Ein neuer Gerichtshof soll die Spitze von Putins Regime zur Verantwortung ziehen. Die Außenminister der EU unterstützen diesen Plan.
Lwiw/Den Haag – Die Außenminister der EU-Staaten haben sich am Europatag 2025 (9. Mai) auf die Errichtung eines Sondertribunals für die russischen Aggressionen im Ukraine-Krieg geeinigt. Die europäischen Topdiplomaten verabschiedeten bei einem Sondertreffen im westukrainischen Lwiw eine entsprechende Erklärung, um das Tribunal auf den Weg zu bringen. Hauptzweck des Sondertribunals sei es demnach, Top-Vertreter der russischen Führung für den Angriff auf die Ukraine zur Rechenschaft zu ziehen. Die Entscheidung dürfte auch als Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gedacht sein, der am Freitag in Moskau mit einer Militärparade an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland im Jahr 1945 gedachte und dort erneut den Krieg gegen die Ukraine rechtfertigte.
EU plant Sondertribunal für Putins Kriegsverbrecher im Ukraine-Krieg Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag kann Russland wegen des Verbrechens der Aggression im Ukraine-Krieg nicht belangen – dafür müsste sowohl die Ukraine als auch Russland das Römische Statut ratifiziert und eine Zusatzvereinbarung unterzeichnet haben. Da Russland das nicht getan hat, bleibt die juristische Lücke bestehen.
„Nur ein Sondertribunal kann die Immunitätsproblematik überwinden“, erklärte Estlands UN-Botschafter Rein Tammsaar bereits 2023 laut der Kyiv Post . Die Anklage gegen Putin und andere Top-Vertreter kann so vorbereitet werden, auch wenn sie während ihrer Amtszeit durch völkerrechtliche Immunität geschützt sind – etwa durch das sogenannte „Immunitätsdreieck“, so die Deutsche Welle (DW) , für Präsidenten, Premierminister und Außenminister.
Putins Parade in Moskau: Russland feiert „Tag des Sieges“ mit gigantischer Militärparade Russland feiert den „Tag des Sieges“. Eingeführt wurde der arbeitsfreie Tag, an dem dem Sieg über Nazi-Deutschland gedacht wird, durch einen Erlass am 8. Mai 1945 - also noch zu Zeiten der Sowjetunion. Gefeiert wird aber auch noch nach deren Ende, vor allem in der russischen Hauptstadt Moskau. © Alexander Zemlianichenko/dpa Unter den Augen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin wird am „Tag des Sieges“ eine gigantische Militärparade durch Moskau rollen, reiten und marschieren. Die Vorbereitungen in der Hauptstadt laufen bereits einen Tag zuvor auf Hochtouren. Hier zu sehen sind T-34-Panzer aus der Sowjetzeit, die ebenfalls an Putins Parade teilnehmen sollen. © Alexander Zemlianichenko/dpa Putin, der hier ein Mitglied der Yunarmia (Jugendarmee) umarmt, nutzt den „Tag des Sieges“ traditionell als Tag der Selbstbeweihräucherung. Die Jugend seines Landes soll mit Bildern der Stärke auf Kreml-Kurs gebracht werden. Die Erinnerung an den einstigen Triumph über die Nazis soll die kriegsgebeutelte Bevölkerung befrieden. © Alexander Kazakov/dpa Geplant ist die Militärparade zum Großteil auf dem Gartenring, der hier von einem russischen Militärfahrzeug befahren wird, und die einen großen Ring um die Moskauer Innenstadt zieht. Allgegenwärtig wird auch bei der diesjährigen Militärparade zum „Tag des Sieges“ der Buchstaben Z sein. Er gilt in Russland seit dem Angriff durch Wladimir Putins Truppen auf die Ukraine als propagandistisches Symbol der Unterstützung für die Politik des Kreml. © ANGELOS TZORTZINIS/AFP 80 Jahre ist es her, dass die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg siegte Auch wenn Russland unter Machthaber Wladimir Putin den Kommunismus und die Sowjetzeiten hinter sich gelassen hat, erinnert sich das Land und seine Bevölkerung am 9. Mai traditionell und voller Stolz an das Jahr 1945. Überall in Moskau und dem Rest Russlands haben rote Fahnen mit Hammer und Sichel an diesem Tag Hochkonjunktur. Das Jahr 2025 markiert dabei ein