Gastbeitrag Prof. Michael Hüther
Abhängigkeit von China: Diversifizieren und aus Fehlern lernen
Die Abhängigkeit Deutschlands von China wächst. Das ist gefährlich, wie der Blick auf jahrelangen, vermeintlich billigen russischen Gas-Lieferungen zeigt. Doch welche Lehren sollte die deutsche Wirtschaft daraus mit Blick auf die steigenden chinesischen Importe ziehen und wie sollte der Bund reagieren? Prof. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rät zu Umsicht - und mehr Handel.
Köln – 84 Milliarden Euro betrug das Handelsbilanzdefizit der deutschen Volkswirtschaft gegenüber China im vergangenen Jahr – im Vergleich zu 2021 hat es sich mehr als verdoppelt. Mit voller Kraft steuert unser Land im Außenhandel mit China in die falsche Richtung, die importseitige Abhängigkeit wird von Jahr zu Jahr größer.
Das gestiegene Handelsdefizit ist unter anderem Ausdruck der gegenwärtigen Energiekrise in Europa und insbesondere in Deutschland. Steigen hierzulande die Preise für Vorprodukte aufgrund der teuren Energie, werden mehr billige Vorprodukte aus chinesischer Produktion gekauft. Vieles spricht aber auch dafür, dass China die Entwicklung durch Subventionen und Importhemmnisse politisch herbeiführt und langfristig angelegt hat. Dass eine solche Entwicklung zu Problemen führen kann, zeigt uns der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit knapp einem Jahr.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.
Das Dilemma deutscher Unternehmen in China
Unternehmen in China sehen sich einem Dilemma ausgesetzt: Einerseits ist es ihre Aufgabe, Gewinne zu erzielen und diese nachhaltig, also kapitalschonend zu sichern, andererseits haben sie in moralischer Hinsicht eine Ordnungsverantwortung. Deutlich wird das etwa in Bezug auf Arbeitsrechte in China. Viel drastischer kann dieser Konflikt bei kriegerischen Handlungen zum Ausdruck kommen. Unternehmen müssen sich daher die Frage stellen, wie sie beispielsweise im Falle einer chinesischen Invasion in Taiwan handeln würden. Wird das Geschäft wie gewohnt fortgesetzt, zurückgefahren oder ganz auf Eis gelegt? Solche Überlegungen müssen im Risikomanagement der Unternehmen eine Rolle spielen und ehrlich beantwortet werden. Es gilt: Man muss sich auf alles einstellen, auch auf das denkbar Schlechteste.
Doch wie sollte man auf problematische Abhängigkeiten und moralische Dilemmata reagieren? Viele rufen hierbei schnell nach Decoupling – eine irrationale Übersprungshandlung. In Erwartung einer möglicherweise schwierigen künftigen Beziehung zu China alle Zusammenarbeit zu beenden, wäre keine sonderlich intelligente Strategie. Auch wenn der Satz „Wandel durch Handel“ im Falle Russlands offenbar nicht galt, ist er nicht grundsätzlich falsch.
Zudem ist die chinesische Volkswirtschaft viel zu groß, als dass man sie einfach ignorieren könnte. Dagegen ist Diversifizierung ein probates Mittel, weil es die eigene Abhängigkeit reduziert und die Entscheidungsfindung bei moralischen Dilemmata erleichtert. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat das erkannt und betont immer wieder, dass es für widerstandsfähigere Lieferketten neue Handelspartner braucht.
Abhängigkeit von China: Der deutsche Staat muss aktiv werden
Dabei darf die Regierung nicht nur die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Neben den Firmen muss vor allem der Staat auf der Makroebene, insbesondere durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen, aktiv werden und seinen Beitrag leisten. Schon aufgrund der marktwirtschaftlichen Logik kann nicht allein von den Unternehmen erwartet werden, Verantwortung zu übernehmen. Dass die Kreditabsicherung deutscher Unternehmen in China abgebaut wurde, ist ein wichtiger Schritt. Anreize werden so verlagert, insbesondere Investitionsentscheidungen deutscher Unternehmen.
Gleichzeitig muss die Politik etwa durch Handelsabkommen dafür Sorge tragen, dass die Alternativen, die für Diversifizierung unabdingbar sind, attraktiver werden. Zu nennen wären hier etwa das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das Mercosur-Abkommen mit den südamerikanischen Staaten oder das Abkommen mit den ASEAN-Staaten. Im Fall von Russland haben wir den Preis für unsere Abhängigkeit bezahlt. In China können wir aus unseren Fehlern lernen und es besser machen – auch wenn die Zeit drängt.
Derweil verändert sich die wirtschaftliche Strategie von China in Europa.
Zur Person: Prof. Michael Hüther (Jahrgang 1962) ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und seit 2004 Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.