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Wasser ist nicht gleich Wasser

Tampons, Trüffel, Kuhmilch – SWR-Experte nennt Chaos um Mehrwertsteuer „Witzelieferant“

Zwei Tassen Kaffee vor einem Croissant
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Auf die Milch kommt es an: In Deutschland wird beim Mehrwertsteuersatz zwischen tierischen und veganen Produkten unterschieden.

In Deutschland gibt es zwei Mehrwertsteuersätze. Wo die Grenze gezogen wird, ist teilweise kurios. Sogar ein Experte kann das nicht immer erklären.

Berlin – Beim Cappuccino ist die Milch entscheidend, bei Bratwurst sind es die Zutaten. Und zwar doppelt. Einerseits hinsichtlich des Geschmacks. Aber auch beim Preis. Denn in Deutschland wird bei der Mehrwertsteuer mit zweierlei Maß gemessen. Es gibt den Normal-Steuersatz von 19 Prozent und den ermäßigten Steuersatz, der sieben Prozent beträgt.

Mehrwertsteuersatz in Deutschland: Kaffee mit veganer Milch teurer als Kaffee mit Kuhmilch

Der Unterschied wird in §12 des Umsatzsteuergesetzes festgehalten, der sich ausführlich mit den Steuersätzen befasst. Satz 2 zu den Sieben-Prozent-Ausnahmen umfasst nicht weniger als 15 Punkte, die teilweise weitere Unterpunkte aufweisen. Schon da stellt sich die Frage: Wer soll da wirklich durchblicken?

Kurioses fördert der Blick ins reale Leben zutage. So wird – um wieder auf den Cappuccino zu sprechen zu kommen – Kaffee mit Kuhmilch mit sieben Prozent besteuert. Kaffee mit veganen Alternativen wie Hafer- oder Sojamilch dagegen hat einen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Bei Kaffeebohnen sind es sieben, bei gebrühtem schwarzen Kaffee sind es 19 Prozent, außer darin befinden sich mindestens 75 Prozent Milch oder ein anderes Milcherzeugnis. Dann sind es wieder sieben Prozent.

Noch ein paar Beispiele zum Kopfschütteln gefällig? Weil Wasser (etwa als Trinkwasser aus der Leitung) zum täglichen Bedarf zählt, fällt es unter den ermäßigten Steuersatz. Kommt es allerdings in der Flasche, werden 19 Prozent fällig - egal, ob mit oder ohne Kohlensäure. Auf Hörgeräte entfallen sieben, auf Brillen 19 Prozent Umsatzsteuer.

Für Tampons und Binden gilt der ermäßigte Steuersatz, Slipeinlagen werden mit 19 Prozent besteuert

Verzwickt ist es auch bei „Erzeugnissen für Zwecke der Monatshygiene“: So entfallen etwa auf Tampons und Binden sieben Prozent Mehrwertsteuer, auf Slipeinlagen hingegen 19. Das Argument: Diese können nicht ausschließlich für die Periode benutzt werden, sondern für Ausfluss jeglicher Art.

Es geht kurios weiter: Für Trüffel gelten sieben, für Süßkartoffeln aber 19 Prozent. Ermäßigt besteuert sind auch Vogeleier und Eigelb, „ausgenommen ungenießbare Eier ohne Schale und ungenießbares Eigelb“.

Bratwurst von Schwein oder Rind? Sieben Prozent. Sojawurst? 19 Prozent. Da sagen Veganer und Vegetarier sicher danke. Der ermäßigte Steuersatz greift auch bei Obst und Gemüse. Nicht allerdings bei Saft.

Video: Restaurantbesuch bald deutlich teurer?

Zwei Mehrwertsteuersätze: Laut Experte steckt dahinter „Entlastungswille“ des Staates

Wieso diese Unterscheidung? Grundsätzlich, verrät Umsatzsteuer-Experte Alexander Michelutti in einem Beitrag der SWR-Sendung „Marktcheck“, steht über diesem Chaos „ein Entlastungswille, den der Staat hier zeigt“. Laut Stiftung Warentest werden die sieben Prozent Mehrwertsteuer bei täglich benötigten Gütern wie Lebensmitteln sowie bei Waren, die der Bildung und dem gesellschaftlichen Leben dienen, angesetzt.

So werde versucht, die Grundversorgung im Land zu garantieren. Es soll jedem Bürger ermöglicht werden, seinen Kühlschrank zu füllen, Bus zu fahren, das Theater zu besuchen oder Zeitung zu lesen.

