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IPPEN.MEDIA-Interview

Künstliche Intelligenz: „Wir haben eine neue Spezies erschaffen“

Künstliche Intelligenz gilt als wegweisende Technologie. Jetzt müssen wir die Weichen stellen, damit KI nicht zum Risiko wird, sagt Philosoph Christian Uhle.

Und plötzlich ist da eine neue Präsenz in der Welt: Künstliche Intelligenz (KI) durchdringt unseren Alltag, sie steckt in Smartphones, Autos, in Laboren und Arztpraxen, in Bildern, Filmen und Musik. Manchen gilt die KI als Heilsversprechen, andere sehen sie als Vorboten düsterer Science-Fiction-Dystopien. Klar ist: Es ist an der Zeit, dass wir uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie wir mit den unendlichen Möglichkeiten, die KI bieten kann, umgehen wollen.

Der Philosoph und Autor Christian Uhle hat sich mit dieser Frage intensiv auseinandergesetzt und ein Buch geschrieben. Titel: „Künstliche Intelligenz und echtes Leben“. Im Interview mit IPPEN.MEDIA erklärt er, welche Risiken und Chancen in KI stecken, warum sie viel mehr ist als ein Werkzeug – und warum wir schnell süchtig nach ihr werden könnten.

Herr Uhle, hätte Ihr neues Buch über Künstliche Intelligenz auch eine KI schreiben können? 
Es war mir ein Anliegen, die philosophischen Überlegungen mit Perspektiven aus der Zukunftsforschung zu verknüpfen und mit kleinen Anekdoten, literarischen Geschichten und eigenen Erfahrungen. Mich also auch selbst einzubringen und meine eigene Sprache zu finden. So etwas kann eine KI nicht.
Und wenn man eine KI gezielt trainieren würde, sich wie Christian Uhle zu verhalten? 
Selbst, wenn eine KI alle von mir verfassten Texte analysiert und auf dieser Basis einen neuen Text schreibt, wäre das nur eine Simulation. Es wäre nie der Text, den ich tatsächlich geschrieben hätte.

Künstliche Intelligenz: „Vielleicht landen wir in einem Szenario, in dem KIs die Werke anderer KIs lesen“

Es soll Autoren geben, die sich zumindest ab und an Inspiration von der KI holen. War das für Sie ein Thema?
Es gab Textstellen, die ich mit einer KI besprochen habe, und manchmal hat mich das auch zu Ergänzungen angeregt. Beim eigentlichen Schreiben habe ich mich auf mich selbst verlassen. Aber die Möglichkeiten werden auf diesem Feld immer besser und ich kann mir vorstellen, dass KI dazu führt, dass künftig mehr Bücher fertig geschrieben werden. Jede Person, die mal angefangen hat, ein Buch zu schreiben, weiß, dass zwischen Anfangen und Beenden ein sehr weiter Weg liegt. Vielleicht wird es zunehmend Menschen geben, die Teile von einer KI schreiben lassen, wenn sie selbst nicht weiterkommen. Dann würde es noch mehr Publikationen geben als bisher. Auch in der Wissenschaft, wo ein sehr großer Publikationsdruck herrscht. Nur: Wer liest das dann alles noch? Vielleicht landen wir irgendwann in einem Szenario, in dem KIs die Werke anderer KIs lesen und in ihren eigenen Publikationen zitieren.

Zur Person

Christian Uhle, geboren 1988, lebt in Berlin

Der Philosoph ist Autor mehrere Bücher und zahlreicher wissenschaftlicher Beiträge

Er hat unter anderem an der Arte-Serie „Streetphilosophy“ mitgewirkt und als Dozent am Karlsruher Institut für Technologie KIT philosophische Seminare zu der Frage geleitet, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz auf das soziale Miteinander hat

