Vom Kriegsflüchtling zum Aufstiegshelden?
„Wacker gab mir Hoffnung“: Artur Andreichyks unglaublicher Weg aus Kiew nach Burghausen
Als der Krieg sein Leben auf den Kopf stellte, wagte Artur Andreichyk den Neuanfang in einem fremden Land. Der junge Ukrainer hat eine bemerkenswerte Reise hinter sich: Vom Kriegsflüchtling aus Kiew fand er in Burghausen nicht nur ein neues Zuhause, sondern auch die Kraft, seine Träume zu verwirklichen, wie er im exklusiven Interview auf beinschuss.de verrät.
Burghausen – Für kurze Zeit stand der SV Wacker Burghausen nach dem Sieg über den TSV Aubstadt auf Tabellenplatz Eins (beinschuss.de berichtete). Ehe die Konkurrenz nachzog und die Salzachstädter nun mit einem Punkt Differenz auf dem dritten Platz rangieren. Für SV Wacker-Kicker Artur Andreichyk reicht das noch nicht: „Ich träume vom Aufstieg. Wir alle in der Mannschaft tun das glaube ich, auch wenn wir wissen wie schwierig das ist. Aber das wäre gut für Burghausen und würde für viele Zuschauer sorgen. Und Fußball ist für die Fans!“, weiß der junge Ukrainer, der in wenigen Tagen seinen 19. Geburtstag feiert.
Wacker Burghausen: Regionalliga-Spieler Artur Andreichyk im Interview
Hinter dem in Kiew geborenen vielseitigen Mittelfeldspieler liegen erlebnisreiche drei Jahre. Mit 16 noch im Probetraining einer ukrainischen Mannschaft, ging es aufgrund des Kriegsbeginns plötzlich als Flüchtling nach Deutschland. „Diese Zeit, das kann man sich vorstellen, war extrem schwer für mich. Mein Cousin lebte bereits hier und es war damals schnell klar, dass es zum SV Wacker gehen könnte. Das war für mich wichtig und gab mir ein Stück weit Hoffnung, so schwierig die Zeit auch war.“
Über ein erstes Probetraining ging es zunächst in die U17, dann die U19 und rasch gelang der Schritt ins Regionalliga-Team. „Geri (Gerald Straßhofer, damaliger NLZ-Leiter, heute U19 Co-Trainer TSV 1860 München Anm. d.Red.) hat mich damals extrem unterstützt und war immer für mich da. Da bin ich ihm bis heute dankbar“, so Andreichyk, dessen stärkste Unterstützung noch immer in der Ukraine lebt. „Mein Vater ist erfolgreicher Trainer und musste in der Ukraine bleiben. Er darf bis heute aufgrund der politischen Lage nicht ausreisen und ich kann ihn nicht besuchen. Er war schon immer mein Vorbild und wir telefonieren immer vor den Spielen. Er gibt mir Kraft und glaubt an mich!“
Karl-Heinz Fenk, sportlicher Leiter des SV Wacker Burghausen, sah schon früh das große Talent des Flüchtlingsjungen, der eine unerwartete, aber willkommene Verstärkung für das erfolgreiche Nachwuchsleistungszentrum des Regionalligisten bedeutete. „Wir sind immer sehr nah an der U19 und versuchen hier den Jungs eine Chance zu geben und diese an den Regionalliga-Kader heranzuführen. Bei Artur war früh klar, was für ein klasse Fußballer er ist. Er lebt absolut für den Fußball und hat das Potenzial, es in den Profi-Bereich zu schaffen“, glaubt Fenk.
Andreichyk sieht Deutschland als erste Heimat
Die Ankunft in Deutschland bedeutete dennoch zu Beginn erst einmal eine große Umstellung für Andreichyk. Burghausen statt Kiew, wenig soziale Kontakte und dazu die neue Sprache. „Anfangs war Deutsch eine Katastrophe für mich und ist es eigentlich immer noch“, gibt Andreichyk lachend (aber in durchaus gutem Deutsch) zu. Über den Sport, Trainingslager und den Alltag gelang es ihm dennoch sich schnell zu integrieren. „Ich bekam in Burghausen von vielen Seiten Unterstützung. Ab der U19 dann auch sehr viel von Fenki (Karl-Heinz Fenk) oder unserem früheren Trainer Hannes Sigurdsson. Ich habe überall nur die Sprache gehört und mich dann auch getraut einfach loszulegen. Am Ende ging es dann einigermaßen“, so der Außenbahnspieler, der sich kurzzeitig in der Heimat auch als Kickboxer probiert hatte.
Heute fühlt sich Andreichyk angekommen in Deutschland und bezeichnet das Land sogar als seine erste Heimat. Von seinen erfahrenen Mitspielern wie Moritz Sommerauer, Felix Bachschmid oder Christoph Schulz bekam er das „immer pushen“ in den täglichen Trainingseinheiten eingetrichtert. So intensiv, dass er mit diesen Worten sogar im neuen Wacker eigenen Image-Film zu sehen ist und dort wohl insgeheim sinnbildlich für die Zukunft und die Ziele des ambitionierten Vereins steht. Und so zeigt sich das Top-Talent auch nie zufrieden mit seinem Leistungsstand: „Man muss sich immer verbessern. Näher am Gegner sein, taktisch besser werden, aber eigentlich in allen Belangen versuchen Gas zu geben. Anders geht es nicht, wenn man etwas erreichen will!“
So sieht der Alltag eines Regionalliga-Kickers bei Wacker Burghausen aus
Beruflich absolviert Andreichyk zusätzlich eine Ausbildung als Elektroniker. Er startet ins zweite Ausbildungsjahr und konnte die Ausbildungsdauer sogar verkürzen. Eine wichtige Aufgabe abseits des Platzes, meint auch Karl-Heinz Fenk: „Gemäß dem dualen Weg des SV Wacker, der für junge Fußballer idealerweise immer eine berufliche Ausbildung neben der sportlichen vorsieht, ist es mir persönlich wichtig das sich unsere jungen Spieler so eine flexible Zukunft aufbauen und sich absichern. Daher haben wir uns früh mit Artur zusammen gesetzt und besprochen, wie hier die beste Lösung aussehen kann“, erklärt Fenk.
Der herausfordernde Alltag für den Noch-18-Jährigen, der eine eigene Wohnung gemietet hat: Aufstehen um 5.30 Uhr, Arbeit bis 16 Uhr, ein kurzer Zwischenstopp Zuhause und dann ins Training bis etwa 21 Uhr. Und dies täglich. Wenn es nach ihm geht, sogar im zweimaligen Trainings-Pensum, aber das lässt derzeit die Arbeit nicht zu. Auf die Frage, was er denn sonst noch macht, antwortet Andreichyk zuallererst: „Trainieren! Wenn nicht mit dem Team, dann individuell. Vielleicht manchmal spazieren in der Stadt oder man „chillt“ mit Freunden. Aber meistens ist das Training im Fokus. Ich habe zum Glück zu allen im Team einen guten Draht. Besonders gut verstehe ich mich beispielsweise mit Sebastian Malinowski“.
Das Ziel für die kommende Saison lautet für Andreichyk klar „oben bleiben“, „Stammspieler sein“ und „Vertrauen in die eigene Leistung haben“. Letzteres möchte Andreichyk auch jüngeren Fußball-Talenten als Tipp mit auf den Weg geben. Sollte der Krieg einmal enden, würde er dennoch so schnell wie möglich in die Heimat reisen, um seinen Vater und seine „Lieblingsstadt“ Kiew nach so langer Zeit wieder besuchen zu können.