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Ehrgeizige Pläne

Richtungswechsel auch wegen Taiwan-Krise: China rüstet sich für den Wirtschaftskrieg mit dem Westen

Die besten Mikrochips der Welt kommen derzeit vom taiwanischen Hersteller TSMC.
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Die besten Mikrochips der Welt kommen derzeit vom taiwanischen Hersteller TSMC.

China will unabhängiger vom Westen werden, koste es, was es wolle. Das hat auch mit dem Taiwan-Konflikt zu tun – aber nicht nur.

München/Peking – Ohne sie geht nichts: Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, kurz TSMC, ist der weltweit größte Auftragsfertiger für besonders leistungsfähige Mikrochips. Ohne die Halbleiter aus Taiwan würde die Weltwirtschaft ins Stottern geraten, könnte Audi keine Autos mehr bauen und Apple keine Smartphones. Auch Firmen in China sind abhängig von den winzigen Bauteilen. Etwa Foxconn, das seinen Hauptsitz zwar in Taipeh hat, auf dem chinesischen Festland aber mehr Menschen für sich arbeiten lässt als jedes andere Privatunternehmen. Würde der Chips-Nachschub aus Taiwan ausbleiben, dann stünden etwa in Shenzhen, wo Foxconn für Apple das iPhone zusammenschrauben lässt, schnell die Bänder still.

Das weiß man auch in Peking. Manche Experten halten es deshalb für unwahrscheinlich, dass China schon bald zum Angriff auf Taiwan blasen wird, das die kommunistische Führung des Landes als „abtrünnige Provinz“ betrachtet. Denn eine Invasion könnte die Anlagen von TSMC und anderen Chipherstellern beschädigen oder zumindest die Produktion erheblich stören. Wie sensibel die Halbleiterherstellung ist, zeigte sich beispielsweise im vergangenen Jahr im Dresdner Werk von Infineon, wo ein lediglich 20-minütiger Stromausfall die Produktion für mehrere Wochen zum Erliegen brachte.

China versucht deshalb, eine eigene Chipindustrie aufzubauen, die es mit den Weltmarktführern aus Taiwan aufnehmen kann. Bis zum Jahr 2025 soll 70 Prozent des Bedarfs an Halbleitern im eigenen Land produziert werden, so das Ziel der Regierung in Peking, die dafür jedes Jahr viele Milliarden Dollar in die Hand nimmt. Zuletzt vermeldete der chinesische Hersteller SMIC, einen mehrjährigen Entwicklungsrückstand aufgeholt zu haben; dennoch wurden zuletzt nur knapp 17 Prozent der Chips, die in China verbaut werden, in der Volksrepublik hergestellt. Zudem handelt es sich nicht um die besonders leistungsfähigen Halbleiter der neuesten Generation. Und es gibt Gegenwind aus Taiwan: Die Regierung in Taipeh verbietet es ihren Halbleiter-Unternehmen, neue Produktionsanlagen in China zu errichten, um eine Abwanderung von Spitzentechnologie zu verhindern.

„China sieht sich mit den USA in einem Wettbewerb um die Vormachtstellung in der Welt“

In Peking führt man derzeit ähnliche Debatten wie in Berlin, Washington oder Brüssel – nur unter gänzlich anderen Vorzeichen. In Europa war es der Ukraine-Krieg, der schmerzhaft vor Augen geführt hat, in welche Abhängigkeit von autoritären Regimen man sich begeben hat. Sollte China eines Tages tatsächlich Taiwan angreifen, stünde man vor einem ähnlichen Dilemma wie nun im Umgang mit Russland: Eine wirtschaftliche Abkoppelung wäre extrem teuer, extrem schwierig und wohl nur unter großen Wohlstandsverlusten möglich.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Peking geht es um etwas anderes. „China will sein Entwicklungsmodell ändern, weg vom Export, hin zu Wachstum, das von Innovation und Binnenkonsum angetrieben wird“, erklärt Alexander Brown von der China-Denkfabrik Merics im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA. „Chinas Führung befürchtet, dass das Land jederzeit abgeschnitten werden könnte von internationalen Warenströmen und von ausländischer Technologie. Das hätte große Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Deshalb will man unabhängiger vom Ausland werden.“