Klingt gruselig, oder? 
Nicht unbedingt. Idealerweise werden KI-Systeme zu Assistenten von Menschen, die uns bei unserer Arbeit unterstützen und uns ermöglichen, mehr Zeit für unsere Kernaufgaben zu haben und ein höheres Qualitätsniveau zu erreichen – und vor allem mehr Zeit für das Zwischenmenschliche zu haben. Die Gefahr ist aber, dass wir zu den Assistenten der KI werden.
Inwiefern? 
Im Beruf könnten KIs zu Assistenten der Menschen werden und ihnen Aufgabenpakete abnehmen, sie könnten aber auch die Rolle von Vorgesetzten einnehmen und die Aufgaben zwischen Menschen möglichst effizient delegieren. KI muss gezielt so gestaltet und integriert werden, dass sie die Autonomie stärkt und nicht schwächt. Dazu gehört es auch, dass wir Menschen selbstbestimmt mit unserer Zeit umgehen können.
Können wir das nicht?
Studien zufolge haben Menschen das Gefühl, dass ihr Leben heute stressiger ist als noch vor 15 Jahren. Die Frage ist: Kann uns mehr Technik helfen, die Hektik des Alltags zu reduzieren, oder ist sie bereits Teil des Problems? Bisher ist es oft so, dass wir die Zeit, die wir mithilfe von Technologien sparen, nicht nutzen, um zu entspannen oder uns intensiver auf unsere Kerntätigkeit zu konzentrieren. Sondern wir nutzen sie, um noch mehr auf die Kette zu bekommen und noch mehr Aufgaben zu erledigen. 

ChatGPT ist ein Massenphänomen: „KI ist mehr als ein Tool“

Woran liegt das?
Gesellschaftliche Strukturen wie die unseren, die auf Steigerung, Beschleunigung und Wachstum ausgerichtet sind, zwingen uns regelrecht dazu, entstandene Freiräume für eine noch höhere Produktivität und einen höheren Output in irgendeiner Form zu nutzen. Wir sollten uns deshalb jetzt intensiv mit der Frage beschäftigen, wofür wir gewonnene Zeit wirklich nutzen wollen.
2023 ist ChatGPT zu einem Massenphänomen geworden. Sie skizzieren im Buch die rasante Geschwindigkeit der Entwicklung dieses KI-Systems. Ist das ein Meilenstein wie das Internet?
Ich glaube, der Sprung ist noch gewaltiger. Technik funktionierte seit Hunderttausenden von Jahren so, dass Menschen Werkzeuge herstellen und diese nutzen. Sei es ein Hammer, ein Auto oder eben das Internet. Mit der KI haben wir nun nicht nur eine neue Form von Werkzeugen erschaffen, sondern fast so etwas wie eine neue Spezies, die selbst Werkzeuge bedienen kann. KI ist mehr als ein Tool.
Mit der KI hat der Mensch fast so etwas wie eine neue Spezies erschaffen, sagt Philosoph Christian Uhle.
Wie meinen Sie das?
Nehmen wir ein Schreibprogramm auf dem Computer. Das kann ich nutzen, um selbst Texte zu schreiben. Anders ist es bei ChatGPT. Hier gebe ich einen Auftrag: Nicht ich schreibe einen Text, sondern ich lasse die KI für mich schreiben. Das ist fundamental und stellt in der Menschheitsgeschichte eine einzigartige Entwicklung dar.
In einem Kapitel erwähnen Sie Goethes Gedicht vom Zauberlehrling, dem die Zauberei außer Kontrolle gerät. Anders als im Gedicht haben wir als Gesellschaft keinen erfahrenen Meister, der am Ende alles wieder geraderücken könnte, wenn wir die Kontrolle über die KI verlieren. Ist das eine Gefahr?
Ich glaube nicht an die dystopische Vorstellung, dass sich KI irgendwann gegen ihre Erschaffer richtet. Die wesentlich größere Gefahr besteht vielmehr darin, dass KI sehr gut funktioniert und genau das tut, wozu sie designt wurde. Und dass dies eben nicht das Wohl aller Menschen ist, sondern die Partikularinteressen einzelner Unternehmen oder politischer Akteure. Mit dem erweiterten Sprachmodus von ChatGPT, den es jetzt in den meisten Ländern gibt, bekommt das nochmal eine ganz neue Relevanz.
Wieso?
„Künstliche Intelligenz und echtes Leben“, erschienen im Fischer-Verlag.
Seit einigen Jahren wird intensiv daran gearbeitet, dass sich KIs kaum noch von Menschen unterscheiden lassen. Die Entwicklung ist bereits heute so unglaublich weit fortgeschritten, wie man es vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten hätte. KIs können Emotionen simulieren und Gesprächspartner sein, denen man Gefühle anvertraut. Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein Viertel aller Menschen sich sehr einsam fühlt. Das ist eine riesige potenzielle Zielgruppe für KI-Angebote. Die Gefahr ist groß, dass diese Angebote darauf ausgerichtet sind, die Nutzungsdauer zu maximieren, um Profite zu erhöhen. Und das erhöht das Risiko für emotionale Abhängigkeiten der Nutzerinnen und Nutzer.

Rubriklistenbild: © Montage

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