besonders Jubiläum: 80 Jahre ist es her, dass die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg siegte und Nazi-Deutschland die bedingungslose Kapitulation unterzeichnete. © Alexander Zemlianichenko/dpa russische Studentinnen und Studenten, gekleidet in die Mode der 1950er und in sowjetischen Uniformen Feierlichkeiten finden am „Tag des Sieges“ in ganz Moskau statt. Hier üben russische Studentinnen und Studenten, gekleidet in die Mode der 1950er und in sowjetischen Uniformen den „Siegeswalzer“ ein. Passend dazu gestaltet ist Hintergrund, in dem ein riesiges Modell des sowjetischen „Siegesordens“ zu sehen ist - die höchste militärische Auszeichnung, die die UdSSR zu vergeben hatte. © Alexander Zemlianichenko(dpa der rote Platz inmitten Moskaus Zentrum der Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ ist der rote Platz inmitten Moskaus. Das Areal rund um die dortige Basilius-Kathedrale und den Kreml ist bereits seit mehreren Tagen abgesperrt. Das liegt aber nicht nur an den Vorbereitungen für die große Militärparade in Putins Machtzentrum. © IMAGO Xi Jinping und Wladimr Putin in Moskau Ein weiterer Grund für die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen ist der Besuch von Xi Jinping. Der Präsident der Volksrepublik China verbringt vier Tage als Gast von Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau. Selbstverständlich wird das chinesische Staatsoberhaupt auch an den als Ehrengast bei Russlands Militärparade anwesend sein. © Evgenia Novozhenina/dpa mir Putin an Russlands „Tag des Sieges“ die Ehre erweisen wird. Hier trifft der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko in Moskau ein Xi Jinping ist nicht das einzige Staatsoberhaupt, dass Wladimir Putin an Russlands „Tag des Sieges“ die Ehre erweisen wird. Hier trifft der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko in Moskau ein. Er gilt als einer der engsten Verbündeten Putins seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs. © IMAGO/Kristina Kormilitsyna zu Gast ist Nicolás Maduro, Präsident der Autokratie in Venezuela. Auch aus Südamerika bekommt Wladimir Putin zum „Tag des Sieges“ Besuch. Unter anderem zu Gast ist Nicolás Maduro, Präsident der Autokratie in Venezuela. © Alexander Zemlianichenko/dpa In Moskau traf Maduro im Vorfeld der Militärparade unter anderem Ibrahim Traore In Moskau traf Maduro im Vorfeld der Militärparade unter anderem Ibrahim Traore, Präsident der afrikanischen Republik Burkina Faso. Beide sind Ehrengäste Wladimir Putins bei den Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ in Moskau. © MARCELO GARCIA/AFP Aus Zimbabwe zu Gast in Moskau ist Präsident Emmerson Mnangagwa Aus Zimbabwe zu Gast in Moskau ist Präsident Emmerson Mnangagwa. Auch er wird an den Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ als Ehrengast teilnehmen. Seine Regierung war eine der wenigen, die im Jahr 2014, also lange vor offiziellem Beginn des Ukraine-Kriegs, mit Russland gegen eine UN-Resolution stimmte, die Putins Annektion der ukrainischen Halbinsel Krim verurteilte. © IMAGO/Maksim Blinov Einen Tag vor dem eigentlichen „Tag des Sieges“ versammelte Wladimir Putin seine Gäste im Kreml zu einem pompösen Staatsdinner. Einen Tag vor dem eigentlichen „Tag des Sieges“ versammelte Wladimir Putin seine Gäste im Kreml zu einem pompösen Staatsdinner. © MIKHAIL METZEL/AFP Militärparade durch Moskau Für Wladimir Putin und den Kreml ist der „Tag des Sieges“ eine willkommene Gelegenheit für bildgewaltige Propaganda. Entsprechend groß ist der Aufwand, der betrieben wird, um die Militärparade durch Moskau zu inszenieren. Bereits im Vorfeld wurden etliche Vorkehrungen getroffen, um Soldaten, Panzer und Kriegsgerät im vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen. © IMAGO Die „Manege“, eine der größten Ausstellungshallen für Kunst und Kultur am Roten Platz Die