Es war vor allem der Handelskrieg, den Donald Trump gegen China gestartete hatte, der zu einem Umdenken in Peking geführt hat. Die Taiwan-Krise hat die internationale Lage nun noch einmal deutlich verschärft. Peking fürchte Sanktionen des Westens, sollte es die Insel angreifen, sagt Brown. „Es geht China mit seiner Strategie, vom Ausland unabhängiger zu werden, aber um Grundsätzlicheres: Peking sieht China und die USA in einem Wettbewerb um die Vormachtstellung in der Welt und glaubt, dass die USA Chinas Aufstieg eindämmen wollen. Selbst wenn es die Taiwan-Frage nicht gäbe, würde China dieselben Ziele verfolgen.“

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Die Corona-Pandemie bremst Chinas Pläne aus – bringt sie aber nicht zum Erliegen

Erste Erfolge auf dem Weg dahin feiert China etwa im Bereich der E-Mobilität, wo deutsche Hersteller bei den Verkaufszahlen längst abgeschlagen hinter Unternehmen aus China landen. Auch bei grünen Energien, Künstlicher Intelligenz oder Hochgeschwindigkeitszügen sehen Experten das Land vorne. In der Luftfahrtindustrie versucht Peking ebenfalls, unabhängiger vom Westen zu werden. Schon in diesem Jahr sollen die ersten Exemplare der Comac C919 ausgeliefert werden, des ersten in China entwickelte Zivil-Großflugzeugs. Viele Jahre Planung stecken in dem Flieger – aber auch viele Bauteile aus dem Westen, etwa die Triebwerke, die vom französisch-amerikanischen Hersteller CFM stammen. Bis China ein Flugzeug ganz aus eigener Kraft konstruieren kann, dürften noch Jahre oder Jahrzehnte vergehen.

Zu Pekings Decoupling-Plänen gehört es, bestimmte Schlüsseltechnologien mit viel Geld im Inland aufzubauen. Bis 2025, so der aktuelle 14. Fünfjahresplan der Volksrepublik, soll China zur führenden Hightech-Macht aufsteigen. Und 2049 will das Land, pünktlich zum 100. Jahrestag der Staatsgründung, weltweit führende Wirtschaftsmacht werden. Miese Konjunkturdaten aufgrund der nicht enden wollenden Corona-Lockdowns haben die Führung zumindest von den kurzfristigen Zielen ein Stück weit abrücken lassen: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wuchs die Wirtschaft der Volksrepublik im vergangenen Quartal um nur 0,4 Prozent, das im Frühjahr ausgegebene Jahresziel von 5,5 Prozent dürfte kaum mehr zu erreichen sein. Auf Chinas langfristige Strategie habe das aber keinen Einfluss, so Experte Brown.

Immer mehr Ausländer verlassen China – das bekommt auch die Wirtschaft zu spüren

Die Europäische Handelskammer in China sieht die Erfolgschancen von Pekings Strategie dennoch kritisch. Es ergebe wirtschaftlich betrachtet nur wenig Sinn, Güter im eigenen Land herstellen zu wollen, die man günstig auf dem Weltmarkt beziehen könne, heißt es in einem Positionspapier. Zudem halte die Ankündigung der Volksrepublik, sich wirtschaftlich unabhängiger machen zu wollen, ausländische Unternehmen davon ab, in China zu investieren. Internationale Experten würden das Land meiden, die Innovationskraft Chinas sinken. Schon heute verlassen immer mehr Ausländer das Land, nicht zuletzt aufgrund der harten Corona-Beschränkungen. Im vergangenen Jahr leben in China laut offizieller Statistik nur rund 845.000 Ausländer – bei 1,4 Milliarden Einwohnern. Tendenz fallend.

Unter dem Schlagwort der „zwei Kreisläufe“ soll nun zusätzlich zum Export auch der Binnenkonsum angekurbelt werden. Der Anteil des privaten Konsums machte in China zuletzt rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und damit weniger als noch im Jahr 2000. In westlichen Industrienationen liegt der Wert zehn bis 20 Prozentpunkte höher. „Um den Binnenkonsum anzukurbeln, müssten die Gehälter ansteigen“, sagt Brown. „Das derzeitige chinesische Wirtschaftsmodell basiert aber zu einem großen Teil auf billiger Arbeitskraft, auch für den Export. Da besteht ein gewisser Interessenskonflikt, der nur schwer zu lösen ist.“ Gleichzeitig schrumpft in China die erwerbstätige Bevölkerung, zudem sind viele Menschen gezwungen, viel Geld fürs Alter beiseite zu legen, da die staatliche Absicherung nicht ausreicht.

