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Analyse 

Fenster putzen statt Karriere: Millionen Uni-Absolventen in China bekommen keine passenden Jobs

Pakete sortieren oder Fenster putzen: Millionen Uni-Absolventen verdingen sich in China als überqualifizierte Hilfskräfte.
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Pakete sortieren oder Fenster putzen: Millionen Uni-Absolventen verdingen sich in China als überqualifizierte Hilfskräfte (Symbolbild)

Die Situation für junge Menschen auf dem chinesischen Arbeitsmarkt ist sehr angespannt. Vertragsverlängerungen werden zum Kürzen der Gehälter missbraucht.

Die Lage am chinesischen Arbeitsmarkt ist seit der Coronakrise angespannt. Die großen Probleme sind durchaus bekannt: die sich verlangsamende wirtschaftliche Erholung des Landes, das politische Vorgehen gegen den Techsektor und die Immobilienkrise. Dabei sehen die offiziellen Zahlen gar nicht so schlecht aus. 5,2 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit im Land und ist weitgehend stabil.

Viele der Veränderungen vollziehen sich allerdings unter der Oberfläche. Zum Beispiel werden Gehälter bei Vertragsverlängerungen häufig gekürzt. Das ändert nicht den Erwerbsstatus, führt aber zu deutlichen Einbußen für den Arbeitnehmer.

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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie China.Table am 14. August 2023.

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Die Hälfte des Gehalts fällt weg

Zhang Jie (Name geändert) ist genau davon betroffen. Er hatte früher ein ziemlich gutes Einkommen als Projektleiter. 6.000 Yuan (circa 800 Euro) im Monat als Grundgehalt. Zusätzlich bekam er für jedes Projekt eine Bonuszahlung. Für einen Job in seinem Metier in einer Großstadt zweiten Ranges (second tier) ist das ein Durchschnittsgehalt.

Dann lief Zhangs Vertrag aus, ein Neuer musste unterzeichnet werden – und es folgte das böse Erwachen. „Die Bonuszahlungen fallen ab sofort weg“, sagt er. „Damit verdiene ich ein Drittel weniger als vorher.“

So wie Zhang müssen viele Arbeitnehmer, die neue Verträge abschließen, deutliche Einbußen hinnehmen. Viele Arbeitsverhältnisse, besonders im projektorientierten Bereich, funktionieren nach diesem Modell. Bis zu 50 Prozent des Gehaltes kann der Verlust der Bonuszahlungen ausmachen. Dennoch gehört Zhang im Grunde zu den Gewinnern: Er hat mehrere Jahre Arbeitserfahrung und sitzt nicht wie viele andere auf der Straße.

Besonders betroffen sind Berufsanfänger

Vor allem die ganz jungen Erwerbssuchenden des Landes verfügen über keinerlei Berufserfahrung. Sie werden von der Arbeitslosigkeit deshalb unverhältnismäßig hart getroffen. Bei den 16-24-jährigen beträgt die Arbeitslosenquote mittlerweile 21,3 Prozent. Das beinhaltet einerseits ungelernte Jobanfänger, aber auch mehrere Millionen Universitätsabsolventen, die jedes Jahr den Arbeitsmarkt schwemmen. Ihre Aussichten wurden vor allem durch das harte Durchgreifen im Tech- und privaten Bildungssektor getrübt.

Ein Job bei einer deutschen Firma gilt bei vielen Chinesen noch immer als Glücksgriff. Mitarbeiter deutscher Unternehmen müssen vor dem Hintergrund der schwierigen Wirtschaftslage beim Gehalt zwar noch keine Einbußen hinnehmen. Ihr Einkommen wächst jedoch zunehmenden langsamer, wie aus einem am Montag veröffentlichten Arbeitsmarktbericht der Deutschen Handelskammer in Peking hervorgeht. Im Jahr 2023 stiegen die effektiven Löhne demnach um 4,76 Prozent. Es ist das erste Mal in drei Jahren, dass die effektiven Löhne unter den Erwartungen lagen.