Gelegenheit ist günstig, denn das internationale Interesse an Putins Parade zum „Tag des Sieges“ ist riesig. Die „Manege“, eine der größten Ausstellungshallen für Kunst und Kultur am Roten Platz unmittelbar neben dem Kreml, wurde für den „Tag des Sieges“ in ein Zentrum für die internationale Presse umgebaut. © IMAGO Militärparade am „Tag des Sieges“ Das Herzstück der Militärparade am „Tag des Sieges“ werden auch am 9. Mai 2025 die Kolonnen von Kampfpanzern sein, die durch Moskau und vorbei an Präsident Wladimir Putin und seinen Ehrengästen rollen werden. Die erste Siegesparade auf dem Roten Platz in der russischen Hauptstadt fand übrigens am 24. Juni 1945 statt. © Alexander Zemlianichenko/dpa Hier rollt ein RS-24 Yars-Raketenwerfer durch Moskau. Neben russischen Kampfpanzern präsentiert Wladimir Putins Armee am „Tag des Sieges“ weiteres schweres Gerät. Hier rollt ein RS-24 Yars-Raketenwerfer durch Moskau. © Alexander Zemlianichenko/dpa im Ukraine-Krieg erbeuteten deutschen Leopard 2-Kampfpanzer Russlands Machthaber Wladimir Putin nutzte die Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ in Moskau in der Vergangenheit auch für Nadelstiche Richtung Westen. 2024 stellte das russische Militär einen nach eigenen Angaben im Ukraine-Krieg erbeuteten deutschen Leopard 2-Kampfpanzer aus. Zu besichtigen war die Kriegstrophäe im „Park des Sieges“. Im Hintergrund wehten rote Fahnen mit der Aufschrift: Pobeda! Zu Deutsch: Sieg. © Ulf Mauder/dpa Kampfjet-Formationen an den „Tag des Sieges“ Die Militärparade in Moskau findet nicht nur auf der Straße statt. In der Luft erinnern Kampfjet-Formationen an den „Tag des Sieges“, die den Himmel über Moskau in rot, blau und weiß färben: die Farben der russischen Nationalflagge. © Pavel Bednyakov/dpa Abfangjäger vom Typ MiG-31BM, ein Tankflugzeug Iljuschin Il-78 und ein schwerer strategischer Bomber vom Typ Tupolew Tu-160 Flankiert werden die Kampfjets über Moskau am „Tag des Sieges“ von weiteren Militärflugzeugen, die als Teil der großen Militärparade die Macht der russischen Armee symbolisieren sollen. Hier zu sehen bei den Proben für Putins Parade sind Abfangjäger vom Typ MiG-31BM, ein Tankflugzeug Iljuschin Il-78 und ein schwerer strategischer Bomber vom Typ Tupolew Tu-160. © Bai Xueqi/dpa nehmen tausende Soldatinnen und Soldaten aus Russland und verbündeten Nationen an der Militärparade in Moskau teil Neben Panzern und Kampfjets nehmen tausende Soldatinnen und Soldaten aus Russland und verbündeten Nationen an der Militärparade in Moskau teil. 2024 sollen es über 9000 Männer und Frauen gewesen sein, die aufgeteilt in über 30 zeremoniellen Regimentern durch die Straßen der russischen Hauptstadt marschierten. © IMAGO/Belkin Alexey Militärparade am Tag des Sieges durch Moskau Zu Fuß, zu Fahrzeug, aber auch zu Pferd führt Russlands größte Militärparade am Tag des Sieges durch Moskau. Vor einem weiteren Kampfpanzer proben hier Kavalleristen tags zuvor ihren Auftritt am 9. Mai 2025. © Alexander Zemlianichenko/dpa Russland: Probe der Parade zum Tag des Sieges Den Sieg über Adolf Hitler und das Dritte Reich feiern gemeinsam mit Russland zahlreiche Verbündete. Neben Staatsoberhäuptern nehmen auch Ehrengardisten dieser Länder an der Militärparade in Moskau am 9. Mai 2025 teil. Hier zu sehen sind ägyptische Soldaten bei einer Probe nahe des Roten Platzes in Moskau. © Alexander Zemlianichenko/dpa Soldaten aus Aserbaidschan durch die Straßen Moskaus. Vorbei an jubelnden Massen ziehen als Teil der Militärparade zum „Tag des Sieges“ auch Soldaten aus Aserbaidschan durch die Straßen Moskaus. © Alexander Zemlianichenko Xi Jinping hat ebenfalls chinesische Ehrengardisten mit nach Moskau gebracht Präsident Xi Jinping hat ebenfalls chinesische Ehrengardisten mit nach Moskau gebracht, die am Tag des Sieges in Parade-Uniform durch die russische Hauptstadt ziehen