Gut gedacht. Aber offenbar nicht so gut gemacht. Im SWR kritisiert ein Passant, nachdem er mit dem Mehrwertsteuer-Durcheinander konfrontiert wurde: „Pseudogerecht. Pseudoclever und unnötig kompliziert.“

Experte über Mehrwertsteuersätze: „Manchmal ein Witzelieferant“

Selbst Experte Michelutti gibt zu: „Ich schüttele manchmal den Kopf und manchmal ist es auch so ein Stück weit wieder ein klein wenig ein Witzelieferant, den man dann auch gerne mal zu Weihnachtsfeiern verwendet.“

Zu Wort kommt auch der Mitbegründer des schwäbischen Unternehmens „Protero“. Dieses verschickt Proteinpulver an Kunden. Damit die Verbraucher für diese Nahrungsergänzungsmittel nicht 19, sondern lediglich sieben Prozent Mehrwertsteuer bezahlen müssen, fügt Michael Mallek jedem Paket noch ein unscheinbares Päckchen mit Zusatzstoffen hinzu.

Und fragt sich, ob er im falschen Film ist: „Es ist einfach absurd, dass dieses Päckchen mit den Zusatzstoffen den Unterschied und unser natürliches Produkt dann steuerlich zu einem Lebensmittel macht.“ Für ihn sei diese Regelung „totale Schikane“ und „völlig unnötig“.

Vor allem die Milch-Regelung ist ein Ärgernis für Martin Lai vom Südhang Kaffee in Tübingen. Laut dem SWR-Beitrag klagt er sogar gegen die aktuelle Ungleichbehandlung. „Ich möchte den gleichen Mehrwertsteuersatz haben für vegane Milchalternativen oder für Kuhgetränke“, fordert der Schwabe.

Bis eine Entscheidung fällt, wird Lai kreativ. So verkaufte er Hafer-Cappuccino zeitweise als Hafer-Suppe, um auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu kommen.

Wann ist es ein Lebensmittel? Nahrungsergänzungsmittel können mit sieben oder mit 19 Prozent besteuert werden.

Mehrwertsteuersätze in Deutschland: Bundesrechnungshof empfiehlt eine Reform

Im vergangenen Dezember kam auch der Bundesrechnungshof zu dem Schluss: Eine Reform des ermäßigten Umsatzsteuersatzes ist lange überfällig. Er empfiehlt, „den Katalog der Steuerermäßigungen grundlegend zu überarbeiten“. Allerdings auch, „den Forderungen aus verschiedenen Kreisen nach weiteren Steuersatzermäßigungen, der Einführung von stark ermäßigten Steuersätzen oder dem Nullsteuersatz grundsätzlich nicht nachzukommen“.

Der NDR zitiert Bundesrechnungshof-Sprecher Jens Hamer so: „Umsatzsteuerermäßigungen sollten sich auf den Bereich der Grundversorgung beschränken. Das ist das grundsätzliche Ziel der Ermäßigung. Es sollte nicht so sein, dass wir hier eine Klientelpolitik haben zu Lasten der Allgemeinheit.“ Ähnlich sieht es im selben Artikel Petra Ackermann vom Bund der Steuerzahler in Hamburg: „Bestimmte Subventionen sind einfach nicht mehr gerechtfertigt und basieren auf guter Lobbyarbeit.“

Als diese Sätze fielen, war noch nicht absehbar, was die Ampelregierung zum Jahreswechsel plant. Nach dann dreieinhalb Jahren mit ermäßigtem Mehrwertsteuersatz zur Entlastung der Gastronomie wegen der Folgen der Corona-Krise sind bei Restaurant- und Imbissbesuchen künftig wieder 19 Prozent fällig. Aber nur, wenn vor Ort gegessen oder getrunken wird. Wer seine Speisen mitnimmt, kommt – wie schon vor Corona – mit sieben Prozent davon. Warum auch immer.

Mehrwertsteuersatz: Meldungen zur geplanten Rückkehr zu 19 Prozent in Gastronomie

Die wieder steigende Mehrwertsteuer halten viele Wirte für „existenzbedrohend“. Für den Dehoga-Chef ist bei einer Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer klar: „Die Preise müssten erhöht werden.“ Die Dehoga im Heidekreis will am ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent festhalten. (mg)

Transparenzhinweis: In einer früheren Version hatten wir berichtet, dass für „stilles Wasser“ sieben Prozent Mehrwertsteuer veranschlagt werden. Das war missverständlich. Richtig ist, dass es sich dabei um Wasser aus der Leitung handelt. Die Redaktion bittet dies zu entschuldigen. Präzisiert wurde auch der Absatz zu Tampons, Binden und Slipeinlagen.

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