Interview mit Rolf Tophoven
Terrorismus-Experte zu Amri: Diesen tödlichen Fehler machten die Fahnder
München - Vor über einem halben Jahr hatten die Sicherheitsbehörden in Deutschland über die Abschiebung des Attentäters Anis Amri diskutiert. Terrorismus-Experte Rolf Tophoven führt das große Versagen auf.
Bereits am 16. Juli 2016, also ein halbes Jahr vor Anis Amris verheerendem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, wurde auf höchster Ebene der Sicherheitsbehörden über die Abschiebung des Tunesiers diskutiert. Amri hatte beim Asylantrag gelogen. Gegenüber einem V-Mann hatte er gar erklärt, er könne sich eine Kalaschnikow für einen Anschlag besorgen. Das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum entschied damals trotzdem, es gebe keine „gerichtsverwertbaren“ Hinweise auf eine akute Gefährdungslage, erfuhr die SZ. In der tz analysiert Terrorismus-Experte Rolf Tophoven die für zwölf Menschen tödliche Fehleinschätzung der Terror-Fahnder.
Rolf Tophoven: Polizei und Verfassungsschutz hatten im Grunde alles über Amri gewusst. Aber die
entscheidende Frage ist: Wie wurden diese Erkenntnisse bewertet? Man wusste, er will sich Waffen beschaffen, will ein Selbstmordattentat begehen – er war also ein Gefährder der höchsten Stufe. Seine Abschiebung war beschlossene Sache, er wurde nur noch geduldet, weil die Abschiebe-Papiere aus Tunesien noch nicht vorlagen. Nun gibt es Juristen, die sagen, man hätte § 58a des Aufenthaltsgesetzes anwenden können, wonach die Inhaftierung bis zur Abschiebung möglich gewesen wäre. Das entscheidende Problem war aber die Endbewertung – da ist offensichtlich was schiefgelaufen.
Tophoven: Sicher spielte die Überlegung eine Rolle, ob die Beweise für eine Inhaftierung oder zumindest Meldeauflagen ausreichen. Aber am Ende war die Bewertung das Problem. Ich denke, das rechtliche Instrumentarium hätte ausgereicht, um ihn in Abschiebehaft zu nehmen.
Tophoven: Es sieht in der Tat so aus, dass die bestehenden Gesetze ausgereicht hätten, wären sie nur ordentlich angewendet worden. Neue Gesetze verhindern keinen Terroranschlag. Da ist auch viel Hektik und Populismus im Spiel. Nehmen Sie den Anschlag an Silvester auf den Club in Istanbul: Die türkische Polizei hat autoritäre Sicherheitsgesetze, bekämpft den Terror mit Militär. Der radikalisierte Einzeltäter ist auch dadurch nicht zu stoppen! Wie viel schwieriger ist es da, wenn wir unseren Rechtsstaat wahren wollen.
Tophoven: Ein Gefährder ist ein Mann, dem die Sicherheitsbehörden extreme Straftaten zutrauen, der aber noch nicht in Aktion getreten ist. In Deutschland haben wir über 500 Gefährder, die unterschiedlich eingestuft werden. Amri war in der Skala der Geährlichkeit sicher ganz oben – aber dann kam die Fehleinschätzung: Von ihm geht keine akute Gefahr mehr aus. Ein Fehler, der in der Katastrophe mündete.
Tophoven: Ein Allheilmittel ist auch das nicht, wie der Fall in Frankreich zeigt, wo ein Terrorist trotz Fußfessel einen Priester in einer Kirche tötete. Zentral ist zum einen, die Wurzeln des Terrors in Staaten wie Irak oder Syrien zu bekämpfen. Und zweitens ist eine gute Ermittlungsarbeit entscheidend.
Tophoven: Im Fall Amri zumindest hat der Datenaustausch funktioniert. Ich halte de Maizières Vorschlag in bestimmten Teilen für nicht durchsetzbar aufgrund der föderalen Strukturen in Deutschland.
Tophoven: Der IS hat die Strategie ausgegeben, die partiellen Rückschläge in Syrien und im Irak durch Angriffe in Europa zu kompensieren. Der IS hat wahrscheinlich eine ganze Reihe von Terrorzellen in der Türkei platziert. Und bei uns in Deutschland wurde gezielt versucht, über die Flüchtlingsrouten Einzeltäter einzuschleusen. Ich bin überzeugt, dass in Deutschland wie in ganz Europa bereits IS-Kader sind, die die Behörden noch gar nicht auf dem Schirm haben.
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