Geht der Plan auf?
„Im Moment will Putin einen Krieg gewinnen“ – Nach „Höhenflug“ droht Russlands Wirtschaft der Absturz
Mit hohen Investitionen möchte Wladimir Putin die russische Wirtschaft beleben – doch die Ressourcen sind irgendwann aufgebraucht. Erfolgssignale sind lediglich Momentaufnahmen.
Moskau – Die Liste der Herausforderungen für die russische Wirtschaft ist lang. Die Inflation steigt, Sanktionen schmälern Einnahmen bei wichtigen Geschäften, es fehlt an Fachkräften – und trotzdem hält der russische Präsident Wladimir Putin an seiner großzügigen Fiskalpolitik fest. „Putin hat die Sparmaßnahmen aufgegeben“, schreibt die britische Wochenzeitung The Economist jüngst in einer Analyse über Russlands Wirtschaft. Die Autoren rechnen damit, dass Russlands Finanzreserven in etwa fünf Jahren erschöpft sein werden. „Aber im Moment will Putin einen Krieg gewinnen. Und so geht die Party weiter.“
Putins Umstellung von Russlands Wirtschaft – hohe Ausgaben für den Ukraine-Krieg
Seit dem Ukraine-Krieg hat Putin viel Geld in das Militär investiert. Auch der Haushalt steht im Zeichen des Kriegs – so kündigte der Kreml letztes Jahr an, 2024 umgerechnet etwa 109 Milliarden Euro für das Militär ausgeben. Das macht fast ein Drittel des Gesamthaushaltes aus. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr war nur etwa die Hälfte für den Verteidigungshaushalt geplant.
Der russische Präsident hat zudem Ende Juli die Vorauszahlungen für Freiwillige, die in der Ukraine kämpfen, verdoppelt. Alle Russen, die einen Vertrag mit der Armee unterzeichnen, erhalten laut der Nachrichtenagentur Reuters nun eine Vorauszahlung von 400.000 Rubel. Eine Maßnahme, die die Rekrutierung von Soldaten erleichtern soll. Doch profitiert Russlands Wirtschaft langfristig von dieser spendablen Geldpolitik?
Zunächst stellt sich die Frage, wie lange der Staat genug Geld für diese Investitionen zur Verfügung haben wird. Im Juni 2024 blieb das russische Haushaltsdefizit mit 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) unverändert gegenüber Mai, da das Wachstum der Einnahmen (außer Öl und Gas) die Ausgaben ausglich, zitierte Reuters das russische Finanzministerium. Im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres war das Haushaltsdefizit mit 1,4 Prozent des BIP mehr als doppelt so hoch. The Economist rechnet noch in diesem Jahr mit einem hohen Haushaltsdefizit von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Russlands Wirtschaft wächst offenbar – doch die Inflation bleibt ein Problem
Offiziell wächst die russische Wirtschaft aufgrund der hohen Militärausgaben. Doch diese Wirtschaftsführung ist langfristig nicht nachhaltig und könnte zur Überhitzung führen. Das lässt sich beispielsweise auch an der hartnäckigen Inflation erkennen, die deutlich über dem vier Prozent-Ziel liegt. Um die Inflation einzudämmen, hat die Russische Zentralbank im Juli den Leitzins von 16 auf 18 Prozent angehoben. Dadurch soll laut The Economist der Rubel gestärkt werden, indem ausländische Investitionen aus „befreundeten“ Ländern wie China und Indien angelockt werden, was wiederum die Preise für Importe und damit die Inflation senkt.
Doch bisher sei es nicht gelungen, die Inflation einzudämmen. „Wenn man sich nur die Zahlen ansieht, ist die makroökonomische Politik Russlands völlig unausgewogen“, sagt Iikka Korhonen, Direktor der Bank of Finland Institute for Emerging Economies Ende Juli 2024 gegenüber der Financial Times. „Das zeigt, wie sich dieser große Ausgabenboom auf andere Wirtschaftssektoren auswirkt“, sagt er und verweist auf einen Anstieg der Preise. Das würde der Regierung und der Zentralbank Sorgen bereiten.
Auch die Russische Zentralbank räumte in einer Mitteilung Ende Juli ein: „Die Inflation hat sich beschleunigt und liegt deutlich über der April-Prognose der Bank von Russland.“ Hinzu kommt, dass viele Haushalte in Russland so viel konsumieren wie nie. Auch das heizt die Inflation zusätzlich an. Russland befinde sich unerwartet inmitten eines Konsumbooms, schreibt Financial Times.
Sanktionen haben Auswirkungen auf Russlands Wirtschaft – Chinas Banken werden unruhig
Gouverneurin Elvira Nabiullina sagte, dass russische Unternehmen zudem mit höheren Kosten und Zahlungsproblemen konfrontiert seien, da der Westen Druck auf Russlands Handelspartner ausübe, dem Land nicht mehr bei der Umgehung der Sanktionen zu helfen. „Die Risiken von Sekundärsanktionen haben in der Tat zugenommen. Wir sehen das an der schwierigen Situation bei den Zahlungen“, sagte Nabiullina auf einer Pressekonferenz.
Die Sekundärsanktionen der USA nehmen besonders Finanzinstitute ins Visier, die Putin beim Ukraine-Krieg unterstützen. In den vergangenen Monaten gab es Berichte, dass die Sekundärsanktionen dazu führten, dass sich wichtige Banken aus China von Russland abgewandt haben sollen und es zu Verzögerungen beim Zahlungsverkehr zwischen chinesischen und russischen Instituten gekommen sei.
Hat sich Russlands Wirtschaft vom Ukraine-Krieg und den Sanktionen erholt?
Dennoch sind die meisten Russen laut The Economist hinsichtlich der Entwicklung der russischen Wirtschaft guter Dinge. „Im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern haben die Russen ein gutes Gefühl, was die Wirtschaft angeht“, heißt es in der Analyse. Russlands Wirtschaftswachstum sank laut der AFP von April bis Juni von 5,4 Prozent im ersten Quartal auf 4 Prozent. Es handelt sich um das niedrigste Quartalsergebnis der russischen Wirtschaft seit Anfang 2023 – dennoch gebe es auch Zeichen dafür, dass die Wirtschaft expandiert. (bohy)