„Ein Krieg beginnt nicht erst, wenn Bomben fallen“
Neue Wege für Sabotage-Versuche? Warnung vor Russlands Strategie
Russland soll laut Verfassungsschutz versuchen, Chaos in Europa zu stiften. Neben Spionage setzen sie auch auf Kleinkriminelle und Social-Media-Profile. Deutsche Unternehmen sind aufgerufen, wachsam zu sein.
Berlin/Moskau – „Ein Krieg beginnt nicht erst, wenn Bomben fallen“. So warnt der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, in der WirtschaftsWoche vor der wachsenden Bedrohung aus Russland auch für die deutsche Wirtschaft. Spätestens nachdem ein Angriff auf den Vorstandsvorsitzenden Rheinmetalls, Armin Papperger, vereitelt werden konnte, dürften auch deutsche Unternehmen sensibilisiert worden sein. Darüber hinaus hat es in Europa in den vergangenen Wochen und Monaten zu viele eigenartige Vorkommnisse gegeben, die einen stutzig werden lassen dürften. Alles nur Zufall?
Brände in ganz Europa lassen Sabotage aus Russland vermuten – Anschläge in Frankreich auch?
Da war der Großbrand bei der Firma Diehl in Berlin-Lichterfelde. Oder Ende März die Lagerhalle in London, die Feuer fing, bei der die Feuerwehr später auch Brandbeschleuniger fand. Oder das größte Einkaufshaus in Polen, das von einem Tag auf den anderen niederbrannte. Während dieser Text geschrieben wird, wird von Sabotage in Frankreich berichtet, die den Zugverkehr wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele lahmlegt. Mutmaßungen über Verantwortliche gibt es noch keine. Angesichts jüngster Hinweise und vergangener Ereignisse dürfte die Frage aufkommen, ob eine Nähe zu Russland besteht.
Auch die Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra wollte Russland gegenüber dem britischen Sender Sky News noch nicht als Täter ausschließen. Ihre Antwort auf diese Frage: „Vielleicht“.
Bis auf im jüngsten Fall steht nämlich Russland bei den Geheimdiensten im Fokus. Weshalb die Geheimdienste jetzt auch deutlicher warnen als zuvor: Russland versucht in Europa Chaos zu stiften. „Zunehmende geopolitische Rivalitäten wie auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verschärfen die Gefährdungslage“, schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Juni 2023 deshalb in einem Sicherheitshinweis an die Wirtschaft. In Polen sei ein Spionagering aufgedeckt worden, der den Auftrag gehabt haben soll, kritische Infrastruktur auszuspähen und Sabotagehandlungen vorzubereiten. „Der Fall des Spionagerings in Polen deutet darauf hin, dass künftig vermehrt auch mit Sabotageversuchen zu rechnen ist“.
Am heutigen Freitag (26. Juli) veröffentlicht das BfV auch einen neuen Hinweis mit folgender Warnung an die Wirtschaft: „Im europäischen Ausland wird derzeit in mehreren Fällen versuchter bzw. erfolgter Brandstiftung sowie in Bezug auf Vandalismus und Propagandaaktivitäten ermittelt, die auf russische Nachrichtendienste zurückzuführen sein könnten“.
Russland nutzt offenbar neue Wege für die Sabotage – russischstämmige Mitarbeiter werden angesprochen
Die Mittel des Kremls seien laut BfV auch neu. Es werde nicht nur auf „hauptamtliche Akteure“ gesetzt – also Spione – sondern es würden auch Kleinkriminelle auf Kanälen wie Telegram kontaktiert. Deshalb empfiehlt der Verfassungsschutz auch Unternehmen, ihre Mitarbeiter für „Ausforschungs- und Anbahnungsversuchen“ zu sensibilisieren.
Der Verfassungsschutz hat zudem Hinweise darauf, dass russische Nachrichtendienste gezielt Social-Media-Profile von Mitarbeitern deutscher Unternehmen auswerten. „Ziel soll es gewesen sein, Personen zu identifizieren, die für russische Einflussnahme- oder Anbahnungsversuche empfänglich sein könnten“, heißt es in einem aktuellen Sicherheitshinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Gegenüber der Zeit berichtet Günther Schotten, Geschäftsführer der Interessenvereinigung Allianz, dass mehrere Unternehmen auch schon „verdächtige Dinge festgestellt haben, etwa unbekannt Pkw in der Einfahrt, aus denen Leute herausfotografieren“. Und noch beunruhigender: „Wir bemerken auch die Kontaktaufnahme durch russische Organisationen zu russischstämmigen Mitarbeitenden in deutschen Unternehmen und Organisationen, mit dem Ziel, dass sie sich in den Dienst Russlands stellen“, so Schotten. „Du hast als Unternehmen nicht nur Freunde“, warnt er daher.
Entsprechend fordert er, genauso wie das BfV, dass verdächtige Aktivitäten und Situationen sofort an den Verfassungsschutz gemeldet würden. Auf der Webseite des BfV gibt es dazu auch besondere Kontaktwege für die Wirtschaft und Wissenschaft.
Russland versucht Chaos zu stiften – und es funktioniert auch schon
Die Ziele Russlands sind Experten zufolge nicht nur militärische Bereiche oder Rüstungsfirmen. Jede Firma und jeder Bereich der öffentlichen Ordnung könnte ein Ziel sein. „Es geht darum, westliche Demokratien zu destabilisieren“, so Verfassungsschützer Kramer in der WiWo. Ein anonymer Sicherheitsmitarbeiter sagte es in der Zeit noch deutlicher: „In den Ländern Europas soll der Bevölkerung klargemacht werden, dass sie für die Unterstützung der Ukraine einen Preis bezahlen wird“. Es soll die öffentliche Meinung beeinflusst werden und so die Unterstützung aus dem Westen für die Ukraine schwächen.
Dass diese Strategie auch schon erfolgreich ist, liegt auf der Hand. Einer aktuellen Umfrage der EU zufolge sehen mittlerweile 41 Prozent der Deutschen die finanzielle Unterstützung der Ukraine skeptisch. In Italien befürwortet eine Mehrheit der Befragten (51 Prozent) eine neutralere Position der EU gegenüber dem Konflikt, 40 Prozent unterstützen die Ukraine. Mittlerweile gibt es auch nur eine knappe Mehrheit (55 Prozent), die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten.