gebaut worden – hat also überhaupt keinen Effekt auf das Klima.
Gasversorger weisen die Schuld von sich
Stattdessen trägt das Geld, das deutsche Gaskunden über ihren Gasversorger in das Wasserwerk-Projekt investieren, zu einer Verschlechterung der Lage in Indien selbst bei. Denn in der Region seien nun viel mehr Wasserkraftwerke gebaut worden, als die Umwelt eigentlich vertrage: Das Recherchenetzwerk zitiert Bewohner der Region, die von versiegten Wasserquellen, abgeholzten Wäldern und Umweltkatastrophen berichten.
Die deutschen Gasversorger, die diese Projekte mit dem Kauf der CO₂-Zertifikate unterstützen, weisen die Schuld auf Anfrage des Netzwerks von sich. Man kenne die Lage vor Ort nicht, habe sich auf die Vergabestellen der CO₂-Gutschriften verlassen, sehe die Verantwortung nicht bei sich, sondern bei anderen. So lauten die Antworten der Stadtwerke und Gasanbieter, die das Correctiv befragt hat.
Gaskunden zahlen mehr für die Ökogas-Tarife – wenn sie eine Wahl haben
Wie viel mehr Geld geben aber Gaskunden und -kundinnen für vermeintliche Ökogas-Tarife aus? Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA schreibt die Vergleichsplattform Verivox, dass die Ökogas-Tarife eher zu den günstigeren Gastarifen in Deutschland gehören. „Eine Familie mit einem Gasverbrauch von 20.000 kWh Gas zahlt derzeit in der Grundversorgung 2.852 Euro im Jahr, im günstigsten Tarif sind es 1.446 Euro. Der günstigste Klimagastarif kostet im bundesweiten Durchschnitt 1.560 Euro. Das Sparpotenzial liegt hier bei 1.292 Euro“, schreibt ein Pressesprecher.
Schaut man sich jedoch die Anbieter an, die sowohl einen normalen Erdgastarif als auch einen Öko-Tarif anbieten, dann ist der Öko-Tarif durch die Bank weg der teurere. Bei den Stadtwerken München (SWM) beispielsweise können Kunden zwischen dem Tarif „M-Erdgas-Fix“ und „M-Ökogas-Fix“ wählen – für zweiteres zahlt man einen Aufpreis. Auch bei den Stadtwerken Oberusel zahlen Gaskunden für TaunaGas SMART weniger, als für TaunaGas KLIMA.
Diesen Trend bestätigt der Verivox-Sprecher ebenfalls: „Wenn ein Anbieter, sowohl Klima/Biogas als auch ‚normales‘ Gas im Angebot hat, dann ist der Klima/Biogas in 94 Prozent der Fälle teurer und nur in sechs Prozent günstiger“, heißt es auf Nachfrage dieser Redaktion.
EU will Greenwashing verbieten: „Es gibt kein klimaneutrales Gas“
Bei vielen Anbietern stellt man jedoch fest, dass sie mittlerweile nur noch sogenannte Öko-Gas-Tarife anbieten. So auch bei EON und Vattenfall, zwei der größten Gasanbieter im Land, die ihre Kunden und Kundinnen nur zwischen verschiedenen Öko-Tarifen wählen lassen. Vermarkten werden diese Tarife häufig als „100 Prozent klimaneutrales Gas“ – was es de facto aber nicht gibt.
Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA schreibt EON: „Eine glaubwürdige, faire und verständliche Kommunikation rund um unsere Produkte ist uns selbstverständlich sehr wichtig. Wir entwickeln diese kontinuierlich weiter.“ EON nutze für seine CO₂-Kompensation einen „konzernweiten Mindestqualitätsstandard“, der sicherstelle, dass der die genutzten Zertifikate „von hoher Integrität“ seien. „Alle von uns unterstützten Klimaschutzprojekte sind registriert und extern zertifiziert, z. B. nach dem ‚Gold Standard‘. Wir orientieren uns damit an weltweit üblichen Standards,“ so EON weiter.
DUH will rechtliche Schritte gegen Gasanbieter einleiten
Die DUH prüft daher nun rechtliche Schritte gegen zahlreiche Gasversorger. Sie forderte im Zusammenhang mit der Correctiv-Recherche deutschlandweit 15 Gasversorger auf, ihre Werbung für klimaneutrales Erdgas zu beenden und entsprechende Unterlassungserklärungen zu unterzeichnen. Der Verband warf den Unternehmen Verbrauchertäuschung vor.
Aus Sicht der DUH sind die zur Kompensation herangezogenen Projekte in allen Fällen untauglich, um die versprochene Klimaneutralität herzustellen. „Die Projekte laufen, sofern zur Kompensation Waldprojekte verwendet werden, nicht ansatzweise so lange, wie für die Gewährleistung einer Klimaneutralität erforderlich“, teilte die DUH mit. Darüber hinaus erhielten Verbraucherinnen und Verbraucher meistens nur unzureichende Informationen zu den Projekten.
In der EU soll solches Greenwashing aber jetzt verboten werden. Eine solche Richtlinie wurde im Februar beschlossen und muss nun in den Mitgliedsstaaten bis 2026 umgesetzt werden. Allgemeine Behauptungen wie „umweltfreundlich“, „klimaneutral“ und „biologisch abbaubar“ dürfen demnach nicht mehr ohne belastbare Beweise auf Produkte gedruckt werden. Das wird dann auch die Erdgasanbieter hierzulande treffen, wie Anna Cavazzini, Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament und Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucher, dem Correctiv gesagt hat. „Um es klar zu sagen: Es gibt kein klimaneutrales Gas“, sagt sie – alles andere kann man also als falsche Werbung verstehen.
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