Der freie Fall des Rosenheimer Fußballs: Teil 2
SB Rosenheim: Vor zehn Jahren auf dem Sprung in die Regionalliga – jetzt am Tiefpunkt
Der Rosenheimer Fußball steckt in der Krise. Die einstigen Top-Clubs TSV 1860 und SB/DJK sind in den letzten beiden Jahren jeweils zweimal abgestiegen. Die OVB-Sportredaktion beleuchtet den freien Fall. Teil zwei der Serie: Der SBR – vor zehn Jahren fast in der Regionalliga und jetzt am Tiefpunkt.
Rosenheim – Rosenheim – Es war einmal. Der TSV 1860 und der SB/DJK Rosenheim spielten zusammen in der höchsten Amateurliga Bayerns und das zeitweise sogar auf Augenhöhe. Dieses Sportbund-Märchen spielte sich nicht vor 45 Jahren in der Saison 1978/1979 ab, als beide Rosenheimer Vereine der damals dritthöchsten Liga Deutschlands, der Bayernliga, angehörten, sondern vor elf Jahren in der Saison 2011/2012.
SBR-Derbysieg in der Bayernliga
Wieder war es die Bayernliga, zu dieser Zeit immerhin noch die höchste bayerische Amateurklasse. Der SB Rosenheim surfte auf einer Erfolgswelle und das schon seit ein paar Jahren mit drei Aufstiegen (2002, 2007 und 2011) in neun Jahren und einer durchdachten Entwicklung der Abteilungsstruktur. Dazu passte es, dass die Truppe von der Pürstlingstraße im ersten Bayernliga-Derby gegen den Lokalrivalen 1860 Rosenheim nach einem packenden Spiel ein 3:3-Unentschieden erreichte und das Rückspiel sogar mit 3:0 gewann.
Die Sechziger schafften trotzdem die direkte Qualifikation für die neugegründete Regionalliga Bayern, der Sportbund trat in der ersten Relegationsrunde um den Aufstieg in Bayerns Eliteklasse gegen den FC Augsburg II an und verlor nach einem 0:0 in Augsburg zu Hause unglücklich mit 0:1.
Nach 53 Jahren weider in der Kreisliga
Der SBR blieb also in der Bayernliga, die zweigeteilt war. Das war die Saison 2012/2013, also vor genau zehn Jahren, als die Sportbund-Zweite zur gleichen Zeit in der Bezirksliga spielte und sogar einmal Dritter wurde. Ein Liga, aus der die Sportbündler mit ihrer ersten Mannschaft zehn Jahre später, in die Kreisliga absteigen sollten. Erstmals nach 53 Jahren. Damals, 1970, stieg die Sportbund-Mannschaft aus der A-Klasse (damals 6. Liga) in die Bezirksliga auf. Die A-Klasse aus dieser Zeit heißt heute Kreisliga und ist in Bayern mittlerweile nur noch die achthöchste Klasse. Eine 2. Mannschaft existiert seit Oktober 2021 nicht mehr. Da meldete der SBR das Team wegen Spielermangel vom A-Klassen-Spielbetrieb ab.
So weit unten wie seit 50 Jahren nicht
Zahlen und Fakten, die einen erschrecken und nachdenklich zurücklassen. Man stellt sich als Beobachter der Rosenheimer Fußballszene die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass man eine so erfolgreiche Abteilung innerhalb kürzester Zeit so an die Wand fährt. Nicht nur beim SBR, sondern parallel und fast gleichzeitig auch bei den Sechzigern. Mittlerweile trennen beide Mannschaften zwar wieder zwei Klassen, trotzdem haben beide Teams zumindest in den letzten 50 Jahren noch nie so weit unten im bayerischen Amateurfußball agiert.
Fehler: Abmeldung der „Zweiten“
Einer der größten Fehler, den sowohl der SBR als auch die Roten von der Jahnstraße gemacht haben, war die Abmeldung der zweiten Mannschaft. Beide Vereine waren, für die Sechziger gilt das immer noch, für ihre hervorragende Jugendarbeit bekannt, aber wo sollten sich Talente, die nicht sofort den Sprung in die „Erste“ schafften, entwickeln, wenn es keine 2. Mannschaft in einer entsprechend hohen Spielklasse gibt. Im Training? Ohne Spielpraxis? Sicher nicht. Der Schuss ging definitiv nach hinten los. Andere Vereine in und rund um Rosenheim bedienten sich bei den „Roten“ und den „Grünen“.
