Politologe über die Wahlen im Nachbarland
„Der Tiroler Volkspartei droht der Absturz“ - Das Ende einer Ära im Nachbarland?
Am Sonntag (25. September) sind in Tirol Landtagswahlen. Der langjährige Landeshauptmann Günther Platter, 68, von der konservativen ÖVP tritt nicht mehr an. Sein designierter Nachfolger Anton Mattle kämpft gegen ein Umfragetief und muss sich wohl neue Koalitionspartner suchen, sagt der Politologe Fabian Habersack von der Universität Innsbruck.
Herr Habersack, glaubt man den Umfragen, droht der ÖVP ein Absturz von 44 auf unter 30 Prozent. Was sind die Gründe?
Fabian Habersack: In Tirol dominiert seit 77 Jahren die ÖVP. Jetzt droht das schlechteste Wahlergebnis der Geschichte. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Erstens sieht sich die Tiroler Volkspartei mit einer schwierigen politischen Lage konfrontiert. Wir schlittern von einer Krise in die nächste. Erst Corona, dann Ukrainekrieg und die Energiekrise sowie die Bewältigung der Klimakrise. Zweitens befindet sich die ÖVP spätestens seit Ende 2021 in der Korruptionskrise. Zunächst Ibiza, dann die Inseratenaffäre und Korruption bei Postenvergaben. Das beschert natürlich auch der Tiroler Volkspartei eine schwierige Ausgangslage. Drittens sehen wir einen ganz generellen Trend hin zu ausdifferenzierteren Parteiensystemen und mehr Wettbewerb.
Sie meinen das Aufkommen neuer Listen, etwa die liberalen NEOS oder die Liste Fritz, eine lokale Abspaltung der ÖVP.
Habersack: Ja. Beide sind bereits im Landtag angekommen und werden dort nach der Wahl mit etwas Zugewinn wieder einziehen. Der neuen Corona-skeptischen MFG wird der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde dagegen nicht gelingen.
Welche Rolle spielt der Wechsel von Günther Platter, der ja doch in Tirol sehr angesehen war, zu Mattle?
Habersack: Anton Mattle war anfangs nicht sehr bekannt, was natürlich ein Nachteil ist. Man merkt jetzt, dass die ÖVP das ändern will. Auf dem Wahlzettel steht statt ÖVP „Anton Mattle – Tiroler Volkspartei“, zudem wird der Kandidat großflächig plakatiert, das Parteilogo tritt in den Hintergrund.
In Bayern blickt man vor allem auf die Verkehrsthemen. Die Blockabfertigung auf der Autobahn stört viele. Wird die neue Tiroler Landesregierung einen anderen Kurs einschlagen?
Habersack: Eher nein. Die Blockabfertigung wird es ziemlich sicher auch nach der Wahl weiter geben. Nach wie vor ist das ein wichtiges Thema, vor allem auch für die Grünen. Sie sind 2018 mit dem Ziel angetreten, den Lkw-Verkehr zu halbieren. Davon ist man weit entfernt. Umstritten ist der Lufthunderter, also Tempo 100 auf der Inntalautobahn aus Sicherheits- oder Umweltgründen.
Die Diskussion kennen wir auch in Deutschland.
Habersack: Hier in Tirol ist es auch präsent im Landtagswahlkampf. Die Grünen wollen das Tempolimit von 100 km/h generell. Doch auch wenn man heute allgemein etwas aufgeschlossener dafür ist als noch vor zehn Jahren, denke ich ncht, dass das durchgesetzt wird. Die ÖVP ebenso wie NEOS und die FPÖ sowieso sind da relativ klar dagegen.
Tirol wird jetzt Schwarz-Grün regiert. Eine Fortsetzung ist aber unwahrscheinlich, oder?
Habersack: Laut Umfragen werden die ÖVP stark, die Grünen leicht verlieren – das reicht dann nicht mehr. Ich rechne mit einer Dreier-Koalition. ÖVP, eine erstarkte SPÖ und ein dritter Partner, vielleicht Grüne oder NEOS. Das Problem ist, dass Georg Dornauer, der Spitzenkandidat der SPÖ, im Vorfeld alle Dreier-Variantenten ausgeschlossen hat. Das war taktisch unklug, denn es wird kein Weg darum herum führen, die Parteien müssen sich zusammenraufen.
Ist es glaubwürdig, dass mit der rechtspopulistischen FPÖ niemand koaliert?
Habersack: Ja. Auch wenn es Gerüchte gibt, die teils von der FPÖ selbst in Umlauf gebracht werden, dass man hinter Mattles Rücken bereits an einer Kooperation mit der FPÖ arbeite, schließen alle glaubhaft eine Koalition aus. Die Tiroler Volkspartei hatte da auch immer einen klareren Kurs als die Bundes-ÖVP.
Wird Anton Mattle am Schluss Landeshauptmann werden?
Habersack: Das hängt vom Wahlergebnis ab. Landet er weit unter 30 Prozent, wird es schwierig.
