Fachkräftemangel
Steuerrabatte: „Liegt nicht am Steuerrecht, dass Deutschland zu wenige Fachkräfte aus dem Ausland hat“
Die Chefin der Ärztegewerkschaft Marburger Bund kritisiert den Steuerrabatt-Vorstoß für ausländische Fachkräfte. Es gäbe einen ganz klaren Grund, wieso Ärzte lieber in andere Länder auswandern als nach Deutschland.
Berlin – Mithilfe von Steuerrabatten soll Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland attraktiver machen. Geplant ist, dass neu zugewanderte Fachkräfte in den ersten drei Jahren zuerst 30, dann 20 und 10 Prozent vom Bruttolohn steuerfrei erhalten. Das könnte dem Staat rund 600 Millionen Euro pro Jahr kosten, rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft vor. Der Vorstoß stößt auf Kritik – auch in Branchen mit großer Personalnot.
Ein Drittel der praktizierenden Ärzte wird in den nächsten Jahren in Pension gehen. So waren laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamt Destatis im Jahr 2023 rund 31 Prozent der Human- und Zahnmediziner 55 Jahre oder älter. Patienten sollen daher künftig verstärkt ambulant und per Video oder Telefon betreut werden –immerhin sollen in Deutschland in den kommenden zehn Jahren rund 50.000 Ärzte fehlen. Um die Versorgung sicherzustellen, setzt Deutschland auch auf qualifizierte Zuwanderung. So hat jeder achte Arzt in Deutschland keinen deutschen Pass.
Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich nicht über Steuerrabatte zu lösen?
„Es liegt nicht am Steuerrecht, dass Deutschland zu wenige Fachkräfte aus dem Ausland hat, sondern an den Anerkennungsverfahren der beruflichen Qualifikationen“, meint etwa die Chefin der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Es verstoße außerdem gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn Fachkräfte aus dem Ausland durch steuerliche Anreize angeworben würden, aber die anderen Arbeitnehmer davon nicht profitieren.
Sie kritisiert, dass ausländische Ärzte in Deutschland teilweise jahrelang auf die Anerkennung ihrer Zeugnisse warten müssten, bevor sie vollumfänglich in der ärztlichen Versorgung eingesetzt werden könnten. Mehrere Hürden müssten abgebaut werden: Bürokratische Hürden, langwierige Anerkennungsverfahren und personell unterbesetzte Behörden, die „die gewünschte Willkommenskultur in Deutschland konterkarieren“. Das wäre auch längst im Ausland bekannt, weswegen Ärzte mit ausländischer Qualifikation lieber in andere Länder gehen.
Bürokratie-Wahnsinn: „Steuerliche Anreize werden nicht viel bewirken“
Sie fordert ein transparentes, effizientes, aber vor allem zentrales Anerkennungsverfahren. Derzeit liege die Prüfung bei den 16 regional zuständigen Approbationsbehörden mit unterschiedlichen Verfahrensweisen. „Wenn es Deutschland nicht gelingt, Fachkräften aus dem Ausland serviceorientiert und aufnahmebereit zu begegnen, werden auch steuerliche Anreize nicht viel bewirken“, sagte Johna.
Die Hürden sind auch in anderen Bereichen der Gesundheitsbranche ähnlich: Bürokratie, fehlende Digitalisierung und andauernde Verfahren, um Ausbildungen anerkennen zu lassen, kennt man auch aus dem Pflegebereich. In Nordrhein-Westfalen soll es nun zu einer sogenannten Verfahrensvereinfachung kommen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Erleichterungen bei der Anerkennung für Fachkräfte aus Algerien, Indien, Marokko oder Ukraine
Der Zugang zur Ausbildung im Pflege- und Gesundheitsbereich soll für Personen mit bestimmten Schulzeugnissen aus den Ländern Algerien, Indien, Iran, Marokko, Tunesien, Türkei und aus der Ukraine erleichtert werden. Personen, die eine generalistische Pflegeausbildung starten wollen, müssen bisher den Nachweis einer zehnjährigen Schulbildung erbringen. Nun sollen bestimmte Zeugnisse auch ohne Einzelfallprüfung mit einem Schulabschluss der Sekundarstufe I anerkannt werden - und zwar auch vom Ausland aus, heißt es in einer Aussendung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen.
„Der demographische Wandel sowie der Arbeits- und Fachkräftemangel in den Pflege- und Gesundheitsfachberufen erfordern hier neue Handlungsansätze und weniger Bürokratie“, so Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Nur dann könne man eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung mit Gesundheitsleistungen sicherstellen.
Deutsche Wirtschaft fordert „Willkommenskultur“
Auch deutsche Wirtschaftsverbände fordern angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland eine neue Art der „Willkommenskultur“. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer Peter Adrian meinte im Rahmen einer Aussendung: „Die Botschaft muss lauten: Wir freuen uns, euch hier in Deutschland begrüßen zu können. Und dafür gibt es sehr viele Ansätze. Das fängt bei der Visa-Erteilung an, wenn jemand nach Deutschland möchte, und hört bei der Bereitstellung von Wohnung und Kinderbetreuung auf. Wir haben hier in vielen Bereichen Defizite.“
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