werden. © Alexander Zemlianichenko/dpa Hier grüßt ein mit Orden dekorierter russischer Soldat das Publikum. Doch nicht nur Ehrengardisten und Blaskapellen marschieren am „Tag des Sieges“ als Teil der Militärparade durch Moskau. An den Proben zu den Feierlichkeiten am diesjährigen 9. Mai beteiligten sich auch aktive Soldaten. Hier grüßt ein mit Orden dekorierter russischer Soldat das Publikum. Die Auszeichnungen soll er sich im von Wladimir Putin angezetteltem Ukraine-Krieg verdient haben. © Alexander Zemlianichenko Hoch im Kurs am „Tag des Sieges“ steht bei der russischen Jugend offenbar der Sowjet-Look Hoch im Kurs am „Tag des Sieges“ steht bei der russischen Jugend offenbar der Sowjet-Look. Im internationalen Pressezentrum in Moskau haben sich diese drei als Sowjet-Soldatin und Soldaten verkleidet. Geschmückt haben sie ihre Uniformen mit dem Sankt-Georg-Band. Die Schleife gilt seit 2005 als Zeichen der Erinnerung an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland. Seit etwa 2011 gilt das Sankt-Georg-Band darüber hinaus als Symbol der Unterstützung für die Expansionspolitik Wladimir Putins, vor allem in der Ukraine. © IMAGO/Vladimir Astapkovich Eine abgestürzte Drohne soll dieses Haus in einem Moskauer Vorort beschädigt haben. Getrübt wurde die Vorfreude in Moskau auf die Militärparade und den „Tag des Sieges“ durch den Schrecken des Ukraine-Kriegs. Der wurde wenige Tage vor der geplanten Militärparade in der russischen Hauptstadt einmal mehr sehr real: Laut Angaben der russischen Behörden wurden mehrere Kampfdrohnen aus der Ukraine über Moskau abgeschossen. Eine abgestürzte Drohne soll dieses Haus in einem Moskauer Vorort beschädigt haben. © Uncredited/dpa Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine: Wer soll vor Gericht kommen? Nach Angaben der ukrainischen Präsidialberaterin Iryna Mudra wird sich das Sondertribunal auf rund 20 hochrangige russische Entscheidungsträger konzentrieren – darunter politische wie militärische Führer, die die Invasion geplant, vorbereitet und umgesetzt habe. Ziel sei es, wird sie von Reuters zitiert, jene „zur Rechenschaft zu ziehen, die für die aggressive Kriegsführung gegen die Ukraine verantwortlich sind“.
Auch Personen aus Belarus und Nordkorea könnten im Fokus stehen. Beide Staaten haben auf unterschiedliche Weise zur Aggression im Ukraine-Krieg beigetragen – Belarus durch logistische Unterstützung beim Einmarsch 2022, Nordkorea durch Waffenlieferungen.
In Lwiw fällt eine historische Entscheidung: Die EU will ein Sondertribunal zur Verfolgung von Kriegsverbrechen von Putins Eliten gegen die Ukraine schaffen.
© Foto links: X (Screenshot)/@EEAS_SecGen | Foto rechts: IMAGO / SNA
Wie das von der EU geplante Sondertribunal funktionieren soll Laut Radio Free Europe/Radio Liberty basiert das geplante Sondertribunal auf einem Entwurf, der von einer 40 Staaten umfassenden Koalition, darunter fast alle EU-Staaten, im Frühjahr 2025 abgeschlossen wurde. Das Tribunal soll juristisch sowohl unter internationalem als auch ukrainischem Recht verankert sein und könnte in Den Haag angesiedelt werden.
Zuständig sein wird es ausschließlich für das Verbrechen der Aggression im Ukraine-Krieg – das heißt für die militärische Invasion und die politische Entscheidung, einen souveränen Staat anzugreifen. Diese Führungsdelikte unterscheiden sich von anderen Kriegsverbrechen wie etwa gezielten Angriffen auf Zivilisten, für die bereits Verfahren beim IStGH laufen.
Strafverfolgung im Ukraine-Krieg: Wann und wie soll das Tribunal starten? „Dieses Jahr werden wir die rechtlichen Formalitäten abschließen“, kündigte Iryna Mudra an. „Der Europarat wird mit der Ernennung von Richtern, einem Sekretariat, Anklägern sowie der Festlegung von Regeln und Verfahren beginnen.“ Die ersten Verfahren könnten laut dem ukrainischen Generalstaatsanwaltsbüro dann im Jahr 2026 starten.