Zehn Wasserburger mit SBR-Vergangenheit
Allein vom SBR spielen nächste Saison zehn Spieler (Dominik Brich, Maxi Höhensteiger, Leon Simeth, Michael Neumeier, Moritz Knauer, Michael Barthuber, Manuel Kerschbaum, Daniel Kononenko, Janik Vieregg und Lukas Starringer) beim TSV Wasserburg, die als junge (Nachwuchs-) Spieler das Sportbund- und teilweise auch das Sechziger-Trikot getragen haben. Aus dem schier unerschöpflichen Reservoir des eigenen Nachwuchses rekrutierte der SBR immer wieder gute bis sehr gute Spieler, die in den folgenden Jahren zu Leistungsträgern wurden und das Geschehen beim SBR bestimmten. In der Saison 2016/2017 gewann der SBR in der A-Junioren-Landesliga gegen die Sechziger 5:0, ein Jahr später spielte der Sportbund mit der A-Jugend sogar eine Klasse höher als der Lokalrivale. Doch als die hervorragende Nachwuchsarbeit beim SBR nachließ – aktuell steigen die A-Junioren aus der Bezirksoberliga in die Kreisliga ab – versiegte diese Quelle. Auch oder gerade deshalb, weil man sich 2018 vom mittlerweile verstorbenen Richard Neumeier, seit jeher ein Förderer des Nachwuchses und von Jugendleiter Thomas Neumeier getrennt hatte. Auch heute noch aus nicht nachvollziehbaren Gründen und in der Art und Weise unschön. 2018 hätten andere gehen müssen.
Tischtuch zwischen den Parteien zerschnitten
Noch 2009 sagte der damalige Abteilungsleiter Willi Bonke, der wegen Problemen an der Spitze der Fußballabteilung kurzfristig eingesprungen war und in seine zweite Amtszeit ging: „Die ersten sechs Monate sind sehr schnell vergangen. Ich habe sehr viel Unterstützung von allen im Verein tätigen Personen bekommen (...), natürlich auch von Richard und Thomas Neumeier.“ Unter Bonkes Regie schaffte der SBR 2012 den Aufstieg in die Bayernliga. Sechs Jahre später, Ende Juni 2018, kam es zur Trennung. Das Tischtuch zwischen den Parteien sei zerschnitten gewesen, sagte Willi Bonke in seiner damaligen Funktion als 2. Vorstand des Hauptvereins gegenüber der OVB-Sportredaktion. Die Kündigung kam per Einschreiben, trotzdem drückten die Neumeiers noch die Daumen. Thomas Neumeier sagte: „Die Spieler kommen ja aus unserer erfolgreichen Jugendarbeit, sie haben durch die Bank einen einwandfreien Charakter und können für Furore sorgen, wenn sie gut geführt werden“.
„Da ging die Misere richtig los“
Das wurden sie anscheinend nicht und wohin das führen kann, zeigt der Absturz in die Kreisliga. „Nachdem die Neumeiers und noch ein paar andere Trainer weg waren, ging die Misere erst richtig los,“ sagt ein Ex-Spieler, der namentlich nicht genannt werden will. Der Sportbund hatte innerhalb kürzester Zeit eine gewaltige Portion Fachwissen, Loyalität und vor allem soziale Kompetenz im Nachwuchsbereich verloren. Jetzt mussten auch wieder verstärkt Spieler von auswärts geholt werden, die sich teilweise nur wenig bis gar nicht mit dem Verein identifizierten. Damit war der Weg nach unten vorprogrammiert und das sah nicht nur Hansi Rottmüller, der 15 Jahre beim SBR Torhüter und Torhütertrainer war, in einem Interview anlässlich seines Abschieds 2019 so. Rottmüller sagte: „ Wenn man merkt, dass sich gewisse Prozesse im Verein abgeschliffen haben, und es nicht den Anschein hat, dass sich langfristig etwas daran ändert, dann wird die Situation nicht leichter. Ich wünsche mir von Herzen, dass der Sportbund seinen Weg findet und eine halbwegs ruhige Saison spielen kann. Aber das wird wohl ein steiniger Weg.“ Dass der Weg des SBR so steinig wird und in den nächsten Jahren mit einem Doppel-Abstieg aus der Landes- und der Bezirks- in die Kreisliga führt, konnte natürlich auch Rottmüller nicht ahnen.