Deutsche Firmen erwarten sinkenden Lohnzuwachs

„Deutsche Unternehmen haben dieses Jahr niedrigere Gehaltserhöhungen angeboten als prognostiziert, was die vorsichtige Herangehensweise an den chinesischen Markt widerspiegelt“, sagt Ulf Reinhardt, Vorsitzender der Deutschen Handelskammer in China für Süd- und Südwestchina.

Auch für 2024 ist keine Besserung in Sicht: Dann erwarten die deutschen Unternehmen in China nur noch ein Lohnwachstum von 4,49 Prozent. Es wäre das vierte Jahr in Folge mit einem Lohnwachstum von weniger als fünf Prozent. „Die Aussicht auf noch geringere Gehaltserhöhungen im Jahr 2024 bereitet Anlass zur Sorge und deutet auf anhaltende Schwierigkeiten im Markt hin“, urteilt Reinhardt.

Das sind trübe – doch vergleichsweise noch gute Aussichten. Denn es geht weitaus schlimmer. Wer jetzt neu in den Arbeitsmarkt eintritt, sieht sich nicht selten mit extremen Forderungen konfrontiert. Jobs mit 70-Stunden-Woche für ca. 400 Euro Monatsgehalt sind keine Seltenheit an den Jobbörsen.

Phänomen „Vollzeit-Kinder“

Betty Chen (Name geändert) hat ein abgeschlossenes Englisch-Studium hinter sich und schon etwas Erfahrung im Sales-Bereich gesammelt. Für den Assistenzjob, für den sie sich beworben hat, musste sie in derselben Firma drei Job-Interviews am gleichen Tag führen. Und das – so signalisierte ihr die Pekinger Firma hinterher – war nur die erste Runde. Mindestens zwei weitere würden noch folgen.

Doch die Arbeitslosigkeit trägt noch weitaus groteskere Früchte. Manche Eltern stellen kurzerhand ihre Kinder als „Vollzeit-Kinder“ein. Sie bekommen dann von ihren Eltern ein regelmäßiges Gehalt, das dem mittleren Lohnniveau entspricht. Dafür verrichten sie Hausarbeit, gehen einkaufen oder kümmern sich um die kranke Großmutter.

Laut einer Caixin Meinungs-Kolumne der Forscherin Zhang Dandan dürfte das Phänomen zu einer erheblichen Verzerrung der Statistiken führen. Denn laut Zhang werden „professionelle Kinder“ nicht mehr als Arbeitssuchende geführt, was bedeutet, dass die wirkliche Quote der Arbeitssuchenden deutlich höher liegen dürfte, als offiziell angegeben. Sie schätzt, dass sich die eigentliche Arbeitslosenrate in dem Alterssegment auf bis zu 45 Prozent belaufen könnte.

Schuften wie einst die Parteiführer

Ein Teil der gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die eigentlich für den Tech- oder Medienbereich qualifiziert sind, nimmt derweil in Kauf, was Parteichef Xi Jinping als „Bitterkeit schlucken“ bezeichnet hatte, um überhaupt ein Einkommen zu erzielen. Sie verdingen sich in Bereichen, für die sie restlos überqualifiziert sind. Sie gehen in die Gebäudereinigung und verdienen mit Putzen ihr Geld. Auch hier sind die Löhne für die Absolventen natürlich gering.

Der Kommunistischen Partei bereitet das öffentlich keine Sorgen. Viele Funktionäre ziehen Vergleiche zur Zeit der Kulturrevolution, in der auch Xi Jinping als Landarbeiter in einer Höhle lebte.

Doch auch andere Stimmen werden laut. Denn sowohl die professionellen Kinder als auch die überqualifizierten Putzkräfte haben eines gemeinsam: Sie sammeln keinerlei Berufserfahrung in ihren Gebieten. Damit werden sie laut Experten langfristig nicht mehr vermittelbar sein. Die Ausbildung, für die ihre Eltern teils aufopfernd viel Geld gezahlt haben, wird damit schlicht effektiv verbrannt. (Mitarbeit: Jörn Petring)

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