Finanziell wird das Projekt unter anderem von den Niederlanden unterstützt, die bereits 3,5 Millionen Euro bereitgestellt haben. Großbritannien hat ein entsprechendes Memorandum mit der Ukraine unterzeichnet, berichtet die ukrainische Online-Zeitung Dzerkalo Tyzhnia .
Tribunal für Putins Eliten: Juristische und politische Hürden bleiben Während die technische Umsetzung des Tribunals für den Beginn des Ukraine-Kriegs konkret wird, ist die politische Zustimmung noch nicht abgeschlossen. Eine Zweidrittelmehrheit im Europarat sowie die Ratifizierung durch nationale Parlamente stehen noch aus. Unklar ist zudem, wie sich einzelne EU-Staaten wie Ungarn, Serbien oder die Türkei verhalten werden – ebenso wie die USA, die sich unter Präsident Donald Trump von dem Projekt bislang distanzieren. „Das könnte dieses Verfahren erheblich verzögern, wenn nicht gar begraben“, warnt Gleb Bogusch, Völkerrechtsexperte an der Universität Köln gegenüber der DW .
Ukraine-Krieg: Die Ursprünge des Konflikts mit Russland Alles begann mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Die Öffnung der Grenzen zunächst in Ungarn leitete das Ende der Sowjetunion ein. Der riesige Vielvölkerstaat zerfiel in seine Einzelteile. Am 25. August 1991 erreichte der Prozess die Ukraine. In Kiew feierten die Menschen das Ergebnis eines Referendums, in dem sich die Bevölkerung mit der klaren Mehrheit von 90 Prozent für die Unabhängigkeit von Moskau ausgesprochen hatte. Im Dezember desselben Jahres erklärte sich die Ukraine zum unabhängigen Staat. Seitdem schwelt der Konflikt mit Russland. © Anatoly Sapronenkov/afp Doch Anfang der 1990er Jahre sah es nicht danach aus, als ob sich die neuen Staaten Russland und Ukraine rund 30 Jahre später auf dem Schlachtfeld wiederfinden würden. Ganz im Gegenteil. Im Jahr 1994 unterzeichneten Russland, das Vereinigte Königreich und die USA in Ungarn das „Budapester Memorandum“ – eine Vereinbarung, in der sie den neu gegründeten Staaten Kasachstan, Belarus und der Ukraine Sicherheitsgarantien gaben. © Aleksander V. Chernykh/Imago Als Gegenleistung traten die drei Staaten dem Atomwaffensperrvertrag bei und beseitigten alle Nuklearwaffen von ihrem Territorium. Es sah danach aus, als ob der Ostblock tatsächlich einen Übergang zu einer friedlichen Koexistenz vieler Staaten schaffen würde. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs erinnern auch heute noch viele Menschen an das Budapester Memorandum von 1994. Ein Beispiel: Die Demonstration im Februar 2025 in München. © Imago Bereits 2004 wurde deutlich, dass der Wandel nicht ohne Konflikte vonstattengehen würde. In der Ukraine lösten Vorwürfe des Wahlbetrugs gegen den Russland-treuen Präsidenten Wiktor Janukowytsch Proteste © Mladen Antonov/afp Ukraine proteste Die Menschen der Ukraine erreichten vorübergehend ihr Ziel. Der Wahlsieg Janukowytschs wurde von einem Gericht für ungültig erklärt, bei der Wiederholung der Stichwahl setzte sich Wiktor Juschtschenko durch und wurde neuer Präsident der Ukraine. Die Revolution blieb friedlich und die Abspaltung von Russland schien endgültig gelungen. © Joe Klamar/AFP Wiktor Juschtschenko ,Präsident der Ukraine Als der Moskau kritisch gegenüberstehende Wiktor Juschtschenko im Januar 2005 Präsident der Ukraine wurde, hatte er bereits einen Giftanschlag mit einer Dioxinvariante überlebt, die nur in wenigen Ländern produziert wird – darunter Russland. Juschtschenko überlebte dank einer Behandlung in einem Wiener Krankenhaus. © Mladen Antonov/afp Tymoschenko Putin In den folgenden Jahren nach der Amtsübernahme hatte Juschtschenko vor allem mit Konflikten innerhalb des politischen Bündnisses zu kämpfen, das zuvor die demokratische Wahl in dem Land erzwungen hatte. Seine Partei „Unsere Ukraine“ zerstritt sich mit dem von Julija Tymoschenko geführten Parteienblock. Als Ministerpräsidentin der Ukraine hatte sie auch viel mit Wladimir Putin zu