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Interview mit Elitenforscher Casas

USA und China mit Weitblick bei Technologie: „Amerikanische Eliten viel strategischer, fleißiger – und smarter“

Stilisierte Männer und Frauen vor türkisfarbenem Hintergrund
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Von den Geschäftsmodellen der Eliten hängt nach Ansicht von Forschenden die Zukunft der Staaten ab. Wenn sie Wert schaffen und Narrative für die Zukunft, dann helfen sie ihrem Land.

Die Eliten in Europa hinken bei der Vision für die Zukunft hinterher. Unser Vermögen fließt daher zunehmend in die USA ab. Warum, erklärt der Elitenforscher Tomas Casas im Interview.

St. Gallen/München – Der Wirtschaftswissenschaftler Tomas Casas gehört zu einem multidisziplinären Team, das an der Hochschule St. Gallen (HSG) kürzlich zum vierten Mal den Elite Quality Index (EQx) für 151 Länder vorgestellt hat. Der Index soll ein Maßstab für nachhaltige Wertschöpfung der Staaten sein, denn Eliten – politische, wirtschaftliche und Wissenseliten – sind nach Ansicht der Forschenden entscheidend für Fortschritt und Entwicklung eines jeden Staats. Mehr zum diesjährigen Ranking lesen Sie hier.

Elitenforscher Casas: In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht der Eliten

Seit mehr als einem Jahr ist die Welt geprägt von Krieg und Krisen. Wie wirkte sich das auf die Eliten der verschiedenen Staaten aus?
In solchen Krisen reagieren die Eliten in jedem Land anders. In manchen Staaten versuchen sie, ihre Macht und ihr Einkommen trotz der Krise stabil zu halten. Da aber der gesamte Kuchen in einer Krise schrumpft, erhöhen sie dadurch ihren Anteil an diesem Kuchen – auf Kosten der anderen Teile der Gesellschaft. Anders ist es, wenn Eliten gemeinsam mit der Gesellschaft durch die Krise gehen. Dann verzichten auch sie auf Teile ihres Einkommens.
Wie reagieren denn die russischen Eliten auf den Ukraine-Krieg?
Die russischen Eliten sind derzeit gar nicht mehr in der Lage, irgendwelchen neuen Wert zu schaffen. Krieg vernichtet Wert – sowie die Institutionen, die Wertschöpfung fördern. Wenn ein Land Krieg führt, findet ein Wert-Transfer weg von der Bevölkerung zu gewissen politischen und wirtschaftlichen Eliten statt. In der Welt ist der Eindruck ausgeprägt, dass aber auch europäische Eliten Verlierer dieses Krieges sind. Profitiert haben davon unter anderem nicht-europäische Energiekonzerne – etwa in Saudi-Arabien – da die Rohstoffpreise stark gestiegen sind.
Welche Kriegsfolgen erkennen Sie in dem Zusammenhang noch?
Der Krieg zeigt deutlich den Wert von Sicherheit. Vor allem in Deutschland wurde in der Vergangenheit zu wenig in die Sicherheit investiert. Dadurch hat Deutschland vor dem Ukraine-Krieg de facto Wert von den USA extrahiert, die sehr viel für die Sicherheit Europas investieren. Eine große Volkswirtschaft muss eben mehr als nur 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) für die Sicherheit ausgeben.
Warum tendiert Deutschland dazu, zu wenig in die eigene Sicherheit zu investieren?
Europäischen Eliten fehlt es an Vorstellungskraft, eine Vision für die Zukunft zu gestalten. Daher denken sie nicht so strategisch. Deutsche Eliten sind sehr gut darin, systematisch Wert im kleinen und mittleren Maß für heute zu schaffen, etwa durch Institutionen, die Fachkräfte ausbilden oder ein sehr kompetentes Gesundheitssystem gewährleisten. Daher kommt auch der hohe Rang Deutschlands im EQx 2023.
Doch man denkt eben nicht langfristig genug in den fünf Kernbereichen, die alles andere entscheiden werden: Daten, Energie, Sicherheit, Finanzen und Narrative. In zehn Jahren wird die Welt eine ganz andere sein. Vor allem in Technologien wie der Künstlichen Intelligenz (KI) werden die deutschen Eliten künftig vor enormen Herausforderungen stehen.

