ZDF-Talk zum Ukraine-Krieg
Sicherheitsexpertin erklärt bei „Lanz“ Putins Angst-Strategie: „Nicht die Bombe ist die Waffe“
SPD-Politiker Martin Schulz ringt bei „Markus Lanz“-Debatte zum Ukraine-Krieg um Souveränität, weil ihn die Sticheleien eines Journalisten auf die Palme bringen.
Hamburg – Bei „Markus Lanz“ schildert am Dienstagabend die Militärexpertin Florence Gaub zu Beginn der Sendung eindrücklich die „Bestrafungsstrategie“, die Russlands Präsident Wladimir Putin* im Ukraine-Konflikt* bei der Zerstörung der ukrainischen Stadt Mariupol anwende. Wie jedoch die Amerikaner in Vietnam oder die Sowjetunion in Afghanistan vorgeführt hätten, sei diese Taktik nicht zielführend. Der Wille der Bevölkerung sei in der Regel nicht zu brechen, die Strafe führe im Gegenteil zu weiteren Ressentiments. Mit ernster Stimme sagt Talkmaster Markus Lanz: „Ich meine da liegen Leichensäcke in den Straßen und offenkundig haben Menschen Probleme, die Leute zu beerdigen.“
Russland nehme die ukrainische Bevölkerung als Geisel, um Druck auf die Regierung auszuüben, erklärt Gaub. Jede Stadt sei von militärischem Wert, inzwischen gehe es für Russland darum „irgendetwas zu erreichen“. Putin sei von einem schnellen militärischen Erfolg ausgegangen, stattdessen ziehe sich der Krieg schon einen Monat hin. Dass der russische Präsident Geheimdienstmitarbeiter bestraft habe, weil diese ihn falsch über die Situation informiert hätten, wertet Gastgeber Lanz als Signal dafür, dass in Russland „überhaupt nichts nach Plan“ laufe. Diese Einschätzung teilt Gaub. Alle Infos zum Geschehen in der Ukraine finden Sie auch in unserem Live-Ticker zum Ukraine-Krieg.
Ukraine-Krieg bei „Markus Lanz“ - Militärexpertin Gaub: „Ich will den Leuten die Angst nehmen“
„Krieg ist Logistik und Emotion. Der Krieg findet auch in allen unseren Köpfen statt“, sagt Gaub und fordert zur verbalen Abrüstung auf, etwa der leichtfertigen Rede eines Dritten Weltkriegs. „Das erzeugt bei uns Angst. Nicht die Bombe ist die Waffe, sondern die Angst vor der Bombe ist die Waffe“, so Gaub. Und wer Angst habe, treffe schlechte Entscheidungen. Den Leuten die Angst zu nehmen, habe sie sich zur Aufgabe gemacht, auch mit Blick auf den Einsatz von Atomwaffen. Sie wolle „es zwar wirklich nicht kleinreden“, aber auch in Hiroshima hätten nach der Detonation weiterhin Menschen gelebt.
