Bedrohung durch Klimawandel
Flutwelle durch Tiroler Tal: Österreich droht laut Studie eine Alpen-Katastrophe
In Tirol ist der Ausbau eines Kraftwerks geplant. Mögliche Folgen werden durch ein WWF-Gutachten aufgedeckt. Umweltverbände verlangen einen Baustopp.
Innsbruck – Durch erneuerbare Energien sollen Umwelt und Klima geschont werden. Doch ein Projekt der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) stellt laut Umweltverbänden eine Gefahr dar. Der WWF Österreich hat eine Studie veröffentlicht, die die möglichen Folgen des Ausbaus des Kraftwerks Kaunertal in Tirol beleuchtet. Die TIWAG weist die Vorwürfe zurück und betont die Sicherheit für Umwelt und Menschen. Was folgt, ist eine hitzige Debatte.
WWF-Studie über Wasserkraftwerk-Gefahr in Österreich: Alpen von Klimawandel bedroht
Das Gutachten des emeritierten Geomorphologen Prof. Dr. Wilfried Haeberli von der Universität Zürich untersucht sowohl die Ausbaupläne für den Speicher Platzertal als auch den aktuellen Zustand des Kraftwerks Kaunertal. Im Fokus stehen dabei klimabedingte Naturgefahren und Veränderungen der Landschaft. Laut Haeberlis Analyse könnte der Gletscherschwund am Gepatschferner in den Ötztaler Alpen bis 2050 über 50 Prozent betragen.
„Tendenziell intensivierte Extremniederschläge und den durch verschwundene Firngebiete reduzierten Rückhalteeffekt“ müssten bei der Betrachtung der Wasserabflüsse berücksichtigt werden. Der Gletscherschwund könnte in den kommenden Jahrzehnten zur Bildung weiterer Seen führen. Im oberen Bereich des Gepatschferners könnten zwei neue Seen entstehen, ein weiterer kleinerer könnte sich bis zur Mitte des Jahrhunderts an der Gletscherzunge bilden.
Flutwelle droht laut Studie in Tiroler Tal – „würde innerhalb kurzer Zeit den Gepatsch-Speicher erreichen“
Besonders gefährlich wird es, wenn druckentlastete Permafrost-Felsflanken in diese Seen stürzen, was gravierende Folgen hätte. „Eine allfällige Flutwelle aus einem dieser Seen würde innerhalb kurzer Zeit (rund eine halbe Stunde) den Gepatsch-Speicher erreichen“, so die Studie. Haeberli empfiehlt daher die Einrichtung eines Frühwarnsystems und möglicherweise eine Anpassung des Betriebs der bestehenden Anlage.
Ein weiteres Problem stellt die Zukunft der Permafrostflächen dar, unter denen der geplante Speicher Platzertal liegen soll. Die Erderwärmung verringert die Stabilität dieser Flächen, da sich die Fließgeschwindigkeiten vielerorts deutlich erhöht haben, so das Gutachten. Der Geomorphologe rechnet zudem mit einer Zunahme von Felsstürzen, die den Speicher Platzertal gefährden könnten. Die größte Gefahr von Sturzereignissen sieht er bei der Bliggspitze und der Ölgrubenspitze im Gebiet des Gepatsch-Stausees.
WWF fordert Stopp von Kraftwerk-Projekt in Tirol – Energieversorger kontert: „Sicherheit gewährleistet“
Der WWF fordert nicht nur den Stopp des Ausbaus, sondern auch eine Überprüfung des Bestands des Kraftwerks Kaunertal. Laut dem WWF-Experten Maximilian Frey seien die vorhandenen Daten bereits 15 Jahre alt, wie ORF Tirol berichtete. Da die geforderte Expertenprüfung bisher nicht stattgefunden habe, liege nun das Haeberli-Gutachten vor. Der WWF warnt zudem vor dem Verlust von Mooren, sechs Schutzgebieten und dem Lebensraum geschützter Tierarten.
Die TIWAG reagiert auf das Gutachten und die Sicherheitsbedenken mit klaren Aussagen. „Die Sicherheit der Bevölkerung im Kaunertal ist auch künftig gewährleistet, und der Speicher Gepatsch bleibt auch mit dem neuen Pumpspeicher Versetz sicher“, betonte die TIWAG gegenüber der APA.
Seit der Inbetriebnahme des Kaunertal-Kraftwerks im Jahr 1964 wird der Zustand des Speichers Gepatsch kontinuierlich überwacht. Neben Berichten der weisungsfreien Experten der TIWAG begutachten und prüfen auch unabhängige Fachexperten des Unterausschusses der österreichischen Staubeckenkommission den Speicher alle fünf Jahre.
Energieversorger wehrt sich gegen Alpen-Studie – WWF-Vorwurf: „Ignoriert bewusst Sicherheitsrisiken“
„Die Untersuchungen zeigen, dass Muren, Steinschlag oder Lawinen die Sicherheit von Damm und Speicher nicht beeinträchtigen. Das Vorhaben Pumpspeicher Versetz ist nicht negativ von Permafrost betroffen, dies [ist] unabhängig von den unterschiedlichen Klimaszenarien“, hieß es in Bezug auf die angesprochenen Naturgefahren. Diese wurden im Rahmen der Planung für den Pumpspeicher umfassend untersucht.
Die TIWAG plant, das Projekt im April zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) einzureichen. Der WWF bleibt jedoch bei seiner kritischen Haltung: „Die Tiwag ignoriert anscheinend bewusst Sicherheitsrisiken und gibt das auch offen zu. Spätestens jetzt muss Landeshauptmann Mattle die Reißleine ziehen und das gefährliche Ausbauprojekt Kaunertal stoppen”, erklärte Frey in einer Mitteilung. Der Umweltkonflikt im Kaunertal wird wohl weitergehen. (vk)
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