„Wachsendes Risiko“
Nato nimmt Putins Schattenflotte ins Visier – So groß ist das Risiko in der Ostsee
Putins Schattenflotte versetzt den Westen in Unruhe. Kürzlich sollen die Öltanker sogar Sabotageakte durchgeführt haben. Ein Nato-Gipfel bringt neue Entscheidungen.
Helsinki – Die Ostsee entwickelt sich mehr und mehr zu einem besonderen Nebenkriegsschauplatz. Sogenannte Schattentanker sollen westliche Sanktionen umgehen und Russlands Wirtschaft mit den wichtigen Einnahmen aus Ölverkäufen stützen, der Westen reagiert wiederum mit neuen Sanktionen. Allerdings bringen diese Tanker noch mehr Gefahren mit sich als nur die russische Kriegskasse zu füllen. Die Nato reagiert.
Von Sanktions-Betrug bis Sabotage – Nato reagiert auf Putins Schattentanker
Russlands Schattenflotte hat sich zu einem der gravierendsten Sicherheitsrisiken in der Ostsee entwickelt. Jetzt macht die Nato ernst – und will in der Ostsee erhöhte Militärpräsenz zeigen. Zu einem eigens angesetzten Ostseegipfel, der am 14. Januar in Helsinki stattfand, war auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angereist. Eine der Kernfragen dabei: Wie will die Nato mit der Schattenflotte von Kreml-Diktator Wladimir Putin umgehen?
Ein kurzer Rückblick: Die Schattenflotte ist ein Verbund aus größtenteils veralteten Frachtschiffen, die häufig unter falscher Flagge (oftmals aus afrikanischen Ländern) fahren und gerne mal ihre Ortungssysteme abschalten, um ihre Beladevorgänge zu verschleiern. Hauptsächlich dienen sie dem Öltransport und sollen Putin dabei helfen, die westlichen Sanktionen zu umgehen. Einige dieser Schiffe konnten in der Vergangenheit auf diese Weise ungestört westliche Häfen anfahren und dort Öl abladen.
Allerdings hat sich im Laufe der letzten Monate ein zusätzliches Einsatzgebiet dieser Schiffe herauskristallisiert: Sabotage. Das jedenfalls glauben finnische Ermittler. Sie hatten eines dieser Schiffe, die unter der Flagge der Cookinseln fahrende „Eagle S“, mit einem Angriff auf Unterseekabel in der Ostsee in Verbindung gebracht. An Weihnachten soll der Öltanker mehrere dieser Kabel mit seinem Anker beschädigt haben.
Umweltrisiko durch Schattenflotte – „Irgendwann sind sie einfach durch“
Sie umgehen westliche Sanktionen, sie können sabotieren – daneben sind diese Tanker allerdings auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die Umwelt. Viele der Tanker sind in die Jahre gekommen, schlecht gewartet und können technische Mängel aufweisen. Beispiele dafür lieferten erst vor wenigen Tagen die Öltanker „Eventin“ und „Jazz“, die beide unter der Flagge Panamas fahren und der Schattenflotte zugerechnet werden. Die „Eventin“ havarierte mit einer Ladung von 99.000 Tonnen Rohöl vor Rügen und musste abgeschleppt werden. „Jazz“ wiederum meldete mehrfach Maschinenschäden, driftete mit teils extrem niedriger Geschwindigkeit in der Ostsee. Zuletzt hatte es mit einer Ladung von 50.000 Tonnen Rohöl einen Maschinenschaden gemeldet und das Tempo gedrosselt.
Für die „Jazz“ sei das keine Neuigkeit. Innerhalb von zwei Wochen habe dasselbe Schiff dreimal Maschinenschäden gemeldet, die Fahrt gedrosselt oder gestoppt, teilte der Norddeutsche Rundfunk unter Berufung auf das dänische Nachrichtenportal information.dk mit. Das sei stets in der Nähe des Unterseekabels „C-Lion 1“ passiert, das zwischen Rostock und Finnland verläuft.
