Ukraine-Krieg
Kasachstans Präsident düpiert Putin mit vielsagendem Statement – Wilde Spekulationen zum Hintergrund
Am Donnerstag trafen sich der russische Präsident Putin und sein kasachischer Amtskollege. Die Rede Tokajews bot Interpretationsspielraum.
Astana – Kasachstan gilt traditionell als enger Verbündeter Russlands, betreibt derzeit jedoch eine Art Schaukelpolitik. So unterstützt der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew einerseits die EU-Sanktionen gegen Moskau, hilft mutmaßlich aber an anderer Stelle mit, diese Einfuhrbeschränkungen zu umgehen. Beim Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag (9. November) sorgte ein Statement des kasachischen Regierungschefs nun für Aufsehen – und bot Interpretationsspielraum.
Treffen von Putin und Tokajew: Regierungschef beginnt Rede auf Kasachisch
Die Beziehung zwischen Russland und Kasachstan hat viele Facetten. Zuletzt hatte sich Tokajew verhalten zum Ukraine-Krieg geäußert und etwa auf die Bedeutung der „territorialen Unversehrtheit aller Staaten“ hingewiesen. Während Astana offiziell die Sanktionen des Westens unterstützt, leitet Kasachstan Berichten zufolge Haushaltsgeräte in großem Umfang nach Russland weiter. Der Trick: Elektrische Geräte wie Waschmaschinen oder Milchpumpen enthalten die von der EU sanktionierten Halbleiter, die Russland dringend für die Waffenproduktion braucht.
Doch auch zu Europa baute Kasachstan seine Beziehungen jüngst aus. Bei einem Treffen von Tokajew mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im September hatten die beiden Länder ihre gute und partnerschaftliche Zusammenarbeit betont. „Kasachstan ist für uns ein wichtiger Partner, um unsere Lieferwege zu verbreitern, beispielsweise beim Import von Rohöl, um uns unabhängiger zu machen von russischen Energielieferungen“, so der Kanzler damals. Die Kasachen fürchten schon seit Langem Gebietsansprüche der Russen auf den Norden ihres Landes. Bereits im Jahr 2013 löste Wladimir Putin eine Kontroverse aus, als er behauptete, dass „Kasachstan nie Souveränität hatte.“
Auch vor diesem Hintergrund ist nun die Rede Tokajews beim jüngsten Besuch Putins zu sehen. Bei seiner Ansprache vor der russischen Delegation entschied sich der Regierungschef der Ex-Sowjetrepublik zu Beginn dafür, Kasachisch statt Russisch zu sprechen. Dies ist insofern beachtenswert, als auf dem diplomatischen Parkett Worte und Symbolik oftmals ein anderes Gewicht haben. Wie ein auf der Plattform X (vormals Twitter) geteiltes Video zeigt, hatten die geladenen Gäste damit offenbar nicht gerechnet. Der russische Außenminister Sergej Lawrow, Kremlsprecher Dmitri Peskow, Kremlchef Putin und die anderen versuchten schnellstmöglich die Kopfhörer für die Simultanübersetzung zu finden. Kurz darauf wechselte Tokajew wieder ins Russische.
Der kasachische Präsident Toqajew begann beim Treffen mit Putin auf Kasachisch zu sprechen und überraschte damit die russische Delegation. Die "russische Welt" schrumpft.pic.twitter.com/6MriIiYFiM
— Annette Werberger (@AWerberger) November 9, 2023
Was die Ansprache Tokajews auf Kasachisch über die Beziehung zu Russland sagt – und was nicht
Russisch ist in Kasachstan ebenfalls Amtssprache, denn Russen bilden mit rund 20 Prozent die größte Minderheit im Land. In seinen Reden an die Nationen wendet sich Tokajew oftmals in den beiden Sprachen an sein Volk. Für den Regierungschef, der insgesamt fünf Sprachen sprechen soll, wäre es also ein Leichtes gewesen, seinem Besuch entgegenzukommen. Bislang war bei solchen Zusammentreffen in der Regel Russisch gesprochen worden. Dass die Wahl der Sprache reiner Zufall war, darf zumindest bezweifelt werden. Insbesondere, da Tokajew als diplomatisch bewandert gilt: Nach dem Besuch einer Eliteschule absolvierte er die Diplomatenschule Moskauer Institut für internationale Beziehungen und war vor seiner Rolle als Präsident unter anderem als Diplomat in China im Einsatz.
In den sozialen Medien ging das Video der Rede viral und lud so manchen zu Interpretationen ein. Tokajews Entscheidung, die russischen Gäste in seiner Muttersprache zu adressieren, wurde etwa als „Provokation“ gegenüber dem Kremlchef gewertet. Andere sahen es als Reaktion auf die Tatsache, dass der russische Präsident offenbar Schwierigkeiten hat, den Namen des kasachischen Staatschefs korrekt auszusprechen. Der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Gerashchenko, hatte zuvor ein entsprechendes Video geteilt. Es könne sich um mangelnden Respekt gegenüber Tokajew handeln, so die Vermutung Geraschchenkos. Wie auch immer sich der Vorfall interpretieren lässt, Fakten sind es nicht. Wie Kasachstan zu Russland steht, zeigt sich vielmehr in der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit.
Kasachstan und Russland festigen offenbar militärische und militärtechnische Zusammenarbeit
Für Russland war das ölreiche Kasachstan wegen der westlichen Sanktionen zuletzt immer wichtiger geworden. Russland versuche nun womöglich auch, Gas über Kasachstan in den Iran zu liefern, hieß es zuletzt von der US-Kriegsexperten der Denkfabrik Institute for the Study of War in ihrem täglichen Bericht. Andererseits benötigt Kasachstan auch Russland, etwa als Transitland, um Öl nach Europa zu leiten. Von Politikbeobachtern war das Angebot von Öl- und Gaslieferungen aus Kasachstan an die EU deshalb teils als „trojanisches Pferd“ gesehen worden.
Von russischer Seite blieb der Vorfall beim jüngsten Treffen zwischen Tokajew und Putin indes unkommentiert. Die Zusammenkunft der beiden Staatsmänner sei ein Erfolg gewesen, hieß es in einer Mitteilung der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass am Freitag. Es sei um „eine Festigung der militärischen und der militärtechnischen Zusammenarbeit“ der beiden Nachbarländer gegangen, erklärte Kremlchef Putin. Bereits am 23. November kommen Putin und Tokajew erneut in der belarussischen Hauptstadt Minsk zusammen. Dann bei einem Gipfel der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), einem Militärbündnis postsowjetischer Staaten.
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