„Wer weiß, wo Rosenheim heute wäre?“
25 Jahre Starbulls Rosenheim: OVB blickt zurück auf Tränen, Triumphe und unvergessene Legenden
Heute vor einem Vierteljahrhundert ist Rosenheimer Sportgeschichte geschrieben worden: Die Starbulls Rosenheim wurden aus der Taufe gehoben. Kaum einer war in diesen 25 Jahren so nah dran am Rosenheimer Eishockeyclub wie die OVB-Sportredaktion.
Rosenheim – Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit. Wenn man an die Spitze der Fußball-Bundesliga blickt, dann mag man an dieser Aussage zwar deuteln, denn im Mai 2000 wurde der FC Bayern Meister vor Bayer Leverkusen. Schaut man sich das Klassement bei der kickenden Zunft aber weiter an, dann merkt man die vielen Jahre: 3. Hamburger SV, 4. 1860 München, 5. Kaiserslautern, 6. Hertha BSC, sogar die Spielvereinigung Unterhaching, Schalke 04, Hansa Rostock, der SSV Ulm, Arminia Bielefeld und der MSV Duisburg waren im Oberhaus.
Starbulls Rosenheim feiern 25. Geburtstag
Auch im Eishockey kam der Meister aus München, die Barons – mit einem jungen Thomas Greilinger – gibt es aber heute nicht mehr. Dafür war man in Rosenheim erstklassig, als Vierter der DEL-Abstiegsrunde landete man knapp hinter Schwenningen, aber noch vor den Eisbären Berlin. Dann aber folgte der Knall: Rosenheim stieg aus, die Verantwortlichen gaben die Lizenz an Iserlohn weiter – und an der Mangfall musste der am 23. Mai 2000 neu gegründete Verein ganz unten anfangen. Bezirksliga! Mit Hans-Jürgen Ziegler. Der langjährige OVB-Sportchef blickt gemeinsam mit Thomas Neumeier zurück auf ein Vierteljahrhundert Starbulls Rosenheim. Oder besser gesagt: Beide schwelgen in unzähligen Erinnerungen.
Thomas Neumeier: Vor 25 Jahren ist es runtergegangen von der DEL in die Bezirksliga. Wie hast du das damals miterlebt?
Hans-Jürgen Ziegler: Es war im Endeffekt nicht das erste Mal, dass es so einen Rückzug gegeben hat. Das war ja schon 1992 so. Aber da ist es halt nicht ganz zurückgegangen. Was da so gravierend gewesen ist, ist, dass du in der Bezirksliga anfangen musstest. In der Zeit, in der das normale Eishockey losgegangen ist mit der Saisonvorbereitung Anfang August, hattest du das erste Spiel irgendwann im Oktober. Das werde ich auch nie vergessen. An was ich mich erinnern kann, ist, dass wahrscheinlich ohne Mondi Hilger und diese Alt-Internationalen, die sich zur Verfügung gestellt haben, das Eishockey vielleicht komplett am Boden zerstört gewesen wäre. Aber da sieht man, welche Leute zu einem stehen! Nicht nur ehemalige Spieler, sondern auch Sponsoren, die dabei geblieben sind. Die hätten auch sagen können: „Bezirksliga? Da steigen wir aus.“ Und das sind die, die jetzt auch noch dabei sind. Die haben damals schon mitgeholfen, das wieder aufzubauen. Das war natürlich schon irgendwie eine spannende Zeit! Auch, wenn dann plötzlich Bad Aibling vier Klassen höher spielt und dort Mannschaften wie Kaufbeuren oder auch München spielen.
Neumeier: Irgendwie skurril.
Ziegler: Ja, das ist Wahnsinn gewesen. Und dann waren in der Rosenheimer Mannschaft Spieler dabei, die hast du gar nicht gekannt, weil die entweder zurückgeholt worden oder aus der eigenen Jugend gekommen sind. Aber da waren auch gute Spieler dabei. Ich sage jetzt nur einen Namen, der dann auch mehrfach deutscher Meister geworden ist: Florian Busch. Und noch einen, das war zwar dann Jahre später: Der „Grubi“! Wer weiß, wo das Rosenheimer Eishockey heute stehen würde, wenn die damals unter Franz Steer den Klassenerhalt gegen Passau nicht geschafft hätten. Dass du dich als Trainer traust, einen 16-Jährigen ins Tor zu stellen, und dass der auch so brutal performt. Das war halt Wahnsinn!