Chinas Wette auf die Zukunft: Konsequenzen auch für Deutschland?

Ob die wirtschaftliche Entflechtung vom Westen so schnell klappt, wie man sich das in Peking vorstellt, ist ungewiss. Es ist eine Wette auf die Zukunft, die die Kommunistische Partei aber trotz aller Risiken und Unsicherheiten eingeht. Dazu ist China auch bereit, gewisse Wohlstandsverluste hinzunehmen. „Die wirtschaftlichen Kosten werden als weniger wichtig angesehen als die Ziele, die man verfolgt“, sagt Merics-Experte Brown. Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China, glaubt dennoch nicht, dass China seine Ziele bald erreicht. „In absehbarer Zukunft wird sich das technologische und wirtschaftliche Autarkiebestreben der chinesischen Regierung nicht realisieren lassen“, sagt Hildebrandt Merkur.de von IPPEN.MEDIA. „Das verarbeitende Gewerbe in China stützt sich weiterhin in großem Umfang auf importierte Teile. Schlüsseltechnologien – gerade in Bereichen wie Medizin- und Halbleitertechnik – sind trotz massiver staatlicher Subventionen weiterhin auf ausländisches Know-how angewiesen.“

Und es gibt weitere Probleme, etwa massive Korruption. Seit Mitte Juli wurden Dutzende Top-Beamte wegen Bestechlichkeit festgenommen, darunter Industrieminister Xiao Yaqing. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, sich im Zusammenhang mit Pekings Plänen, die Halbleiterindustrie aufzubauen, bereichert zu haben. Wo viele Milliarden in einige wenige Schlüsselindustrien fließen, ist die Bereitschaft offenbar groß, sich möglichst viel davon in die eigenen Taschen zu schaufeln.

Wenn China seine Industrie mit gigantischen Subventionen aufpumpt, ist weniger Platz für ausländische Unternehmen. Vor allem für Deutschland könnte das ungemütlich werden. China ist der wichtige Handelspartner der Bundesrepublik, im vergangenen Jahr exportierten deutsche Unternehmen Waren im Wert von rund 104 Milliarden Euro in das Land. Laut einer Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft hängen rund 1,1 Millionen deutsche Arbeitsplätze am Endverbrauch in China. Die Frage, ob Deutschland Sanktionen gegen China mittragen könnte, wollte Olaf Scholz am vergangenen Donnerstag auf der Bundespressekonferenz nicht beantworten; stattdessen verwies der Bundeskanzler darauf, dass sich Deutschland in Bereichen wie etwa der Versorgung mit Rohstoffen unabhängiger machen müsse.

Die EU reagiert – und China zeigt sich unbeeindruckt

„Die Abhängigkeiten zwischen Deutschland und China sind wechselseitig“, sagt Jens Hildebrandt. „China braucht Deutschland und Europa als Absatzmarkt sowie als Lieferant wichtiger Technologien.“ Dennoch müssten sich deutsche Unternehmen „angesichts stärker werdender und teilweise bevorzugt behandelter lokaler Konkurrenz dennoch auf einen zunehmend harten Wettbewerb in China einstellen“.

Auf europäischer Ebene versucht man bereits, Chinas wirtschaftlichem Nationalismus etwas entgegenzusetzen. So soll das Investitionsabkommen CAI europäischen Unternehmen fairere Wettbewerbsbedingungen in China bieten. Ende 2020 wurden die Verhandlungen über das Abkommen abgeschlossen, derzeit liegt es allerdings auf Eis: Das EU-Parlament verweigert die Ratifizierung, nachdem mehrere Abgeordnete, die sich kritisch über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang geäußert hatten, von China mit Sanktionen belegt wurden. Grünes Licht gaben die Parlamentarier hingegen für ein neues Instrument, mit dem Länder bestraft werden können, die europäische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen diskriminieren.

Ob sich die Volksrepublik davon beeindrucken lässt? Wohl kaum. In einer sogenannten „historischen Resolution“ zu den Errungenschaften der Kommunistischen Partei vom vergangenen Jahr bekennt sich die Führung in Peking mehrfach zu mehr Unabhängigkeit und Autarkie. Im Herbst will sich Staats- und Parteichef Xi Jinping zudem eine dritte Amtszeit sichern. Er würde dann noch mindestens fünf Jahre die Geschicke des Landes lenken, vielleicht sogar bis zu seinem Tod. Viel Zeit, um solch ehrgeizige Pläne noch in die Tat umzusetzen.

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