Eliten müssen sich mit Künstlicher Intelligenz und Technologie befassen

Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Sam Altman, der Unternehmer hinter OpenAI und ChatGPT, hat gesagt, dass durch ChatGPT Vermögen von bis zu 100 Billionen US-Dollar Wert entstehen kann – und er fügte hinzu: ‘Damit schaffen wir so viel Reichtum, dass wir es uns leisten können, jedem Amerikaner ein bedingungsloses Grundeinkommen von 14.000-15.000 US-Dollar auszuzahlen.’
Die deutschen Eliten merken dabei nicht, dass dieser Wert auch aus Deutschland kommen wird – sich am Ende aber in den USA entscheidet, wie dieser Wert verteilt wird. Denn jede Firma, jeder Mensch in Europa wird KI nutzen und von KI abhängig werden. Und der Mehrwert davon wird an Big Tech in den USA fließen.
Erkennt Brüssel denn den Ernst der Lage?
Das Problem ist, dass die EU sich keine Gedanken macht über den massiven Wert-Transfer, der stattfinden wird durch OpenAI und KI im Allgemeinen. Daten sind das Erdöl des 21. Jahrhunderts, sie befähigen KI. Und wir in Europa haben – als User – praktisch alle unsere Daten kostenfrei an die großen Tech-Firmen Amerikas abgegeben. Deren Wert wird in den USA in Vermögen umgewandelt. Amerikanische Eliten sind hier eben viel strategischer, fleißiger – und smarter und so europäischen Eliten weit überlegen.
China behält seine Daten dagegen im eigenen Land und nutzt sie für sich selbst – und ich würde mich nicht wundern, wenn auch Indien das künftig so handhaben wird.

Elitenforscher: Urheberrechte für moderne Technologien werden in den USA liegen, nicht in Europa

Auf welche Weise werden wir für diesen Abfluss unserer Daten künftig bezahlen?
Alles was Rechenleistung oder Intelligenz braucht, von der modernen Krebstherapie bis zur Kernfusion, wird nicht mehr ohne Algorithmen oder KI machbar sein. Ein Beispiel sind autonome Fahrzeuge. Die deutsche Automobilindustrie wird die Urheberrechte für die Software dieser Fahrzeuge nicht besitzen, da diese von anderen entwickelt wird — und wird folglich dafür bezahlen müssen. Daher werden große Profite aus den autonomen Fahrzeugen künftig an KI-Firmen etwa in den USA gehen.
Es wäre also enorm wichtig, dass Europas und Deutschlands Eliten mit am Tisch sitzen, wenn über globale KI-Regeln für die Zukunft entschieden wird. Eliten in Europa aber haben dabei überhaupt keine Stimme – weil wir keine Techfirmen haben. Schlimmer noch: Europas Eliten haben keine Strategien oder Narrative, wie diese Regeln im Sinne von Wertschöpfung und Transfers durch KI aussehen sollten.
Wie kommt das?
Ein Grund ist, dass wir kein europäisches Elitensystem haben. Alle unsere Eliten wollen Europäer sein, aber ihre Geschäftsmodelle sind in den Nationalstaaten aus dem 17. Jahrhundert verankert. Einzeln sind wir zu klein, und es ist auf globaler Ebene schwierig, mitzuwirken. Zum Beispiel sind die großen Autokonzerne Volkswagen, PSA oder Fiat keine europäischen Firmen, sondern in erster Linie eben deutsche, französische oder italienische. Die einzige große Ausnahme ist Airbus. Das ist ein wirklich europäisches Unternehmen, an der Spitze der Innovation – und wird etwa in China und weltweit auch als europäisch wahrgenommen und geschätzt.

