500 Bomben pro Woche
„Abwerfen und vergessen“: Russland überzieht Ukraine massenhaft mit Gleitbomben
Russland setzt vermehrt auf Gleitbomben. Die ukrainische Luftabwehr hat darauf noch keine Antwort – und verfolgt stattdessen den indirekten Ansatz.
Kiew – Gleitbomben spielten nicht nur bei der russischen Eroberung von Awdijiwka im Februar eine Schlüsselrolle. Der Waffentyp ist für die Ukraine eine zentrale Bedrohung an der Front und setzt auch die Luftabwehr zunehmend unter Druck. Denn Abwehrmöglichkeiten gegen die bis zu 1,5 Tonnen schweren Waffen gibt es kaum. Die Bauteile der Bombe stammen laut einem Bericht der ukrainischen Regierung, der dem Guardian vorlag, offenbar von Unternehmen aus Japan, China – und den USA.
Warum Russland im Ukraine-Krieg auf „Drop-and-Forget“-Bomben setzt
Russische Flugzeuge können die Gleitbomben etwa 70 Kilometer hinter der Front abwerfen, so eine Analyse der US-Kriegsexperten des Institute for the Study of War (ISW). Der Vorteil liegt auf der Hand: Die russischen Maschinen befinden sich damit in sicherer Entfernung und laufen nicht Gefahr, selbst abgeschossen zu werden. Die Waffen werden in Militärkreisen daher auch als „Drop-and-Forget“ (zu Deutsch: „Abwerfen und vergessen“) bezeichnet. Rund 500 Gleitbomben feuern Moskaus Truppen derzeit pro Woche ab, so die Analyse der ukrainischen Regierung, die der britischen Zeitung Guardian vorlag.
Der Bericht aus Kiew bestätigt außerdem, dass dieser Waffentyp „eine Schlüsselrolle“ bei der Zerstörung Awdijiwkas spielte. Freifallende Bomben sowjetischer Bauart lassen sich mithilfe eines einheitlichen Planungs- und Korrekturmoduls (UMPC) sowie dem Hinzufügen von billigen Tragflächen und Satellitennavigationssysteme leicht in Gleitbomben umwandeln, so die Analyse weiter. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch das ISW im März. Mit dem UMPC-Modul ausgestattet, beruhe die Flugbahn der Bomben auf den eingetragenen Flugaufgaben sowie einer Standortkorrektur mithilfe globaler Navigationssysteme, hieß es weiter.
Abgeworfen werden die Bomben etwa von Su-24 und Su-35S-Flugzeugen: „Die Bordausrüstung dieser Flugzeuge erlaubt es wahrscheinlich, die Zielkoordinaten während des Fluges, aber vor dem Abschuss zu ändern“, zitiert Guardian den Regierungsbericht. Die von Russland eingesetzten Gleitbomben reichen von der 250 Kilogramm schweren FAB-250 bis hin zur FAB-1500, die 1,5 Tonnen wiegt. Die Waffen hätten eine „relativ robuste Hülle zum Durchdringen von Boden oder Hindernissen wie Zwischenböden von Gebäuden und Bauwerken“, so der ukrainische Regierungsbericht.
Gleitbomben im Ukraine-Krieg: Die Schwäche der Ukraine ist die Stärke Russlands
Sanktionen des Westens sollen die Kriegskassen Russlands austrocknen und die Einfuhr wichtiger Komponenten für die Waffenproduktion einschränken. Doch Moskau findet offenbar Mittel und Wege, die Handelsbeschränkungen zu umgehen. Die Bauteile für die Gleitbomben kämen laut dem Regierungsbericht über China, Thailand und die Türkei nach Russland. Ursprünglich seien die Komponenten demnach in den USA, China und Japan hergestellt worden. Belege, dass die Produzenten der Bauteile gegen westliche Sanktionen verstoßen haben, gäbe es jedoch nicht.
Russland rüstet seine alten Bomben auf den neuen, gesteuerten Typ in einer Fabrik bei Moskau um, sagte der ukrainische Luftwaffensprecher Juri Ihnat im März im Gespräch mit CNN. „Das ist zwar keine billige oder schnelle Umrüstung, aber es kostet immer noch weniger als die Millionen für eine Rakete“, so Ihnat. Der Hersteller NPO Basal JSC ist laut Regierungsbericht für die Produktion der Technologie für die Gleitbomben verantwortlich und in der Lage, 500 Stück pro Monat herzustellen.
Die Stärke der Russen ist vor allem die Schwäche der Ukrainer: Der Erfolg der Gleitbomben liege in den mangelnden Kapazitäten der ukrainischen Luftwaffe, hieß es vom International Institute for Strategic Studies (IISS) im März. „Kiew sieht sich mit der Gefahr konfrontiert, dass ein Zermürbungskrieg im Luftraum ohne angemessene Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten zunehmend Russland begünstigen wird“, so die Warnung der Denkfabrik weiter. Indes versucht die Ukraine, die Gefahr der Gleitbomben im indirekten Ansatz zu bannen. Mit Angriffen auf russische Luftwaffenstützpunkte will Kiew jene Flugzeuge zerstören, die Gleitbomben abwerfen können.