Schon vor 25 Jahren drohte die Kreisliga
Dem SBR drohte übrigens schon vor 25 Jahren der Absturz in die Kreisliga: Einmal in der Saison 1997/1998, als man im letzten Spiel gerade noch den Klassenerhalt schaffte und ein Jahr später als in der Relegation gegen Deisenhofen der Abstieg verhindert werden konnte. Damals lernten die SBR-Verantwortlichen aus ihren Fehlern, holten sich charakterlich starke Akteure, bauten zudem immer wieder Spieler aus dem eigenen Nachwuchs ein, legten auch Wert darauf, dass die zweite Mannschaft möglichst hoch spielt, und schaffte nach drei Jahren den Sprung in die Bezirksoberliga. Ab diesem Zeitpunkt ging es mit dem Sportbund steil bergauf.
Sieben Jahren mit Trainer Walter Werner
Unter Trainer Walter Werner, der sieben Jahren beim Sportbund als Coach das Sagen hatte, schaffte man 2007 und 2011 die Aufstiege in die Landesliga und in die eingleisige Bayernliga. Es herrschte ein Vereinsleben wie selten zuvor, die Spieler beider Mannschaften bildeten eine verschworene Gemeinschaft. Über diese Zeit sagte Hansi Rottmüller: „Wir hatten charakterlich eine Bombentruppe. Eine überragende Saison mit einer mindestens so überragenden Saisonabschlussfahrt mit 40 Mann nach Barcelona. Für viele die wohl schönste Zeit beim Sportbund.“
Sie trugen den Sportbund im Herzen
Auch deshalb, weil so viele tolle Fußballer mit ihm auf dem Platz standen. Spieler, die den Sportbund im Herzen trugen, und wenn man die Namen liest, die Rottmüller aufzählt, weiß man, wovon er spricht: „Da waren viele gute Typen dabei. Charly Meier, Bernd Sylla, Alex Spreitzer, Andi Sollinger oder Markus Höhensteiger. Die hatte man als Torwart gerne vor sich. Bei dem ein oder anderen war der Begriff ,zimperlich‘ im Wortschatz nicht existent. Dazu gehören auch Schlitzohr Matthias Poschauko, unser Meisterkapitän Werner Wirkner, Sepp Heller, ein Sportsmann, von dem sich jeder junge Spieler eine Scheibe abschneiden konnte, die Mittelfeldlokomotive Thomas Rothstein, Franz Eyrainer als Leitfigur des starken 1987er-Jahrgangs, der unter der Leitung von Richard Neumeier eine Ära beim Sportbund einleitete. Und natürlich Christoph Börtschök.“
Dieses Thema wird aktuell wieder heiß diskutiert
Da sind auch Freundschaften unter den Spielern entstanden, die bis heute halten: „Da hab ich Burschen kennenlernen dürfen, die du um drei Uhr in der Nacht aus dem Bett klingeln könntest und sie wären für einen da.“ Und Rottmüller sprach damals zu seinem Abschied beim SBR auch ein Thema an, das aktuell so heiß diskutiert wird wie selten zuvor - die Fusion zwischen den beiden großen Rosenheimer Vereinen. Das sagte Rottmüller vor vier Jahren: „Es wäre definitiv für alle im Sinne des Rosenheimer Fußballs das Beste, wenn endlich Kräfte gebündelt und die zwei Vereine TSV 1860 und Sportbund sich ernsthaft Gedanken um einen Zusammenschluss machen würden. Dass es möglich ist, solche Projekte erfolgreich in Angriff zu nehmen, zeigen die Beispiele Ingolstadt oder Traunstein.“
Ob es jemals zu dieser Fusion kommt und ob der Sportbund wie vor 25 Jahren aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, wird sich in naher Zukunft zeigen. Leicht wird es definitiv nicht, auch wenn der Sportliche Leiter Christoph Börtschök, ein weiteres SBR-Urgestein, den sofortigen Wiederaufstieg als Ziel nennt. Es wäre der Anfang eines Märchens, doch auch Märchen enden nicht immer gut...