22:0-Sieg gegen Berchtesgaden
Neumeier: Da sind wir ja schon fast wieder bei prägenden Momenten in der ganzen Historie. Das war mit Sicherheit einer. Gibt es denn noch Spiele, die dich besonders berührt haben?
Ziegler: Ich komme noch einmal auf das erste Spiel gegen Berchtesgaden zurück. Ich glaube, da waren über 3000 Zuschauer im Stadion. Du gewinnst dann 22:0. Wenn du das hochklassige Eishockey gewohnt bist und das immer siehst, und dann spielst du gegen so eine Mannschaft – das war schon brutal. Aber du bist natürlich dann auch irgendwann auf Mannschaften gestoßen, die schon richtig gut Eishockey spielen konnten. Da waren diese Duelle gegen Landsberg mit dem Hannemann. Das war so einer, der ist, wie es heute immer heißt, bei den Spielern unter die Haut gegangen. Der hatte dann halt auch mal das Pech, dass Vitus Mitterfellner bei Rosenheim gespielt hat. Da hat es dann schon diverse Duelle gegeben. Aber ich weiß auch noch: Ich habe mit Hilger Mondi einmal ein Interview gemacht und da haben wir auch über Hannemann gesprochen. Und Mondi hat gesagt, er habe ihn immer akzeptiert, weil er sich zu 100 Prozent für seine Mannschaft einsetzt – und solche Spieler mag er. Da gab es ja dann auch das Aufstiegsspiel!
Neumeier: Das war natürlich auch ein prägender Moment, als Rosenheim aus der Bayernliga aufgestiegen ist und Mondi drei Tore geschossen hat!
Ziegler: Und eines davon im Fliegen! Die Atmosphäre damals bei den Zuschauern im Stadion, das war schon wieder wie früher. Das Stadion war voll und da hast du wieder gemerkt, was im Rosenheimer Eishockey möglich ist. Natürlich kann ich mich daran auch erinnern: Du warst in Peiting beim entscheidenden Aufstiegsspiel und ich habe es daheim am Radio gehört. Ich muss sagen, so nervös bin ich eigentlich nur, wenn der FC Bayern Champions League spielt. Das war schon brutal. Wie dann das Tor gefallen ist!
„Mann oder Maus – einer fliegt raus“
Neumeier: Ich knüpfe an deine Worte zum Abstiegskampf gegen Passau an und denke an ein Spiel, zu dem man sich auch die Frage stellt: Wer weiß, wie es mit dem Rosenheimer Eishockey dann weitergegangen wäre? Aufstiegs-Play-offs, Spiel sieben in Bad Nauheim. Als Matthias Bergmann kurz vor Schluss noch einen von der Linie runterkratzt...
Ziegler: Im Endeffekt waren sie ja da schon ausgeschieden und es hing das Plakat am Stadion. Dann hat es auf einmal Klick gemacht! Und da sind sie ja im Spiel sieben weitergekommen.
Neumeier: Ich kann mich noch erinnern: Die OVB-Überschrift vor dem Spiel war: „Mann oder Maus – einer fliegt raus“. Weil Franz Steer gesagt hat, dass sich jetzt entscheiden wird, wer Mann oder wer Maus ist. Und ich habe damals die Berichterstattung gemacht. Ich habe ihm gesagt: Wenn ihr weiterkommt, dann dürft ihr euch die nächste Überschrift aussuchen. Und dann gewinnen die in Nauheim und es war das erste Mal, dass wir bei so einem großen Text eine zweizeilige Überschrift hatten. Eigentlich nicht erlaubt, aber da habe ich ihm den Wunsch erfüllt, als Franz Steer nach dem Spiel ins Telefon rief. Die Überschrift lautete dann: „Sonne, Mond und Sterne, die Starbulls fahrn nach Herne.“
Ziegler: Ja, das war wirklich eine schöne Zeit. Ich kann mich noch erinnern, als wir die Spielberichte immer an einem Musikstück aufgebaut haben.
