Analyse
„Trump hat meinen Verdacht bestätigt“: Statt Versöhnung setzt er bei US-Wahl auf Spaltung
Nach dem Attentat-Versuch versprach Trump, das Land zu vereinen. Doch seine jüngsten Äußerungen lassen Zweifel aufkommen. Wie beeinflusst das seine Chancen?
Kaum jemanden kann die USA, ihre Politik und die kommenden Präsidentschaftswahlen besser analysieren als er: der amerikanische Politikwissenschaftler James W. Davis. Er ist ausgewiesener Experte für US-Politik und Internationale Beziehungen, lehrt seit Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum. Für IPPEN.MEDIA schreibt er regelmäßig über die Lage der USA und die kommende Präsidentschaftswahl.
In den Tagen nach dem versuchten Attentat auf Donald Trump begannen viele in seinem Umfeld die Vorstellung zu verbreiten, er habe sich geändert. Das Narrativ wurde auf dem Parteitag der Republikaner weiterentwickelt. Dort bekundete der ehemalige Präsident, dass die Zeit gekommen sei, das Land zu vereinen: „Die Zwietracht und die Spaltung in unserer Gesellschaft müssen geheilt werden. Wir müssen sie schnell heilen. Als Amerikaner sind wir durch ein einziges Schicksal und eine gemeinsame Bestimmung miteinander verbunden. Wir erheben uns gemeinsam. Oder wir fallen auseinander.“ In derselben Rede fügte er hinzu: „In einer Zeit, in der unsere Politik uns allzu oft spaltet, ist es jetzt an der Zeit, sich daran zu erinnern, dass wir alle Mitbürger sind – wir sind eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.“
US-Wahl: Wie Trump jetzt das Attentat zur Spaltung nutzt
Ich muss zugeben, dass ich der Vorstellung, Trump habe sich radikal verändert, skeptisch gegenüberstand. Ich hielt es für wahrscheinlicher, dass das Überleben eines Attentats Trumps übergroßes Ego weiter anheizen würde. Ich war überzeugt, dass er behaupten würde, durch göttliche Intervention, übermenschliche Kräfte oder beides gerettet worden zu sein. Nennen Sie mich einen Zyniker, aber ich ertappte mich dabei eine Frage zu stellen, welche man aus der Bibel kennt: „Ändert wohl ein Schwarzer seine Hautfarbe oder ein Leopard seine Flecken?“
Nun, es hat nicht lange gedauert, bis Trump meinen Verdacht bestätigt hat. Falls irgendjemand noch die Hoffnung hegte, dass wir zu den Tagen zurückkehren könnten, in denen es den Präsidentschaftskandidaten darum ging, über Themen zu debattieren, anstatt persönliche Beleidigungen auszutauschen, so wurden diese Hoffnungen in der vergangenen Woche mit Sicherheit zerstört. Die Beteuerungen der nationalen Einheit sind verschwunden und wurden durch spaltende, ethnische und rassistische Rhetorik ersetzt.
Donald Trump: Rassistischer Angriffe gegenüber Schwarzen
Leoparden können ihre Flecken nicht ändern, aber wenn man Donald Trump reden hört, können Menschen ihre Hautfarbe durchaus ändern. Als er auf der Jahrestagung der National Association of Black Journalists die Frage einer Journalistin beantwortete, behauptete der ehemalige Präsident, Kamala Harris sei plötzlich „ein schwarzer Mensch geworden“. Früher sei sie ausschließlich indisch, jetzt aber schwarz! Als die Journalistin zurückschlug und Trump daran erinnerte, dass Harris, die Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters, sich immer als Schwarze identifiziert hatte, bezeichnete Trump die Journalistin als „grässlich“ (nasty) - ein Begriff, den er anscheinend für kluge Frauen reserviert hat, die ihn herausfordern.
► James W. Davis, US-Amerikaner, ist einer der renommiertesten Experten für US-Politik und internationale Beziehungen.
► Er studierte Internationale Beziehungen an der Michigan State University, promovierte 1995 in Politikwissenschaft an der Columbia University und habilitierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er bis 2005 lehrte.
