Politischer Coup
Politische Sensation: Taiwans Ex-Präsident reist nach China
Taiwans Ex-Präsident Ma Ying-jeou will kommende Woche nach Festlandchina aufbrechen. Die Reise ist ein politischer Coup: Noch nie reiste ein ehemaliger Präsident Taiwans in die Volksrepublik
Berlin/Taipeh – Am Montag hat sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger auf den Weg nach Taiwan gemacht. Es ist das erste Mal seit fast drei Jahrzehnten, dass die demokratisch regierte Insel Ministerbesuch aus Deutschland erhält: Zuletzt war 1997 der damalige Wirtschaftsminister Günter Rexrodt dort gewesen, wie Stark-Watzinger Mitglied der FDP. Während Taiwan also auf den historischen Gast aus Deutschland wartet, platzte dort am Montag Taiwans Ex-Präsident Ma Ying-jeou mit einem Coup in die politische Landschaft: Ma kündigte an, kommende Woche nach Festlandchina zu reisen.
Der 72-Jährige wäre damit der erste Ex-Präsident Taiwans überhaupt, der seit Ende des Bürgerkrieges 1949 die Volksrepublik betritt. Er ließ mitteilen, dass er dazu beitragen wolle, die zunehmenden Feindseligkeiten zwischen den beiden Seiten abzubauen. Ein verstärkter Austausch könnte dazu beitragen, die Feindseligkeit zwischen den Menschen zu reduzieren, sagte Ma einmal. Und nun will er ab dem 27. März für ganze zwölf Tage mit einer Delegation früherer Mitarbeiter und drei Dutzend Studierenden in fünf Städte reisen: Shanghai, Nanjing, Wuhan, Changsha und Chongqing – allesamt im Süden des Landes. Peking steht nicht auf der Liste der Zielorte.
Taiwans Ex-Präsident will in China seinen Ahnen huldigen
Ma Ying-jeou gehört der eher konservativen Kuomintang-Partei (KMT) an, die derzeit in der Opposition ist. Die KMT ist jene Partei, die einst den Kommunisten unter Mao Zedong im Bürgerkrieg unterlag. Ihre Funktionäre flohen nach Taiwan und führten dort ihre „Republik China“ fort, die ihren Anspruch auf ganz China jahrzehntelang aufrechterhielt und bis 1972 bei den Vereinten Nationen offizielle Vertreterin Chinas war. Erst in den 1980er Jahren leitete die KMT in Taiwan eine Demokratisierung ein. Viele Taiwaner haben ihre Wurzeln auf dem Festland, so auch Ex-Präsident Ma. Die DPP der derzeitigen Präsidentin Tsai Ing-wen hat ihren Ursprung dagegen in Taiwan selbst. Die Partei tritt traditionell für die Unabhängigkeit der Insel ein, auch wenn sie derzeit keine konkreten Schritte in diese Richtung unternimmt.
Offiziell will Ma Ying-jeou in Festlandchina seinen Ahnen Respekt zeigen: Anfang April ist das traditionelle Totengedenk-Fest Qingming, an dem viele Chinesen sich um die Gräber ihrer Vorfahren kümmern. Dann versammeln sich im ganzen Land Familien etwa auf Äckern oder in Wäldchen um Grabsteine, die mit Blumen und Kränzen dekoriert sind. Nur wenige Menschen, vor allem in Städten, sind auf Friedhöfen bestattet.
Auch wenn die Reise also vorgeblich privat ist, ist sie voller historischer Symbolik – in einer Zeit, in der sich die Spannungsspirale scheinbar unaufhaltsam verstärkt. Ma verbindet dieses Fest ganz offensichtlich mit einer politischen Message: Unter einer KMT-Regierung wären die Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße besser. Die Größe der Delegation nährt ebenfalls Spekulationen, dass es am Rande eben doch zu inoffiziellen Begegnungen mit Funktionären kommen kann. Gesprächskanäle unter dem Radar waren jahrzehntelang an der Tagesordnung. Das Präsidialamt in Teipeh teilte am Montag mit, dass Ma über seine Reise Bericht erstatten müsse.
China und Taiwan: Spannungen schwanken je nach Regierungsmehrheit in Taipeh
Peking beansprucht die demokratisch regierte Insel Taiwan als Teil der Volksrepublik und hat eine gewaltsame Wiedervereinigung nie ausgeschlossen. Tatsächlich waren die Beziehungen Taiwans zum Festland während der Amtszeit Mas zwischen 2008 und 2016 diesen Umständen entsprechend vergleichsweise entspannt. Die KMT gilt in Peking als China-freundlicher, 2015 traf Ma sogar mit Staats- und Parteichef Xi Jinping zum ersten Treffen zwischen Anführern der einstiegen Bürgerkriegsparteien zusammen – auf neutralem Boden, in Singapur.