Neumeier: Ja, das haben wir die kompletten Play-offs durchgezogen!
Glückbringer und Derby-Pleiten
Ziegler: Und ich weiß noch, dass ich einmal ein Foto gemacht habe von Franz Steer und seinen Schuhen, die er dann immer anhatte. Das waren seine Glücksbringer!
Neumeier: Die aber eigentlich viel zu eng waren!
Ziegler: Ja, die waren zu eng, genau. Das waren schon verrückte Zeiten! Wir hatten dann auch ein super Verhältnis. Ich weiß noch, wie er mich gefragt hat: Er könnte einen Torwart verpflichten, übergewichtig, glatzköpfig, tätowiert, und dass er ja nicht unbedingt auf so etwas steht. Aber das war dann Norm Maracle, ein Glücksgriff für die Starbulls. Da sind sie ja dann auch Pokalsieger geworden.
Neumeier: Und bis ins Finale der zweiten Liga gekommen!
Ziegler: Und ins Finale gegen Landshut, genau! Das war natürlich auch ein Spiel, daheim gegen Landshut – das war bitter! Ausverkauftes Stadion und du verlierst 1:7. Das war im ersten Drittel schon entschieden. War schade, aber gehört auch zur Geschichte der Starbulls, ist einfach so.
Neumeier: Es gab sehr viele positive Momente, aber auch ein paar bittere Rückschläge. Das Vierteljahrhundert hat es da auch in sich gehabt!
Ziegler: Bitter war die Zeit, in der man schon gemerkt hat, dass der Kader nicht mehr so gut war. Und dann hattest du in der entscheidenden Saisonphase im Abstiegsjahr so viele Verletzte, dass du das im Endeffekt nicht mehr auffangen hast können. Das war einfach vorprogrammiert. Da hat auch der Trainerwechsel, den ich überhaupt nicht verstanden habe, nichts geholfen.
Neumeier: Weil das Budget nicht da war, das Stadion auch noch nicht so ausgebaut und weil andere Mannschaften zugelegt haben!
DEL-Träume, dann der Abstieg
Ziegler: Die Verantwortlichen sind ja dann mit diesem Papier gekommen...
Neumeier: Große Wellen hat das damals geschlagen. DEL-Träume im Zeichen des Abstiegsjahres!
Ziegler: Und ich habe mir gedacht: Was soll das? Also, das ist ja Utopie, das kann gar nicht funktionieren und die sollen sich lieber mal kümmern, dass sie nächstes Jahr eine gescheite Mannschaft haben. Ich habe dann aber tatsächlich der gesamten Vorstandschaft letztes Jahr gesagt, dass ich das damals anders gesehen habe. Und was sie da geschafft haben in den letzten Jahren, das ist schon beachtlich. Das hätte ich ihnen nicht zugetraut! Und so wie das Rosenheimer Eishockey jetzt aktuell dasteht mit dem Stadion, Videowürfel, Umbau und so weiter, das ist schon enorm! Aber: Man muss aufpassen. Denn es zeigt sich ja immer wieder: Nach einem Hoch kommt immer mal ein Tief. Und da muss man jetzt schauen, dass man das möglicherweise verhindern kann.
Prägende Momente, in denen die Zeit stillstand
Neumeier: Über prägende Momente und prägende Spiele haben wir schon geredet. In den 25 Jahren gab es aber auch Momente, in denen die Zeit stillgestanden ist. Der Tod von Oliver Häusler und die schwere Verletzung von Mike Glemser.
