Über 95 Prozent sperren sich selbst
Glücksspielsucht auf Vormarsch: Anzahl der gesperrten Spieler vervierfacht
Die Zahl der Spielersperren von Glücksspielsüchtigen hat sich seit 2020 vervierfacht. Bandenwerbung für Sportwetten bleibt indes legal – für den Suchtbeauftragten der Bundesregierung eine „Verharmlosung“.
Berlin - Die Anzahl der in die deutsche Spielersperrdatei eingetragenen Glücksspielsüchtigen hat sich seit 2020 vervierfacht. Das geht aus einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) hervor. Die überwiegende Mehrheit der Eingetragenen wählt diesen Schritt selbst. Die Glücksspielsperre gilt laut Bundesgesundheitsministerium als erfolgversprechendes Hilfsmittel zum Schutz vor Glücksspielsucht.
Anzahl der Menschen mit Spielersperren in Deutschland seit 2020 vervierfacht
192.600 Menschen standen Anfang Mai 2023 in der bundesweiten Sperrdatei, über 95 Prozent der Betroffenen hatten sich selbst eingetragen. Im Jahr 2020 lag die Zahl der Sperren noch bei 47.000, kletterte 2021 auf 107.000 und stieg bis Ende 2022 auf 153.500 Sperreinträge. „Da die überwiegende Mehrheit sich selbst sperren lässt, muss der Leidensdruck bei sehr vielen Menschen erheblich sein und auch die Einsicht, selbst etwas unternehmen zu müssen“, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für Suchtfragen, Burkhard Blienert (SPD), dem RND.
Wer in der Datei eingetragen ist, kann nicht mehr am Glücksspiel teilnehmen. Denn alle Anbieter sind verpflichtet, die Datenbank vor der Zulassung der Glücksspielteilnahme abzufragen. Das sogenannte Sperrsystem Oasis umfasst Lotteriegesellschaften, Spielbanken, Betreiber von Geldspielautomaten, staatlich zugelassene Wettbüros und Anbieter von Online-Glücksspielen. Die Sperre können die Betroffenen selbst verlassen, lässt sich aber auch von Familienangehörigen oder sogar Glücksspiel-Anbietern einrichten. „Die hohe Zahl an Spielersperren spricht Bände“, kommentierte der Suchtbeauftragte Blienert weiter.
- Anzeichen einer Spielsucht laut Bundesgesundheitsministerium:
- Süchtig ist, wer nicht mehr mit dem Glücksspiel aufhören kann. Die Gedanken kreisen ständig um das Glücksspiel, der Drang zu spielen ist unkontrollierbar.
- Spielsüchtige haben häufig finanzielle Schwierigkeiten. Teilweise lügen Betroffene oder begehen Straftaten, um Geld für das Glücksspiel zu beschaffen.
- Verluste beim Glücksspiel versuchen Betroffene oftmals mit weiterem Glücksspiel auszugleichen.
- Oftmals belastet die Glücksspielsucht auch Beruf, Familie oder Partnerschaften. Familiäre oder berufliche Verpflichtungen werden häufig vernachlässigt. Wutausbrüche oder Stimmungsschwankungen sind oft an der Tagesordnung.
- Betroffene schaffen es nicht alleine, mit dem Spielen aufzuhören.
Glücksspielmarkt wächst – und verlagert sich seit Corona immer mehr ins Internet
Wer in Deutschland ein Fußballspiel verfolgt, kommt um Werbung für Glücksspiel nicht herum. Für Spielsüchtige könnte das ein falsches Signal sein. Der Suchtbeauftragte der Bundesregierung fordert daher strengere Regeln und sieht in der Bandenwerbung in Stadien „von der ersten bis zur letzten Minute“ eine Verharmlosung von Sportwetten. Die Länder seien jetzt am Zug und müssten im Glücksspielstaatsvertrag nachsteuern, sagte der SPD-Politiker im Mai der Deutschen Presse-Agentur. Tatsächlich waren Sportwetten im Jahr 2021 die größten Umsatzträger im Glücksspiel. Das geht aus dem „Jahrbuch Sucht 2023“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hervor, wobei aktuellere Zahlen zu den Jahren 2022 und 2023 noch nicht vorliegen. „Wir sehen das sehr kritisch und behalten das im Auge“, betonte Rummel.
- Was tun im Falle einer Glücksspielsucht?
- Die Glücksspielsucht ist eine anerkannte Erkrankung. Entsprechend zahlen Krankenkassen, Kommunen oder die Rentenversicherung die Behandlung.
- In Deutschland gibt es zahlreiche Suchtberatungsstellen, Selbsthilfegruppen und stationäre Behandlungsangebote.
- Betroffene können sich auch mit ihrem Arzt in Verbindung setzen und weitere Behandlungsschritte besprechen.
- Eine Glücksspielsperre ist laut Bundesgesundheitsministerium ein erfolgversprechendes Hilfsmittel gegen die Glücksspielsucht.
- Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet eine kostenlose Telefonberatung zur Glücksspielsucht an:
Unter 0800 137 27 00 sind professionelle Berater Montag bis Donnerstag von 10:00 Uhr bis 22:00 Uhr und Freitag bis Sonntag von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr erreichbar. - Spielsüchtig? Hier gehts zum Selbsttest.
Die Corona-Pandemie war für viele Menschen eine belastende Zeit, besonders die Lockdowns begünstigten oftmals Suchtverhalten. Für den Glücksspielmarkt brachte das ein Umsatzplus. Im Jahr 2021 wuchs der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 15,2 Prozent auf 44,1 Milliarden Euro. Der Anstieg sei insbesondere auf rechtliche Änderungen zurückzuführen, die Sportwetten bundesweit legalisiert hätten, hieß es zur Erklärung von DHS-Geschäftsführerin Christina Rummel. Spielbanken und Automaten verloren laut DHS indes zwischen 2020 und 2021 an Bedeutung. Zumindest teilweise sei dies auch durch die Corona-Pandemie zu erklären, sagte Rummel. Glücksspiel habe sich von Lokalen ins Internet verlagert.