„Ich will wirklich den Leuten die Angst nehmen, dass jetzt die Welt bald zu Ende ist und wir alle in einem riesigen atomaren Krieg sterben. Das wird nicht passieren“, sagt Gaub. Bei ihren letzten Worten runzelt der Politiker Martin Schulz (SPD) die Stirn. Gaubs Empfehlung, sich mal einen Tag nicht die Nachrichten anzuschauen, um die Angst loszuwerden, quittiert er mit einem nüchternen: „Unmöglich.“
Flüchtlinge aus der Ukraine in Berlin – Sozialsenatorin Kipping bei „Markus Lanz“: „Das ist erst der Anfang“
Die Politikerin Katja Kipping (Linke*), seit drei Monaten als Berliner Sozialsenatorin im Amt, beschreibt die Folgen des Krieges in der Hauptstadt. Putin habe seinen Angriffskrieg an einem Donnerstag eröffnet, am Freitag habe sie entschieden, die Berliner Strukturen auf die Ukraine-Flüchtlinge einzustellen und bereits am Samstag seien die ersten dagewesen. Eine Vorlaufzeit habe es dementsprechend nicht gegeben, schnell seien täglich zehntausende am Berliner Hauptbahnhof angekommen. Berlin habe derzeit rund 20.000 Menschen unterbringen können: „Das ist ungefähr die Verdopplung dessen, was wir insgesamt an Flüchtlingsunterkünften hätten. Und wir wissen alle: Das ist erst der Anfang.“
Was würde Martin Schulz in der jetzigen Situation machen, fragt Gastgeber Lanz in Richtung des Sozialdemokraten, der daraufhin lachen muss. Die Hauptlast bei den Flüchtlingen hätten die Städte und Gemeinden zu tragen, also müsse man sie mit ausreichend Geld ausstatten, wobei Schulz Zuversicht zeigt: „Das wird sicher funktionieren.“ Den Vorwurf des Journalisten Robin Alexander, Innenministerin Nancy Faeser (SPD) habe die Lage unterschätzt, weist Schulz ebenso zurück, wie eine Kritik an Kanzler Olaf Scholz (SPD), der sich laut Alexander in der Öffentlichkeit nicht ausreichend zu dem Konflikt äußere. Der Kanzler sei mit einer „fundamentalen Veränderung der internationalen Politik“ konfrontiert, durch die er das Land führen müsse, erläutert Scholz und sagt: „Ich finde, das hat er toll gemacht.“
„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 22. März:
- Katja Kipping (Linke) – Politikerin
- Martin Schulz (SPD) – Politiker
- Florence Gaub – Sicherheitsexpertin
- Robin Alexander – Journalist
Moderator Lanz findet die Kritik, dass Olaf Scholz sich wegducken würde, schon gerechtfertigt, etwa weil der Kanzler nicht direkt auf die Rede von Wolodymyr Selenskyj* im Deutschen Bundestag reagierte und es im Anschluss keine Debatte gegeben habe. Schulz sagt zunächst, er sei zwar nicht dabei gewesen, er habe aber selbst schon vergleichbare Situationen erlebt. „Man hätte vielleicht eine Pause machen müssen, das glaube ich schon“, gibt er zu, äußert aber auch sein „Verständnis für die Regierungschefs, die in enger internationaler Abstimmung jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen, um eine gefährliche Eskalation dieses Konfliktes zu vermeiden“.
Selenskyj spreche derzeit in vielen Parlamenten, sagt Alexander. „Das waren Sternstunden dieser Parlamente“, wirft Lanz ein. Selenskyj habe in seiner Rede Dinge angesprochen, „die unser Land wirklich im Innersten angehen“, meint Alexander. Dass sich das Parlament dazu nicht verhalten habe, sei „wahnsinnig peinlich“. Schulz wippt bei Alexanders Ausführungen unruhig mit dem überschlagenen Bein und zuckt zustimmend mit den Schultern, ehe er sichtlich aufgewühlt sagt: „Ich habe ja selbst einmal die Ehre gehabt, einem solchen Parlament vorzustehen. Also: Ja, okay. Ich glaube, der Bundestag hätte zunächst einmal nach der Rede die Rede wirken lassen müssen.“
Deutsche Rohstoffabhängigkeit von Russland – Martin Schulz bei „Markus Lanz“: „Ich habe die Brutalität Putins unterschätzt“
Aufgewühlt wirkt Schulz auch, als er wenig später über Altkanzler Gerhard Schröder* (SPD) spricht. Dieser habe sich historisch verdient gemacht, als er dem völkerrechtswidrigen Krieg der Amerikaner im Irak entsagt habe, doch Schröders Schweigen bei einem völkerrechtswidrigen Verbrechen Russlands sei nicht akzeptabel. Gastgeber Lanz möchte daraufhin wissen, ob ein Parteiausschluss im Raum stehe. „Ach Quatsch“, winkt Schulz ab, damit sollen sich die Gremien der Partei auseinandersetzen. Zusammen mit anderen ehemaligen Parteivorsitzenden habe er den Altkanzler dazu aufgefordert, seine Ämter in Russland niederzulegen „und das ist eigentlich auch das, was ich von ihm erwarte. Ich bin überrascht, dass er das nicht macht.“
Der Moderator kann nicht begreifen, dass die Warnsignale Georgien, Krim, Syrien, „Giftmorde kreuz und quer durch Europa“ übersehen worden seien und will in der Energieabhängigkeit Deutschlands ein SPD-Problem sehen. Schulz dröselt die Konflikte auf, 2008 habe sich Russland zurückgezogen, 2014 habe man mit dem Minsker Abkommen versucht, den Konflikt im Griff zu behalten. Das sei offensichtlich nicht gelungen, möglicherweise sei in der Analyse „nicht ausreichend konsequent gehandelt worden“. Dass die Bundesrepublik russische Rohstoffe kaufe, sei „eine über Jahrzehnte gewachsene Tradition“, die parteiübergreifend stattgefunden habe. Allerdings gesteht Schulz ein, zu denjenigen zu gehören, die „die Brutalität von Putin unterschätzt haben“.