Ziegler: Das war ja innerhalb kürzester Zeit, und da sieht man einfach mal, dass Sport nicht nur auf dem Eis ist und nicht nur Trainingszeiten und ein, zwei Spiele, die entscheidend sind für die Saison. Da passieren Sachen, die dich im Kopf so beschäftigen, das ist irre! Und da muss ich auch sagen: Wie die Verantwortlichen und die Spieler das alles weggesteckt haben, ist enorm. Vielleicht hat es der Mannschaft auch ein bisschen Kraft gegeben, weil sie sagt, sie spielt jetzt zum Beispiel für Mike Glemser und präsentiert ihm den Pokal. Aber da merkst du, dass Sport nicht alles ist, beziehungsweise es andere Sachen gibt, die viel wichtiger sind.
Drei Rosenheimer bei der WM
Neumeier: Hättest du dir vor 25 Jahren vorstellen können, dass jetzt eine deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei der WM spielt und drei Spieler dabei sind, die aus dem Rosenheimer Nachwuchs kommen?
Ziegler: Nein, eigentlich nicht. Wobei die Rosenheimer Nachwuchsarbeit ja schon immer gut gewesen ist, vor allem bei den Torhütern. Im Jahr 2000 bei der Neugründung ist ja auch eindeutig festgelegt worden, dass die DNL-Mannschaft weiter in der höchsten Klasse spielt – das war der Grundstock dafür, dass sich überhaupt Spieler entwickeln haben können. Keine Ahnung, wo die sonst hingegangen wären! Und da ist richtig gut gearbeitet worden! Du hattest dann Nachwuchstrainer, wie der Graf Gerhard oder der Schädler Tom. Die haben das auch gelebt, und das hat natürlich erstens dem Rosenheimer Eishockey gut getan und zweitens auch den Spielern, die da rausgekommen sind. Ich hoffe, da kommen noch mehr Spieler raus, aber es wird natürlich immer schwieriger. Wir hatten ja auch Jahre, in denen die DNL-Mannschaft um die deutsche Meisterschaft gespielt hat, auch gegen Landshut. Ich denke heute noch an Timo Herden, der an der Bande sitzt und weint. Das gehört auch zum Rosenheimer Eishockey dazu, da waren auch wahnsinnig viele Zuschauer da.
Neumeier: Wie siehst du die Zukunftsaussichten der Starbulls für die nächsten Jahre?
Ziegler: Ich habe jetzt schon ein paarmal gehört, dass der Traum wäre, 2028 in die DEL aufzusteigen. Da muss ich sagen: Das auf eine Saison festzulegen, das geht nicht. Wenn du aufsteigen kannst, dann musst du aufsteigen. Dann musst du schauen, ob das vielleicht nächstes Jahr ist. Wenn du die Chance dazu hast, dann steig auf! Keiner gibt dir eine Garantie, dass es nächstes Jahr leichter wird. Denn dann kommt wieder eine Mannschaft, die brutal aufrüstet.
„Das Ganze drumherum ist DEL-tauglich“
Neumeier: Oder es gibt einen Absteiger, der runterkommt und wieder nach oben will!
Ziegler: Ich sage mal so: Das Rosenheimer Eisstadion, das Rosenheimer Publikum, das Ganze drumherum, ist DEL-tauglich. Was man nicht verlieren darf, ist die Identität des Vereins. Wo komme ich her? Was ist für mich das Wichtigste? Das ist nun mal dieses Stadion. Das Stadion mit den steilen Rängen, diese Macht der Zuschauer, mit einer guten Stimmung. Ich weiß nicht, ob das gut ist, dass man jetzt wieder so viele Stehplätze wegnimmt... Ich weiß, das eine ist wirtschaftlich, das andere ist sportlich. Wir werden es sehen. Ich glaube, dass die nächste Saison ganz eine entscheidende Saison ist. Sollte es schlechter werden, dann weiß ich nicht, wie die Reaktionen der Fans sein werden. Aber da können wir uns dann in einem Jahr darüber unterhalten. Gut finde ich, dass auf den Ausländer-Positionen Kontinuität herrscht, dass du da Autio, Hanna, Stretch und Sarault hast. Rosenheim ist auf diesen Positionen gut aufgestellt. Und dann musst du halt abwarten, wie die Neuen einschlagen.
