Reform gegen Kinderarmut
Kindergrundsicherung wegen Haushaltskrise auf der Kippe: Verliert Lisa Paus ihr Prestigeprojekt?
Die Kindergrundsicherung steht durch das Haushaltsurteil wieder finanziell auf wackeligen Beinen. Zudem lehnen die Länder Teile der geplanten Reform ab. Forderungen nach einem Verzicht werden laut.
Berlin – Es ist eines der größten sozialpolitischen Projekte der Ampel-Koalition: die Kindergrundsicherung. Allerdings ist die Reform, die Kinderarmut bekämpfen soll, umstritten – auch innerhalb der Koalition selbst. Mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts stehen nun viele Projekte der Ampel auf der Kippe – die geplante Kindergrundsicherung könnte ebenso betroffen sein.
Haushaltsurteil: Steht die Kindergrundsicherung zur Disposition?
Otto Frick, Haushaltsexperte der FDP, habe laut dem Spiegel nach dem Haushaltsurteil bereits angedeutet, dass auch die Kindergrundsicherung zur Disposition stehen könnte. Fricke sagte dann auch gegenüber dem Sender Welt TV, dass die von ihm angemahnte Bereitschaft zu schwierigen Kompromissen in der Koalition für alle Partner gelten müsse.
Das gelte gerade angesichts der Forderungen von SPD und Grünen, dass es bei Sozialausgaben wie dem Bürgergeld oder der Kindergrundsicherung keine Abstriche geben dürfe. Die Aufgabe der Ampel sei nun: „Wir müssen gleichzeitig gucken: Können wir wirklich alles das noch machen, was wir machen wollten? Oder müssen wir hier eben Abstriche machen?“
CDU-Chef Friedrich Merz in der Opposition fordert dagegen schon offen, auf die Kindergrundsicherung zu verzichten, um die Haushaltslücke zu schließen. „Es geht eben nicht mehr alles“, sagte er in der ARD-Talkshow „Maischberger“ nach dem Haushaltsurteil. Die regierenden Grünen und SPD wehren sich zwar dagegen, doch die FDP war noch nie ein Fan der Kindergrundsicherung. Und bei der Lücke im Haushalt ist noch komplett offen und umstritten, wofür die Regierung im kommenden Jahr noch Geld ausgeben kann.
Paus kämpft für Kindergrundsicherung: „Kinderarmut betrifft unsere gesamte Gesellschaft“
Für die Familienministerin Lisa Paus (Grüne) wäre ein Verzicht desaströs, sie will weiter für ihr Prestigeprojekt kämpfen: „Es wäre „fatal, wenn wir bei denjenigen sparen, die es am nötigsten brauchen: bei von Armut betroffenen Kindern“, sagte Paus der Nachrichtenagentur AFP noch vor den ersten Beratungen des Bundesrats über die Kindergrundsicherung. Sie verwies dabei auf die hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten durch Kinderarmut.
„Kinderarmut betrifft nicht nur Millionen von Kinder in Deutschland“, sagte Paus. „Kinderarmut betrifft unsere gesamte Gesellschaft, unsere gesamte Wirtschaft.“ Die gesamtgesellschaftlichen Kosten vergangener und aktueller Kinderarmut beliefen sich in Deutschland im Jahr 2019 auf etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
„Es wird uns also nicht helfen, die Wirtschaft und das Soziale gegeneinander aufzurechnen“, sagte die Ministerin. „Wir brauchen beides. Deutschland kann es sich nicht leisten, noch länger zuzusehen, wie sich Kinderarmut weiter verfestigt. Gerade in Zeiten wie diesen kommt es auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt an.“
Wegen Bürokratie: Länder lehnen Teile der Kindergrundsicherung ab
Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 wesentliche Familienleistungen bündeln und leichter zugänglich machen. Um das Gesetz hatte es ein monatelanges Ringen zwischen Paus und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gegeben. Paus hatte dabei deutlich höhere Mittel für die Kindergrundsicherung gefordert, sich aber nicht durchsetzen können.
Doch auch in der abgespeckten Version steht die Kindergrundsicherung durch das Haushaltsurteil wieder finanziell auf wackeligen Beinen – zudem ist sie weiter umstritten. Denn den Ländern im Bundesrat ist das Gesetz in der bisherigen Form zu bürokratisch – ein Punkt, den Paus mit der Reform eigentlich verbessern wollte. Aus Sicht der Bundesländer handelt es sich aber wohl eher um ein Verschlimmbessern. Das geht aus einer Stellungnahme hervor, die der Bundesrat aktuell abgab.
Die Länder lehnen darin Teile der Kindergrundsicherung ab, besonders kritisch sehen sie die Doppelstrukturen in den Verwaltungen. Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré von den Grünen erklärt: „Der Familienservice würde die Zuständigkeit für die zu pauschalisierenden Leistungen übernehmen und den Ländern würde die Zuständigkeit für die nicht zu pauschalisierenden Leistungen übertragen. Aus Perspektive der Familien wird damit eine Leistung auf unterschiedliche Behörden aufgeteilt.“
Ähnliche Kritik kommt auch von anderen Landesministerinnen und -ministern. Berlins Familiensenatorin Katharina Günther-Wünsch von der CDU sagte: „Die geplante Umsetzung über die Bundesagentur für Arbeit unter der neuen Bezeichnung Familienservice wird mit Doppel- und Parallelstrukturen einhergehen. Die Beratungsstrukturen bei den Jobcentern würden verloren gehen, und Familien verlieren da auch schon sehr eingeübte Ansprechpartner.“
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte angesichts des Haushaltsurteils ein „Moratorium für alle neuen Leistungsgesetze in dieser Legislaturperiode“. Die Kindergrundsicherung solle demnach unter anderem ausgesetzt werden, um ein unbürokratisches Verfahren zu finden.
Mit Material der dpa und AFP