Eliten-Rangliste: USA nur knapp vor China

Viele Staaten Europas stehen im EQx trotz aller Probleme aber recht gut da.
Ja klar, die europäischen Eliten schaffen schon Wert, auch im Vergleich zu den USA. Deutschland ist Weltmeister bei EQx-Indikatoren wie Grünen Patenten, Akademischer Freiheit oder, sehr wichtig, dem Anteil von Familienunternehmen am BIP. 
In den USA schaffen die wirtschaftlichen und Wissenseliten ungeheuer viel Wert. Doch die politischen Eliten schaffen nur sehr geringen Wert. Amerika hat bei weiten die besten Universitäten und Forschungsanstalten. Firmen schöpfen ungeheuer viel Wert – wie eben OpenAI mit ChatGPT, SpaceX mit ihren Raketen oder Pfizer mit Biotech-Produkten. Auch Hollywood und andere Gestalter von Narrativen gehören dazu. Die Zukunft unserer Welt wird von der Kreativität und Kraft amerikanischer Eliten gestaltet.
Doch die US-Politik ist eine Katastrophe – man schaue nur auf die Polarisierung, die Drogenkrise, die vielen Waffen oder die verrottende Infrastruktur. Deshalb liegen die USA auf unserem Index nur noch auf Rang 21. 
Und damit nur ganz knapp vor China.
Interessanterweise hat China einige Plätze gutgemacht und liegt jetzt auf Rang 22 und damit direkt hinter den USA. Und das, obwohl die USA ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von 70.000 US-Dollar haben und China erst bei 12.5000 US-Dollar im Jahr liegt. Das ist überraschend, denn normalerweise korrelieren Wohlstand und Eliten-Qualität – sprich die Geschäftsmodelle der Eliten werden mit wachsendem Wohlstand immer wertschöpferischer.

China: Eliten schaffen mehr Wert, bevor das Land reich geworden ist

Wie kann es denn aber sein, dass eine Diktatur wie China so dicht zu den USA aufschließen kann, die sich als Hüter der freien Welt sehen?
China muss sich reformieren, öffnen, liberalisieren, das ist klar – aber seine Eliten schöpfen tatsächlich seit Jahren Wert, wie das Wirtschaftswachstum zeigt. China folgt dabei im Prinzip dem Modell von Ostasien oder Singapur: einen effizienten Staat zu haben mit großer Macht. Die große Macht politischer und wirtschaftlicher Eliten bewerten wir im Index zwar negativ – auch in Singapur, das ja auf Rang zwei liegt. Und im EQx werden natürlich in China die Menschenrechtslage oder die fehlende Pressefreiheit und wissenschaftliche Freiheit negativ bewertet.
Aber viele andere Indikatoren sind eben sehr gut dort, wie zum Beispiel die kreativen Schöpfungseffekte der Selfmade-Milliardäre und der hohe Anteil von Frauen an diesen. Ebenfalls positiv sind Chinas PISA-Tests, die Zahl der Patente per Einwohner oder die steigende Produktivität der Arbeitenden. Wir Wissenschaftler sind systempolitische Agnostiker und gucken uns für den EQx nur die Geschäftsmodelle der Eliten an: Schaffen oder extrahieren sie Wert?
Gibt es aus den letzten Jahren Beispiele für Krisengewinner oder auch Eliten, die in schwierigen Zeiten Wert extrahiert haben?
Die großen Banken waren die Gewinner der Finanzkrise, und zwar von 2008 bis 2021. Erst vergangenes Jahr wurde die Niedrigzins-Politik zur Stützung der großen Banken beendet. Die ewigen niedrigen Zinsen halfen den Banken auf Kosten der kleinen Anleger. Und die Großbanken haben in diesen Jahren keine innovativen Geschäftsmodelle geschaffen – sondern auf Basis der staatlichen Transfers ihr eigenes Einkommen bewahrt. Kein Wunder, dass viele Finanzinstitute in diesen Zeitraum Zombies wurden – und als nun die Zinsen gestiegen sind, ernsthafte Probleme bekommen haben und sogar Pleite gehen. Solche Transfer-Modelle sind nicht nachhaltig.
Der Wirtschaftswissenschaftler Tomas Casas gehört zum multidisziplinären Team, das jedes Jahr den Elite Quality Index für mehr als 150 Länder ermittelt.

