Durch den Wind, nervös und flatterig
Merkel-Regierung schlingert
Bei der SPD dauert die Suche nach einer neuen Spitze quälend lange, die CDU-Chefin und neue Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer findet sich erneut in der Defensive wieder. Bei den Landtagswahlen im Osten drohen Tiefschläge.
Berlin – Es steht mal wieder ein Herbst der Entscheidung an für die notorisch zerstrittene schwarz-rote Koalition. In zwei Wochen wählen die Menschen in Sachsen und Brandenburg neue Landtage.
CDU und SPD drohen empfindliche Klatschen – die Rechtspopulisten stehen vor historischen Erfolgen. Unklar ist, welche Auswirkungen das auf die Statik der im Wackelmodus regierenden Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben wird. Und auf die Stimmung an der Parteibasis. Zumal die SPD bis Dezember entscheiden will, ob sie überhaupt an der Regierung bleibt – oder die Koalition vorzeitig verlässt. Seit gestern Abend ist zudem klar, dass die Spitzen von Union und SPD innerhalb der kommenden acht Wochen vorab schon über ihre Zusammenarbeit sprechen wollen.
Vor Wahlen in Sachsen und Brandenburg: Merkel-Regierung schlingert
Politische Erfolge wären in einer solchen Lage für jene in Union und SPD, die an der Regierung festhalten wollen, dringend nötig. Gestern, beim ersten Koalitionstreffen nach der Sommerpause, hat man sich immerhin darauf geeinigt, die Mietpreisbremse bis zum Jahr 2025 zu verlängern. Mieter sollen außerdem zu viel gezahlte Miete vom Vermieter zurückfordern können. Zudem soll die ortsübliche Vergleichsmiete künftig anders berechnet werden. Wieder keine Lösung fand sich hingegen im Endlos-Streit um die Grundrente. Eine Arbeitsgruppe soll nun Bewegung in die Sache bringen.
Auch sonst wirken die Spitzen von CDU und SPD zeitweise wie durch den Wind, nervös und flatterig.
Beispiel CDU: Zu Beginn der Sommerpause hatte die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer einen Befreiungsschlag versucht. Entgegen früherer Beteuerungen rückte sie trotz CDU-Vorsitz auf den Schleudersitz an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Nun aber muss AKK ein neuerliches Kommunikationsdesaster verkraften - und steckt wie in den ersten Monaten als Parteichefin wieder in der Defensive.
Und die SPD? Auch hier gilt: Bis zum Parteitag im Dezember, der die Entscheidung über die neue SPD-Führung und wohl auch den Verbleib in der Koalition bringen soll, stehen noch Wochen der Unsicherheit und des internen Wahlkampfes an. Für die Lösung von Sachproblemen und eine stabile Regierung dürfte ein solch ungeklärter Zustand Gift sein.
Vor Wahlen in Sachsen und Brandenburg: Merkel gelassen, Söder baut vor
Auch für CSU-Chef Markus Söder hängt viel am Erfolg der GroKo, auch die CSU bangt den Wahlen im Osten entgegen. Nur in Regierungsverantwortung im Bund kann die Partei ihren Sonderstatus in Bayern erhalten. Dabei baut Söder vor, damit seine CSU nicht unvorbereitet in eine mögliche Neuwahl schlittert. Seit Wochen biegt er seine Partei auf den grünen Pfad, gibt sich als Retter von Tierarten und Weltklima. So würde es für die CSU leichter, sich im Fall der Fälle einem Bündnis mit den seit Monaten starken Grünen zu öffnen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) präsentierte sich am Sonntag beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt betont gelassen. Sie pries die Kunst der Geduld, die man immer wieder neu erlernen müsse, und gab Einblicke in Verhandlungstaktik. Eine Regel kennen auch Familien im Umgang mit Kindern, wie Merkel sagte. „Wenn Eltern abends ausgehen wollen und wollen, dass die Kinder schnell ins Bett gehen, dann geht das meistens schief, weil die Kinder riechen das und brauchen besonders lange“, sagte sie. „Genauso ist es in der Politik. Wenn derjenige, mit dem man verhandelt, spürt, dass ich ungeduldig bin, dann wird’s garnüscht“, so Merkel. „Ungeduld riecht man.“
VON J. BLANK, C. HOFFMANN, M. HADEM UND S. HORSCH