tun, so auch im April 2009 in Moskau. © Imago Das Bündnis zerbrach und Wiktor Janukowitsch nutzte bei der Präsidentschaftswahl 2010 seine Chance. Das Bündnis zerbrach und Wiktor Janukowytsch nutzte bei der Präsidentschaftswahl 2010 seine Chance. Er gewann die Wahl mit knappem Vorsprung vor Julija Tymoschenko. Amtsinhaber Wiktor Juschtschenko erhielt gerade mal fünf Prozent der abgegebenen Stimmen. © Yaroslav Debely/afp Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew, Ukraine, 2014 Präsident Wiktor Janukowytsch wollte die Ukraine wieder näher an Russland führen – auch aufgrund des wirtschaftlichen Drucks, den Russlands Präsident Wladimir Putin auf das Nachbarland ausüben ließ. Um die Ukraine wieder in den Einflussbereich Moskaus zu führen, setzte Janukowytsch im November 2013 das ein Jahr zuvor verhandelte Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union aus. © Sergey Dolzhenko/dpa Maidan-Proteste Ukraine Es folgten monatelange Massenproteste in vielen Teilen des Landes, deren Zentrum der Maidan-Platz in Kiew war. Organisiert wurden die Proteste von einem breiten Oppositionsbündnis, an dem neben Julija Tymoschenko auch die Partei des ehemaligen Boxweltmeisters und späteren Bürgermeisters von Kiew, Vitali Klitschko, beteiligt waren. © Sandro Maddalena/AFP Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine Die Forderung der Menschen war eindeutig: Rücktritt der Regierung Janukowiysch und vorgezogene Neuwahlen um das Präsidentenamt. „Heute ist die ganze Ukraine gegen die Regierung aufgestanden, und wir werden bis zum Ende stehen“, so Vitali Klitschko damals. Die Protestbewegung errichtete mitten auf dem Maidan-Platz in Kiew ihr Lager. Janukowytsch schickte die Polizei, unterstützt von der gefürchteten Berkut-Spezialeinheit. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die über mehrere Monate andauerten. © Sergey Dolzhenko/dpa Der Platz Euromaidan in Kiew, Hauptstadt der Ukraine, ist nach den Protesten verwüstet. Die monatelangen Straßenkämpfe rund um den Maidan-Platz in Kiew forderten mehr als 100 Todesopfer. Etwa 300 weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Berichte über den Einsatz von Scharfschützen machten die Runde, die sowohl auf die Protestierenden als auch auf die Polizei gefeuert haben sollen. Wer sie schickte, ist bis heute nicht geklärt. Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine von 2014 bis 2019, vertrat die These, Russland habe die Scharfschützen entsendet, um die Lage im Nachbarland weiter zu destabilisieren. Spricht man heute in der Ukraine über die Opfer des Maidan-Protests, nennt man sie ehrfürchtig „die Himmlischen Hundert“. © Sergey Dolzhenko/dpa Demonstranten posieren in der Villa von Viktor Janukowitsch, ehemaliger Präsident der Ukraine Nach rund drei Monaten erbittert geführter Kämpfe gelang dem Widerstand das kaum für möglich Gehaltene: Die Amtsenthebung Wiktor Janukowytschs. Der verhasste Präsident hatte zu diesem Zeitpunkt die UKraine bereits verlassen und war nach Russland geflohen. Die Menschen nutzten die Gelegenheit, um in der prunkvollen Residenz des Präsidenten für Erinnerungsfotos zu posieren. Am 26. Februar 2014 einigte sich der „Maidan-Rat“ auf eigene Kandidaten für ein Regierungskabinett. Präsidentschaftswahlen wurden für den 25. Mai anberaumt. Die Ukraine habe es geschafft, eine Diktatur zu stürzen, beschrieb zu diesem Zeitpunkt aus der Haft entlassene Julija Tymoschenko die historischen Ereignisse. © Sergey Dolzhenko/dpa Ein Mann stellt sich in Sewastopol, eine Stadt im Süden der Krim-Halbinsel, den Truppen Russlands entgegen. Doch der mutmaßliche Frieden hielt nicht lange. Vor allem im Osten der Ukraine blieb der Jubel über die Absetzung Janukowytschs aus. Gouverneure und Regionalabgeordnete im Donbass stellten die Autorität des Nationalparlaments in Kiew infrage. Wladimir Putin nannte den Umsturz „gut vorbereitet aus dem Ausland“. Am 