Mas vermeintliche Nähe zu Peking, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, löste in Taiwan damals heftige Proteste und eine Gegenreaktion der Wählenden aus. Doch während Ma zwar die wirtschaftlichen Beziehungen zu China vertiefte, wehrte auch er sich gegen Pekings Drängen nach einer baldigen Wiedervereinigung.
2016 wählten die Taiwaner Tsai Ing-wen zur Präsidentin; seither herrscht wieder Eiszeit. Chinas Staatschef Xi Jinping erhöhte den wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Druck auf die Insel. Trotzdem bestätigten die Menschen Tsai 2020 im Amt. Auch im Westen erfährt Taiwan unter Tsai wachsende Unterstützung. Die Menschen auf der Insel identifizieren sich angesichts des Säbelrasselns der Kommunisten immer stärker mit Taiwan. Mehr als 90 Prozent lehnen in Umfragen eine baldige Wiedervereinigung ab. Die meisten wollen allerdings auch keine Schritte Richtung Unabhängigkeit. Zu groß erscheint das Risiko eines Angriffs Chinas.
China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt




Die KMT inszeniert sich im beginnenden Vorwahlkampf für die nächsten Präsidentenwahlen Anfang 2024 nun also offenbar als die Partei, die das Risiko einer Eskalation mindern kann. „Anstatt mehr Waffen zu kaufen, wäre es besser, den Austausch zwischen jungen Menschen auf beiden Seiten der Taiwanstraße zu verstärken“, sagte Hsiao Hsu-tsen, Geschäftsführer der Ma Ying-jeou-Stiftung, am Montag in Taipeh. „Je mehr sie in der Lage sind, ihre Freundschaft zu fördern, desto geringer wird das Risiko sein“, so Hsiao laut Hongkonger Zeitung South China Morning Post.
Taiwan: Lebendige Demokratie, Ablehnung der Diktatur in Peking
“Während die DPP sich auf eigene Stärken stützt und überwiegend keine offizielle Kommunikation mit der Kommunistischen Partei Chinas pflegt, hält es die KMT für notwendig, mit der Kommunistischen Partei Chinas im Gespräch zu bleiben“, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt, der als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Januar selbst mit einer Delegation seiner Partei in Taiwan gewesen war. So reiste etwa der stellvertretende KMT-Vorsitzende Andrew Hsia im Februar nach Peking, um sich dort mit Wang Huning zu treffen, dem ranghöchsten Taiwan-Politiker der KP. Im Gegensatz dazu hat Peking keinerlei offizielle Kommunikation mit der von Tsai geführten Regierung Taiwans.
Dass die KMT generell eine größere Nähe zur Kommunistischen Partei Chinas besitzen soll, hat Müller-Rosentritt vor Ort so aber nicht wahrgenommen. “Beide Parteien eint die Ablehnung des Kommunistischen Regimes in der Volksrepublik China sowie die Diktatur von Xi Jinping. Alle wollen in einer offenen Gesellschaft leben, die sie als Voraussetzung für den Wohlstand Taiwans ansehen”, so Müller-Rosentritt zum Münchner Merkur von Ippen.Media. Die KMT bringe allerdings das Argument vor, dass die DDP mit ihrem Verhalten eher eskalierend wirke. Das wiederum streite die DPP ab.
Taiwans Ex-Präsident willkommen in China
Ma Ying-jeous Besuch in der Volksrepublik hat jedenfalls den Segen Pekings: Ma Xiaoguang (nicht verwandt), Sprecher des Büros für Taiwan-Angelegenheiten in Peking, lobte die Reise als eine, die „den Austausch junger Menschen stärken und der Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Seiten der Straße und dem Frieden neuen Schwung verleihen“ soll. Tsais geplante Zwischenlandung in den USA bei einer Reise nach Lateinamerika sorgte dagegen für Chinas Protest. Und auch über die Reise Stark-Watzingers nach Taipeh hat sich die chinesische Botschaft in Berlin erwartungsgemäß verärgert gezeigt. Wie heftig die Reaktion in Peking letztlich ausfällt, dürfte sich am Ende ihrer Visite zeigen.