► Seit 2005 ist er Professor für Internationale Beziehungen und Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen.
►Davis ist Autor mehrerer Bücher und hat zahlreiche wissenschaftliche Ehrungen erhalten, darunter Gastprofessuren und Fellowships an renommierten Institutionen.
Dieser Austausch war kein Einzelfall. In einem Radiointerview im Anschluss an den Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in Washington ließ sich Trump zu einer ähnlichen ethnischen Rhetorik hinreißen: „Erstens: Sie mag Israel nicht. Zweitens, sie mag keine jüdischen Menschen. Sie wissen es, ich weiß es und jeder weiß es, aber niemand will es aussprechen.“ Die Äußerungen wurden auf einer Kundgebung in North Carolina wiederholt, wo der ehemalige Präsident den Zuhörern sagte, Harris sei „total gegen das jüdische Volk“.
US-Wahl: Wie Donald Trump seine Chancen auch bei Juden verspielt
Als Trump daran erinnert wurde, dass der Ehemann der Vizepräsidentin, Doug Emhoff, Jude ist, stimmte er einem Radiomoderator überein. Emhoff sein kein guter, sondern einen „beschissenen Jude“. Ein seltsames Verhalten von jemandem, der nur wenige Tage zuvor verkündet hatte, die Amerikaner seien „eine Nation unter Gott“! Seltsam, aber auch dumm, wenn man versucht, in traditionelle demokratische Wählerschaften vorzudringen.
Einer der überraschenderen Trends dieses Präsidentschaftswahlkampfes war der Anstieg der Unterstützung schwarzer Amerikaner für Donald Trump. Schwarze Männer, die traditionell die Demokraten unterstützen, schienen offen für eine zweite Trump-Präsidentschaft zu sein. Viele afroamerikanische Männer neigen jedoch zu einer sehr traditionellen Auffassung von Geschlechterrollen und fühlen sich in hohem Maße für die Verteidigung und den Schutz ihrer Familien verantwortlich. Da sie empfindlich auf alles reagieren, was als Zeichen der Respektlosigkeit ausgelegt werden könnte, ist es unwahrscheinlich, dass sie Trumps Äußerungen über die Hautfarbe einer schwarzen Frau als etwas anderes als die Empörung betrachten, die sie in der Tat waren.
Und jeder, der mit der Vielfalt des amerikanisch-jüdischen Lebens vertraut ist, weiß, wie empfindlich amerikanische Juden auf Versuche reagieren, sie in „gute Juden“ und „schlechte Juden“ einzuteilen, sei es aufgrund ihrer Frömmigkeit, ihrer politischen Orientierung oder ihrer vermeintlichen Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten oder dem Staat Israel.
Trump ist damit beschäftigt, seine eigene Partei zu spalten
Die etablierten Republikaner erkannten schnell die Gefahren, die mit Trumps Abstieg in den Abgrund der Identitätspolitik verbunden sind. Ohne Trump namentlich zu erwähnen, sagte der ehemalige Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, der selbst ein republikanischer Kandidat für den US-Senat ist, dass es „inakzeptabel und verabscheuungswürdig ist, die Identität von Vizepräsidentin Harris oder irgendjemandem anzugreifen“. Ein Republikaner im Repräsentantenhaus meinte: „Sich auf die Ethnie oder das Geschlecht von irgendjemandem zu konzentrieren, wenn es viele Dinge gibt, über die man reden kann, die den Wählern wirklich wichtig sind, ist für viele von uns frustrierend“. Sogar der Trump-freundliche Senator von Missouri, Josh Hawley, meinte, es sei „keine gute Idee für eine der Parteien, rassistische Identitätspolitik zu betreiben“.
Donald Trump hat die letzte US-Wahl verloren, weil die Wähler in den „Swing States“ ihn als spaltenden und chaotischen Präsidenten wahrgenommen haben. Um dieses Mal zu gewinnen, muss er sie davon überzeugen, dass er sich geändert hat und tatsächlich eine Politik verfolgen könnte, die das Land eint. Aber wie will er irgendjemanden davon überzeugen kann, dass er das Land vereinen kann, wenn er damit beschäftigt ist, seine eigene Partei zu spalten?
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