Tobias Reiter im Interview
Biathlon: „Das war das Kernproblem“ - Bundestrainer hat klaren Plan und nennt eine Neuerung
Seit März ist Tobias Reiter Bundestrainer der deutschen Biathlon-Herren. Im Interview mit chiemgau24.de spricht er über Probleme der Vergangenheit, seine Strategie für die neue Saison und Ansätze, um jüngere Athleten in den Weltcup zu führen.
Reisbach - Nach der Biathlon-WM 2025 in der Lenzerheide kam es im Deutschen Skiverband (DSV) zu einem überraschenden Trainerwechsel. Uros Velepec und der DSV einigten sich auf eine vorzeitige Trennung. Nachfolger des Slowenen wurde Tobias Reiter.
Im Rahmen des Biathlon-Fanfestes im Bayern-Park traf chiemgau24.de den neuen Bundestrainer. Der 40-jährige vom ASV Oberwössen erklärt die Kernprobleme der Vorsaison, spricht über Neuerungen bei der Weltcup-Qualifikation und erklärt, wie die Lücke zwischen dem Weltcupteam und dem Nachwuchs geschlossen werden soll.
Biathlon: Bundestrainer Reiter im Interview - „Wollten die Jungs gezielt in die Planung einbinden“
Herr Reiter, Sie sind seit einem knappen halben Jahr Bundestrainer. Wie geht es im neuen Amt?
Reiter: Sehr gut, danke. In der ersten Phase waren wir noch mitten im Weltcup und hatten keine guten Trainingsbedingungen. Das haben wir dann als Kennenlernphase genommen, ehe es nach einer kurzen Pause im Frühjahr dann voll in die Arbeitsphase ging. In dieser sind wir aktuell und ich bin mit der bisherigen Entwicklung zufrieden.
Wo haben Sie zum Start in die Vorbereitung gezielt angesetzt?
Reiter: Wir haben schon im Vorfeld viele Einzelgespräche geführt und die Erkenntnisse mit in den Start der Vorbereitung genommen. Dann haben wir den Athleten die Zahlen, Daten und Fakten der Vorsaison präsentiert. Damit haben wir das Team für zwei Stunden alleine gelassen. Wir wollten den Jungs die Gelegenheit geben, sich mit den Zahlen zu befassen und sich selbst Gedanken dazu zu machen. Wir im Trainerteam hatten das schon vorab getan. Anschließend haben wir uns dann wieder als Gruppe zusammengesetzt und die Erkenntnisse verglichen. Das hat gut funktioniert, darauf konnten wir die weitere Trainingsplanung aufbauen.
Setzen Sie auf mehr Eigenverantwortung der Athleten?
Reiter: Wir wollten die Jungs gezielt in die Planung einbinden und die Vorbereitung nicht nur von Trainerseite aus vorgeben. Durch die angesprochene Vorgehensweise konnten wir den Plan besser koordinieren und die Jungs gezielt dort abholen, wo es nötig ist.
Eine Schwachstelle der Vorsaison war das Stehendschießen. Wie geht man dieses Thema an?
Reiter: Grundsätzlich können sie alle schießen, sonst wären sie nicht im Weltcup. Auf der technischen Ebene gibt es aber Kleinigkeiten, die wir angehen. Schwerpunkt ist, das grundsätzliche Können in den Wettkampf zu transportieren. Das war das Kernproblem in der letzten Saison.
Wo setzt man da konkret an?
Reiter: Da ist zum einen die mentale Ebene. Wir haben sportpsychologische Unterstützung ins Team geholt und bauen im Training gezielt Drucksituationen ein, die denen im Wettkampf möglichst nahe kommen. Die zweite Ebene betrifft den körperlichen Bereich. Wir erhöhen im Training ganz bewusst die läuferische Intensität vor dem Stehendanschlag. Man muss auch unter hoher Belastung gut schießen können. Das haben nicht nur wir als Trainerteam so identifiziert, auch die Jungs haben das immer wieder angesprochen.
Biathlon: Deutsche Meisterschaft gewinnt an Bedeutung - Türe für junge Athleten ist offen
Für den Weltcupstart in Östersund sind bislang nur Philipp Nawrath und Justus Strelow gesetzt. Wie läuft das Qualifikationsverfahren für die vier offenen Plätze?
Reiter: Wir benennen zwei Starter nach Trainerentscheid, zwei ergeben sich aus der Vorbereitung. Dabei zählen wir die drei Rennen bei der Deutschen Meisterschaft zusammen und lassen sie mit 40 Prozent in die Qualifikation einfließen. Die offenen 60 Prozent ergeben sich dann aus den Qualifikationsrennen, die wir im letzten Trainingslager vor dem Weltcupstart in Schweden abhalten. Diese Rennen bestreiten wir im Rahmen der Testrennen, die auch die schwedische Mannschaft absolviert.
Wer kämpft um die offenen Plätze?
Reiter: Die weiteren Athleten aus der Lehrgangsgruppe 1a und Lucas Fratzscher aus der Lehrgangsgruppe 1b. Über die Deutsche Meisterschaft haben aber noch andere Athleten die Chance, sich für Schweden zu empfehlen und dort um den Startplatz zu kämpfen. Das gilt gezielt auch für die jüngeren Athleten.
Apropos – während bei den Damen viel Talent schon im Weltcup startet, ist die Herrenmannschaft vergleichsweise alt. Wie beurteilen Sie die Lage rund um den männlichen Nachwuchs?
Reiter: Wir haben bei den Herren keine Übertalente, das ist offensichtlich. Aber wir haben gut ausgebildete Athleten, die gerade in der Übergangsphase sind. Sie sind sehr fleißig und diszipliniert, müssen sich den Weg nach oben aber hart erarbeiten. Jetzt hoffen wir, dass der eine oder andere den nächsten Schritt macht, um dann vielleicht schon in diesem Winter im Weltcup zum Einsatz zu kommen. Von meiner Seite ist da alles offen, aber dazu muss natürlich die Leistung stimmen.
Die Tür zum Weltcup müsste doch aber eigentlich offen sein. In der vergangenen Saison haben es nur Nawrath und Danilo Riethmüller auf ein Einzelpodest geschafft . . .
Reiter: Auf der anderen Seite waren beim Saisonfinale in Oslo aber sechs unserer Jungs beim Massenstart dabei. Da laufen nur 30 Athleten, das darf man nicht vergessen. Wir haben ein relativ ausgeglichenes Team. Klar ist aber auch, dass wir daraus mindestens einen entwickeln wollen, der konstant aufs Podium läuft.
Was unternehmen Sie, um die Brücke zu den jüngeren Sportlern zu schaffen?
Reiter: Wir haben zwei Trainingslager gemeinsam absolviert – also Lehrgangsgruppe 1a und 1b. Dabei können die jüngeren Sportler gezielt von den älteren lernen. Außerdem haben wir neu eingeführt, dass wir über alle Stützpunkte hinweg einen einheitlichen Belastungs- und Erholungsrhythmus eingeführt haben. Das verbessert die Vergleichbarkeit.
Was heißt das genau?
Reiter: Egal an welchem Stützpunkt ich trainiere, per Datenanalyse kann ich mich mit den anderen Athleten vergleichen. Als Beispiel: Am Stützpunkt in Ruhpolding findet eine Belastungseinheit statt, auch in Oberhof findet eine Belastungseinheit statt. Daraus ergeben sich Werte, die sich dann vergleichen lassen und einen genaueren Leistungsstand darstellen. (Quelle: chiemgau24.de, truf)