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Analyse 

Ukraine-Krieg: Russland kündigt Getreide-Abkommen und verärgert China

Feuer nach einem russischen Raketenangriff auf Hafenanlagen für den Getreideexport nahe Odessa. Moskau ließ direkt nach dem Aus des Getreideabkommens Hafeninfrastruktur der Ukraine beschießen.
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Feuer nach einem russischen Raketenangriff auf Hafenanlagen für den Getreideexport nahe Odessa. Moskau ließ direkt nach dem Aus des Getreideabkommens Hafeninfrastruktur der Ukraine beschießen.

China war der größte Abnehmer im Rahmen des Abkommens zur Ausfuhr ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer.

Nun hat Russland das Abkommen aufgekündigt – und damit vor allem seinen wichtigsten Partner getroffen. China kritisierte das Aus für die Lieferungen und die Bomben auf ukrainische Hafeninfrastruktur. Doch noch ist unklar, wie sich Peking weiter positionieren wird.

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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie China.Table am 03. August 2023. Erhalten Sie 30 Tage kostenlos Zugang zu weiteren exklusiven Informationen der Table.Media Professional Briefings – das Entscheidende für die Entscheidenden in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs.

Seit dem 17. Juli stehen die Getreideterminals im Hafen von Odessa still. Russland hat seine Drohungen wahr gemacht und dieses Mal das Getreideabkommen tatsächlich auslaufen lassen, das der Ukraine die Ausfuhr von Weizen, Mais und anderen Produkten über das Schwarze Meer ermöglicht hatte.

Viele Augen richten sich nun auf China und die Türkei, den größten und drittgrößten Abnehmer ukrainischen Getreides aus dem abgelaufenen Abkommen. Beide haben großes Interesse daran, das Abkommen wieder in Kraft zu setzen. Doch bisher sind Versuche des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, seinen Amtskollegen Wladimir Putin zu erreichen, fehlgeschlagen. „Ich glaube, Putin vertraut Erdogan nicht mehr so sehr wie früher“, zitierte das Wall Street Journal den türkischen Ex-Diplomaten Gulru Gezer, der einst in Moskau stationiert war. Bislang hatte der türkische Präsident wie kein anderer zwischen den verfeindeten Seiten lavieren können.

Und China? Peking steht Russland näher als die Türkei, doch sind bisher keine chinesischen Versuche bekannt, Putin hinter den Kulissen umzustimmen. Immerhin forderte China ebenso wie die USA, die Vereinten Nationen und andere Russland öffentlich auf, zu dem Deal zurückzukehren. Man hoffe, dass das Abkommen wieder „vollständig“ umgesetzt werde, teilte Peking mit. Staatsmedien berichteten mit demselben Tenor.

Russland schadet China mit dem Aus des Getreide-Deals

Bislang lässt sich aus dem wenigen, was aus China zu hören ist, keine finale Position erkennen. Hält China stoisch weiter zu Russland, obwohl es direkt negativ betroffen ist? Oder sind die mit dem Aus des Abkommens verbundenen Probleme und Kosten für Peking der eine Tropfen zu viel?

Chinas UN-Botschafter Geng Shuang betonte vor dem UN-Sicherheitsrat, dass der Deal angesichts seiner Bedeutung für die weltweite Ernährungssicherheit dringend wieder umgesetzt werden sollte. Seine Rede war gespickt mit den üblichen Floskeln, nur ein Satz ließ auf mögliche Verärgerung schließen: „Die Lage vor Ort in der Ukraine ist weiter eskaliert, und wichtige zivile Infrastrukturen wurden angegriffen“, so Geng. Moskaus Attacken auf ukrainische Anlagen zum Lebensmittelexport hätten Sorge über die weltweite Ernährungssicherheit ausgelöst, kritisiert sogar der Staatssender CGTN.

China ist trotz aller Bemühungen um Selbstversorgung auf Lebensmittel aus dem Ausland angewiesen; knapp ein Viertel des Getreides (24,2 Prozent) im Rahmen des Abkommen ging in die Volksrepublik. Russische Angriffe auf ukrainische Schwarzmeerhäfen direkt nach dem Aus des Abkommens hatten rund 60.000 Tonnen Getreide, die auf ein Schiff nach China verladen werden sollten, getroffen und teilweise zerstört. Das berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf den ukrainischen Getreidehändler Kernel, der die Ladung verkauft hatte. Bei einem Angriff auf Odessa wurde zudem das chinesische Generalkonsulat in der Stadt beschädigt. Ärger wäre also durchaus plausibel.

Geopolitische Konsequenzen

Das maßgeblich von der Türkei vermittelte Getreideabkommen war zudem einer der wenigen diplomatischen Erfolge seit Kriegsbeginn gewesen. Es ermöglichte der Ukraine seit 2022 die Ausfuhr von über 32 Millionen Tonnen Getreide. Im Gegenzug befreite es die russischen Agrar- und Düngemittelausfuhren von den Sanktionen der USA und der EU. Laut dem UN-Nahrungsmittelpreisindex sind die Lebensmittelpreise durch den Deal weltweit um 11,6 Prozent gesunken. Davon profitierte neben armen Entwicklungsländern vor allem China. Mit dem Aus des Abkommens schadet Moskau also seinem wichtigsten Partner.