Welt in der Dauerkrise: Eliten sind überfordert

Die Welt ist ja eigentlich in einer Dauerkrise, wie kann es da weitergehen?
Die Welt ist sehr komplex geworden. Überall in der Welt sind die Eliten überfordert. Daher müssen wir sektorübergreifende Lösungen finden. Eliten müssen integrativ denken können. Autobauer oder Maschinenbauer müssen heute KI verstehen, und Software kann ein Autobauer traditionell nicht. Auch müssen Eliten international kooperieren. Chinesische Eliten müssen westliche Werte verstehen, genauso wie sich unsere Eliten mit dem chinesischen und indischen Gedankengut zutiefst vertraut machen müssen.
Worin sehen Sie in diesem Zusammenhang die wichtigste Aufgabe für die Eliten in aller Welt?
Eine der größten Aufgaben von Eliten ist es, Narrative für die Zukunft zu schaffen. Ohne diese Referenzrahmen und Koordinationsmechanismen geht gar nichts. Doch im Augenblick gibt es nirgendwo Narrative, die in der Lage sind, unsere Krisen anzupacken.
Wo finden wir etwa zeitgenössische Narrative zur Globalisierung, wo doch so klar ist, dass die Fragmentierung von globalen Wirtschaftsräumen zur Inflation und Stagnation führt? Wie sollen wir uns positionieren gegenüber Technologien wie KI, die angeblich die Menschheit gefährden können? Und gerade in Deutschland gibt es ein ziemliches Narrative-Chaos bezüglich des Aufbaus erneuerbarer Energien. Das ist ein Scheitern der Wissenseliten. 

Elitentheorie wirtschaftlicher Entwicklung: Wege zur nachhaltigen Wertschöpfung finden

Ziel des internationalen und multidisziplinären EQx-Projekts ist es, Politik, Finanzwelt und Firmen zu Reformen und Transformationen hin zu nachhaltiger Wertschöpfung anzuregen. Wichtig sind nach der Elitentheorie der wirtschaftlichen Entwicklung der Forschenden nicht nur das Machtgefüge und die Institutionen in einem Staat – sondern auch die Anreize für Eliten und ihre Geschäftsmodelle. Fördert das Umfeld nachhaltiges Wachstum, Innovation und verantwortliches Agieren von Firmen und Politikern? Bezieht es die Anliegen künftiger Generationen mit ein? Oder wird toleriert, dass Eliten nach Maximierung des eigenen Gewinns streben – auch auf Kosten schwächerer Teile der Gesellschaft? 

Kern der Theorie sind die Geschäftsmodelle der Eliten. Diese können entweder Wert schöpfen und Wert ausbeuten. Welches Modell die Eliten wählen, bestimmt über Zukunft und Wohlstand eines Landes und damit den Rang des Landes im Elite Quality Index (EQx).

Die Universität St.Gallen stellt den EQx kostenfrei als interaktive Simulation für den Ländervergleich bereit.

*Dieses Bild wurde mithilfe maschineller Unterstützung erstellt. Dafür wurde ein Text-to-Image-Modell genutzt. Auswahl des Modells, Entwicklung der Modell-Anweisungen sowie finale Bearbeitung des Bildes: Art Director Nicolas Bruckmann.

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