SPD-Politiker Schulz geht bei „Markus Lanz“ die Hutschnur hoch: „Ich empfinde das wirklich als eine Frechheit“
Als Alexander im Anschluss behauptet, Schulz habe 2017 gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato Wahlkampf gemacht, platzt dem damaligen Kanzlerkandidaten nach und nach der Kragen. Zunächst gesteht er ein, er würde seine Aussage „Dann hätten wir ein bis an die Zähne bewaffnetes Deutschland“ heute nicht wiederholen. Weil Alexander jedoch nachhakt, gehen mit Schulz die Gäule durch: „Ich unterbreche Sie auch nicht nach jedem Halbsatz! Ich empfinde das wirklich als eine Frechheit.“ Erst als Gastgeber Lanz sich einschaltet und um Präzision bittet, beruhigt sich Schulz etwas. Er stellt klar, nicht gegen das Zwei-Prozent-Ziel Wahlkampf gemacht, sondern seine praktische Umsetzung infrage gestellt zu haben. Wenig später schimpft Schulz erneut, halb mit Alexander, halb mit dem politischen Gegner: „Abgespeckt hat die Bundeswehr Herr von und zu Gutenberg, der aus dieser Armee ein Sparschwein gemacht hat. Und sein Nachfolger der Herr Jung. Und dessen Nachfolgerin Frau von der Leyen. Und deren Nachfolger Herr de Maizère. Und dessen Nachfolgerin Frau Kramp-Karrenbauer. Alles keine Mitglieder der SPD.“
Kipping findet das Zwei-Prozent-Ziel dagegen „sowohl damals als auch heute falsch“. Sie könne zwar verstehen, wenn Menschen angesichts der veränderten Lage ihre Meinung ändern, doch „allein an einer festen Zahl die Aufrüstung festzumachen, ist nicht der richtige Schluss aus dem Ganzen“. Talkmaster Lanz findet all das spannend, eine ganze Generation, „so wie wir hier sitzen“, müsse sich schließlich eine Lebenslüge eingestehen: Das Prinzip ‚Wandel durch Handel‘ ist gescheitert. Kipping führt diesen Umstand vor allem auf Russlands Präsident zurück, in dem sich ihre Partei getäuscht habe. Ihr Eindruck sei jedoch, Putin habe sich in den letzten beiden Jahren stark verändert und attestiert ihm „eine neue Stufe der Unberechenbarkeit und der Eskalationsbereitschaft“.
„Markus Lanz“ - Das Fazit der Sendung
Bei „Markus Lanz“ steht am Dienstagabend der 27. Tag des Ukraine-Krieges und seine Folgen im Zentrum einer intensiven Debatte. Militärexpertin Florence Gaub beschreibt die Lage vor Ort, ehe die Politikerin Katja Kipping (Linke) von der Situation ukrainischer Flüchtlinge in Berlin berichtet. Der Politiker Martin Schulz (SPD) macht reihenweise unbequeme Zugeständnisse an den Journalist Robin Alexander und Talkmaster Markus Lanz. Damit gibt sich jedoch vor allem Alexander nicht zufrieden, er stichelt wiederholt gegen Schulz, diesem reißt der von Anfang an gespannte Geduldsfaden. (Hermann Racke) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