Neben China sind vor allem Länder in Afrika und im Nahen Osten auf die ukrainischen Lebensmittelexporte angewiesen, darunter viele, zu denen Peking traditionell gute Beziehungen pflegt. Ob sich diese Länder zusammentun, um Moskau zum Einlenken zu drängen, ist ungewiss – aber nicht ausgeschlossen. Russland hat zwar angekündigt, dass es das entgangene ukrainische Getreide auf den Weltmärkten ersetzen werde. Auf einem kürzlichen Russland-Afrika-Gipfel hatte Putin die angereisten Spitzenpolitiker des Kontinents allerdings nicht wirklich überzeugen können, dass Russland die von ihm verschuldeten Probleme lösen werde.

Chinas alt-neuer Außenminister Wang Yi landete mitten in der Krise um das Abkommen in Ankara, um seinen Amtskollegen Hakan Fidan und Präsident Erdogan zu treffen. Über konkrete Inhalte der Gespräche ist nichts bekannt – wohl aber, dass man über das Getreideabkommen sprach.

Bedeutung des Getreideabkommens für China

Die Ukraine ist traditionell ein wichtiger Agrarpartner für China. So war das Land vor dem Krieg der wichtigste Maislieferant der Volksrepublik. 2016 baute die COFCO-Gruppe, Chinas größter Agrarkonzern, im Hafen von Mykolajiw am Schwarzen Meer einen Umschlagterminal für Getreide und Ölsaaten. 2017 stellten chinesische Ingenieure laut einer Studie der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) die Modernisierung des Hafens Yuzhny bei Odessa fertig, der für die Getreideexporte im Rahmen des Abkommens genutzt worden war. Das Getreide aus dem Abkommen sei China so wichtig, dass es den Deal sogar als separaten Punkt in seinen 12-Punkte-Friedensplan für die Ukraine aufgenommen habe, schreibt Alexandra Prokopenko vom Carnegie Russia Eurasia Center.

Noch vor kurzem hatte Chinas stellvertretender Handelsminister Ling Ji seinen ukrainischen Amtskollegen Taras Kachka in Peking empfangen, um über die Ausweitung der Getreideexporte nach China zu sprechen. Kachka war der erste hochrangige Besucher aus dem angegriffenen Land seit Kriegsbeginn. China wolle in Zukunft mehr „hochwertige Produkte“ aus der Ukraine importieren, erklärte Peking anschließend.

Russland kann ukrainisches Getreide nicht ersetzen

Nun muss China umdisponieren, so wie schon in den Monaten zwischen Kriegsbeginn und der Unterzeichnung des Abkommens. Damals habe China fast seinen gesamten Mais aus den USA bezogen, sagt Joseph Glauber vom International Food Policy Research Institute in Washington. „Ende 2022 dann änderte China seine Einfuhrbestimmungen, um Maiseinfuhren aus Brasilien zuzulassen. Das dürfte dazu beitragen, den nun erwarteten Rückgang der Einfuhren aus der Ukraine auszugleichen“, so Glauber zu Table.Media.

Russland exportiert kaum Mais, verfügt aber über Weizenreserven. „Es ist der weltgrößte Weizenexporteur, und China könnte russischen Weizen zur Verwendung als Tierfutter kaufen„, sagt Glauber. China verwende den Großteil seiner Weizenimporte als Tierfutter. Weitere potenzielle Futterlieferanten seien Kanada (Gerste und Weizen), Argentinien (Mais und Weizen), Australien (Gerste und Weizen) und wiederum die USA (Mais, Hirse, Weizen).

China hat aufgrund von Wetterextremen möglicherweise bald einen erhöhten Bedarf an Importen. Auf eine lange Hitzewelle folgten Starkregen und gerade erst der Taifun Doksuri. „In Teilen Nord- und Zentralchinas haben die Setzlinge aufgrund der Hitzewellen seit Ende letzten Monats Anzeichen von schwachem Wachstum gezeigt, was die Herbsternte vor große Herausforderungen stellt“, warnte das Agrarministerium Anfang Juli. Das heißt, die Herbsternte ist in Gefahr – und die macht 75 Prozent von Chinas jährlicher Getreideproduktion aus. Schon die Ernte des Sommergetreides lag um 0,9 Prozent niedriger als im Vorjahr, was nach Angaben des Nationalen Statistikamts vor allem an anhaltenden Regenfällen direkt auf den reifen Weizen in der Kornkammer-Provinz Henan lag. Auch die Qualität könnte laut Glauber unter dem Regen gelitten haben.

Gibt es noch Rettung für das Getreideabkommen?

Die Zeit läuft ab, um das Abkommen noch zu retten. Bisher besteht Russland darauf, dass die staatliche Russische Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Zahlungssystem SWIFT angeschlossen wird. Die UNO hat dagegen einen Kompromiss vorgeschlagen: Eine Tochtergesellschaft der Bank soll an das System angeschlossen werden.

Ab September wird sich die ukrainische Getreideernte in den Lagern stapeln. Alternative Exportrouten über Rumänien oder Polen sind logistisch schwierig und aufgrund unterschiedlicher Hygienevorschriften bürokratisch kompliziert, auch für China. Peking hat also eigentlich keine Zeit, auf eine ferne Lösung zu hoffen, sondern hätte allen Grund, selbst in Moskau aktiv zu werden.

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