Zu starke Beschädigungen an Schiffen können laut dem Umweltforschungszentrum Crea zu massiven Umweltverschmutzungen führen. „Ungezählte Stürme auf See haben die Schiffshüllen gestaucht, gestreckt und verbogen – irgendwann sind sie einfach durch“, zitierte die Wirtschaftswoche einen Experten für maritime Gefahrenabwehr. Die Schiffe seien anfällig für Zwischenfälle wie Kollisionen, Leckagen oder schlichtes Zerbrechen. Sollte das bei einem Tanker wie der Eventin passieren, würden tausende Tonnen Öl direkt in die Ostsee fließen. Auch die Umweltorganisation Greenpeace hatte sich bereits eingeschaltet und eine Liste der gefährlichsten Schiffe dieser russischen Flotte veröffentlicht.
Sabotage-Risiko für Deutschland – Regierung will neue Datenkabel
Für Deutschland selbst sollen zumindest die Angriffe auf Datenkabel nur ein geringes Risiko darstellen – jedenfalls, wenn es bei vereinzelten Schäden bleibt. „Die Beschädigung einzelner Seekabelstrecken hat in der Regel keinen unmittelbaren Einfluss auf die Netzqualität in Deutschland, da Datenverkehr über alternative Routen umgeleitet werden kann. Bei Beschädigung von Seekabeln kann es grundsätzlich zu längeren Latenzzeiten und möglicherweise verringerter Bandbreite kommen“, teilte ein Sprecher des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) auf Anfrage durch IPPEN.MEDIA mit.
Wegen der gehäuften Sicherheitsvorfälle sei das BMDV mit den „zuständigen Behörden“ in Austausch. „Die Vorfälle bestätigen unsere Bestrebungen, für mehr Redundanzen durch verstärkten Ausbau von Unterseedatenkabeln zu sorgen“, erklärte der Sprecher. „Es ist wichtig, dass wir hier auf die neue geopolitische Sicherheitslage reagieren.“ Zusätzliche Kabel und Zweitleitungen würden für mehr Sicherheit sorgen.
Ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gab dazu an, dass der Schutz kritischer Anlagen den jeweiligen Betreibern zufalle. Diese müssen potenzielle Gefährdungen analysieren und bewerten – und dann geeignete Maßnahmen zum Schutz ihrer Anlagen ergreifen.
Nato will Unterseekabel schützen – und reagiert auf Russlands Schattenflotte
Die Nato sieht das anders und hat den Schutz der Ostsee zur Chefsache erklärt. Beim Treffen in Helsinki hatte NATO-Generalsekretär Mark Rutte den Start einer neuen militärischen Aktion angekündigt, um die kritische Infrastruktur in der Ostsee besser zu schützen. „Baltic Sentry“ soll die militärische Präsenz der Nato in der Ostsee erhöhen und es den Verbündeten ermöglichen, schneller auf „destabilisierende“ Aktionen zu reagieren.
Auf dem Gipfel haben Staatsoberhäupter aus der Region das „wachsende Risiko“ für die kritische Unterwasser-Infrastruktur thematisiert und sich für eine verstärkte Zusammenarbeit ausgesprochen. Laut einer Pressemeldung der Nato soll „Baltic Sentry“ verschiedene Maßnahmen umfassen, die zum Beispiel Patrouillen durch Fregatten oder Flugzeuge vorsieht. Allerdings sollen auch neue Technologien (etwa eine kleine Drohnenflotte) zum Einsatz kommen. All das soll dazu beitragen, die kritische Infrastruktur unter Wasser zu schützen und – sofern notwendig – auf Bedrohungen angemessen zu reagieren.
„Baltic Sentry wird in der gesamten Ostsee gezielte Abschreckungsmaßnahmen durchführen und destabilisierenden Handlungen entgegenwirken, wie sie im letzten Monat beobachtet wurden“, sagte Christopher G. Cavoli dazu, Kommandant des belgischen Nato-Stützpunkts Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE). SHAPE gilt als militärische Basis für die Einheit Allied Command Operations (ACO), die wiederum für die Planung und Ausführung des „Baltic Sentry“-Programms verantwortlich ist.
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