1. März schickte Russlands Präsident dann seine Truppen in den Nachbarstaat. Wie Putin behauptete, um die russischstämmige Bevölkerung wie die auf der Krim stationierten eigenen Truppen zu schützen. In Sewastopol, ganz im Süden der Halbinsel gelegen, stellte sich ein unbewaffneter Mann den russischen Truppen entgegen. Aufhalten konnte er sie nicht. © Viktor Drachev/afp Bürgerkrieg in Donezk, eine Stadt im Donbas, dem Osten der Ukraine Am 18. März 2014 annektierte Russland die Halbinsel Krim. Kurz darauf brach im Donbass der Bürgerkrieg aus. Mit Russland verbündete und von Moskau ausgerüstete Separatisten kämpften gegen die Armee und Nationalgarde Kiews. Schauplatz der Schlachten waren vor allem die Großstädte im Osten der Ukraine wie Donezk (im Bild), Mariupol und Luhansk. © Chernyshev Aleksey/apf Prorussische Separatisten kämpfen im Donbas gegen Einheiten der Ukraine Der Bürgerkrieg erfasste nach und nach immer mehr Gebiete im Osten der Ukraine. Keine der Parteien konnte einen nachhaltigen Sieg erringen. Prorussische Separatisten errichteten Schützengräben, zum Beispiel nahe der Stadt Slawjansk. Bis November 2015 fielen den Kämpfen laut Zahlen der Vereinten Nationen 9100 Menschen zum Opfer, mehr als 20.000 wurden verletzt. Von 2016 an kamen internationalen Schätzungen zufolge jährlich bis zu 600 weitere Todesopfer dazu. © Michael Bunel/Imago Trümmer von Flug 17 Malaysian Airlines nach dem Abschuss nahe Donezk im Osten der Ukraine Aufmerksam auf den Bürgerkrieg im Osten der Ukraine wurde die internationale Staatengemeinschaft vor allem am 17. Juli 2014, als ein ziviles Passagierflugzeug über einem Dorf nahe Donezk abstürzte. Alle 298 Insassen kamen ums Leben. Die Maschine der Fluggesellschaft Malaysian Airlines war von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden. Abgefeuert hatte die Rakete laut internationalen Untersuchungen die 53. Flugabwehrbrigade der Russischen Föderation. In den Tagen zuvor waren bereits zwei Flugzeuge der ukrainischen Luftwaffe in der Region abgeschossen worden. © ITAR-TASS/Imago Russlands Präsident Putin (l.), Frankreichs Präsident Francois Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Petro Poroschenko in Minsk Die Ukraine wollte den Osten des eigenen Landes ebenso wenig aufgeben wie Russland seine Ansprüche darauf. Im September 2014 kamen deshalb auf internationalen Druck Russlands Präsident Putin (l.), Frankreichs Präsident François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Petro Poroschenko in Minsk zusammen. In der belarussischen Hauptstadt unterzeichneten sie das „Minsker Abkommen“, das einen sofortigen Waffenstillstand und eine schrittweise Demilitarisierung des Donbass vorsah. Die OSZE sollte die Umsetzung überwachen, zudem sollten humanitäre Korridore errichtet werden. Der Waffenstillstand hielt jedoch nicht lange und schon im Januar 2015 wurden aus zahlreichen Gebieten wieder Kämpfe gemeldet. © Mykola Lazarenko/afp Wolodymyr Selenskyj feiert seinen Sieg bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine 2019 Während die Ukraine im Osten zu zerfallen drohte, ereignete sich in Kiew ein historischer Machtwechsel. Wolodymyr Selenskyj gewann 2019 die Präsidentschaftswahl und löste Petro Poroschenko an der Spitze des Staates ab. © Genya Savilov/afp Wolodymyr Selenskyj Selenskyj hatte sich bis dahin als Schauspieler und Komiker einen Namen gemacht. In der Comedy-Serie „Diener des Volkes“ spielte Selenskyj von 2015 bis 2017 bereits einen Lehrer, der zunächst Youtube-Star und schließlich Präsident der Ukraine wird. Zwei Jahre später wurde die Geschichte real. Selenskyj wurde am 20. Mai 2019 ins Amt eingeführt. Kurz darauf löste der bis dato parteilose Präsident das Parlament auf und kündigte Neuwahlen an. Seine neu gegründete Partei, die er nach seiner Fernsehserie benannte, erzielte die absolute Mehrheit. © Sergii Kharchenko/Imago Russische Separatisten in der Ost-Ukraine Selenskyj wollte nach seinem Wahlsieg die zahlreichen innenpolitischen Probleme der Ukraine angehen: vor allem die Bekämpfung der Korruption und die Entmachtung der Oligarchen. Doch den neuen, russland-kritischen Präsidenten der Ukraine holten die außenpolitischen Konflikte mit dem Nachbarn ein. © Alexander Ryumin/Imago Ukraine Militär Im Herbst 2021 begann Russland, seine Truppen in den von Separatisten kontrollierte Regionen in der Ost-Ukraine zu verstärken. Auch an der Grenze im Norden zog Putin immer mehr Militär zusammen. Selenskyj warnte im November 2021 vor einem Staatsstreich, den Moskau in der Ukraine plane. Auch die Nato schätzte die Lage an der Grenze als höchst kritisch ein. In der Ukraine wurden die Militärübungen forciert. © Sergei Supinsky/AFP Putin Noch drei Tage bis zum Krieg: Am 21. Februar 2022 unterzeichnet der russische Präsident Wladimir Putin verschiedene Dekrete zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk. © Alexey Nikolsky/AFP Explosion in Kiew nach Beginn des Ukraine-Kriegs mit Russland Am 24. Februar 2022 wurde der Ukraine-Konflikt endgültig zum Krieg. Russische Truppen überfielen das Land entlang der gesamten Grenze. Putins Plan sah eine kurze „militärische Spezialoperation“, wie die Invasion in Russland genannt wurde, vor. Die ukrainischen Streitkräfte sollten mit einem Blitzkrieg in die Knie gezwungen werden. Moskau konzentrierte die Attacken auf Kiew. Innerhalb weniger Tage sollte die Hauptstadt eingenommen und die Regierung Selenskyjs gestürzt werden. Doch der Plan scheiterte und nach Wochen intensiver Kämpfe und hoher Verluste in den eigenen Reihen musste sich die russische Armee aus dem Norden des Landes zurückziehen. Putin konzentrierte die eigene Streitmacht nun auf den Osten der Ukraine. © Ukrainian President‘s Office/Imago Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei einer Fernsehansprache aus Kiew Seit Februar 2022 tobt nun der Ukraine-Krieg. Gesicht des Widerstands gegen Russland wurde Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich zu Beginn des Konflikts weigerte, das Angebot der USA anzunehmen und das Land zu verlassen. „Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“, sagte Selenskyj. Die sollte er bekommen. Zahlreiche westliche Staaten lieferten Ausrüstung, Waffen und Kriegsgerät in die Ukraine. Hunderttausende Soldaten aus beiden Ländern sollen bereits gefallen sein, ebenso mehr als 10.000 Zivilpersonen. Ein Ende des Kriegs ist nach wie vor nicht in Sicht. © Ukraine Presidency/afp Vergleich mit den Nürnberger Prozessen – Symbolische Wirkung im Ukraine-Krieg Viele Beobachter ziehen Parallelen zu den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch dort stand die oberste politische und militärische Führung eines Aggressor-Staates – dem NS-Regime von Adolf Hitler – vor Gericht. „Es war klar, dass nicht nur drei Personen für die Verbrechen verantwortlich waren“, betont Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk, ebenfalls laut der DW .
Auch heute geht es nicht nur um juristische Verurteilungen, sondern um ein deutliches Zeichen der Gerechtigkeit im Ukraine-Krieg. Die Ukraine hingegen erwartet, dass das Tribunal nicht nur Verbrechen nach Februar 2022, sondern auch die Annexion der Krim 2014 und die Kriegsführung im Donbass umfasst – um den gesamten Zeitraum der Aggression aufzuarbeiten.
Der geplante Sondergerichtshof ist juristisch, diplomatisch und symbolisch von enormer Bedeutung. Er soll das Unrecht benennen, Verantwortliche verfolgen und das Völkerrecht stärken – auch wenn die Umsetzung noch Jahre dauern kann. Wie Kaja Kallas gemäß der AFP erklärte, geht es darum, dass „ein Aggressionskrieg nicht ohne Weiteres geführt werden kann“. Eine Botschaft, die Europa 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erneut dringend senden will.
Rubriklistenbild: © Foto links: X (Screenshot)/@EEAS_SecGen | Foto rechts: IMAGO / SNA