Analyse
Kein Bock auf Schule: Warum Lehrer ihren Beruf aufgeben
Leichtfertig gibt wohl kein Lehrer seine Sicherheit und die Privilegien auf. Die Gründe, warum Lehrkräfte den Schuldienst quittieren, sagen daher viel darüber aus, was sich im Schulsystem ändern sollte.
Lehrer wird man aus Überzeugung. Die eine entscheidet sich für den Beruf, weil sie für ihre Fächer brennt; der andere, weil er es liebt, mit Kindern zu arbeiten; und wieder eine andere, weil sie glaubt, endlich ihre Berufung gefunden zu haben. Hinschmeißen scheint trotzdem immer häufiger eine Option – auch für überzeugte Lehrkräfte. In Nordrhein-Westfalen etwa hat sich die Zahl der Kündigungen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht, und in Sachsen-Anhalt haben in diesem Jahr mehr Lehrer die Schule verlassen, als neue gekommen sind.
Warum kehren diese Lehrkräfte der Schule den Rücken? Genau sie bräuchte man doch im Moment so dringend. Jetzt, wo so viel Unterricht ausfällt und immer mehr Personen unterrichten, die weder einen Studienabschluss noch eine pädagogische Ausbildung haben. Die Gründe sind individuell und komplex. Und doch lassen sich Muster erkennen, die deutlich zeigen, was den Lehrerberuf attraktiver machen könnte.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Bildung.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Bildung.Table am 29. November 2023.
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Einmal Lehrer, immer Lehrer?
Schaut man sich zunächst die Zahlen an, stellt man fest: Die meisten Lehrer bleiben Lehrer. Die Fluktuation im öffentlichen Dienst ist deutlich geringer als in anderen Berufen. Noch dazu ist es schwierig zu sagen, wie viele Lehrer keine Lust mehr auf Schule haben. Denn viele Bundesländer unterscheiden in ihrer Statistik nicht, ob ein Lehrer in den Ruhestand geht, in ein anderes Bundesland oder an eine Privatschule wechselt oder tatsächlich die Arbeit als Lehrkraft gegen eine andere Karriere tauscht.
In Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland kündigten beispielsweise im Jahr 2022 durchschnittlich weniger als 0,5 Prozent der angestellten und verbeamteten Lehrkräfte. In Hamburg und NRW bewegt sich die Kündigungsquote von Beamten zwar in einem ähnlichen Bereich, die Zahl der Tarifbeschäftigten, die die Schule verlassen, ist jedoch höher. So kündigten 2022 in Hamburg ein Prozent und in NRW zwei Prozent der angestellten Beschäftigten.
Über die Motive für den Ausstieg können die Schul- und Kultusministerien der Länder nur wenig Auskunft geben. In Bayern wird nicht einmal unterschieden, ob ein Lehrer gekündigt hat oder aus anderen Gründen nicht mehr aktiv im Schuldienst ist. In Sachsen weiß das Ministerium zumindest, dass mehr als die Hälfte der Lehrkräfte kündigen, um früher in Rente zu gehen. Aus dem Bildungsministerium in Schleswig-Holstein heißt es, die meisten der Lehrer, die auf eigenen Wunsch das Beamtenverhältnis aufgeben, planten einen Umzug in ein anderes Bundesland oder ins Ausland.
Hauptgründe für den Berufswechsel
Warum Lehrer ihre Arbeit in der Schule aufgeben, hat vor allem drei Gründe, sagt Silvio Herzog. Als ehemaliger Rektor der Pädagogischen Hochschule Schwyz und Professor für Erziehungswissenschaften forschte Herzog viel zu Lehrerbildung und Berufsbiografien. In seinen Interviews für Studien fand er folgende Hauptmotive: Erstens kündigen Lehrer aus privaten Gründen wie Familienarbeit. Zweitens sind viele auf der Suche nach beruflichen Perspektiven und Laufbahnwegen, die sie im Lehrerberuf nicht finden. Und drittens gibt es oft eine zu hohe Belastung und keine Balance zwischen Stress und Ressourcen.
Isabell Probst, die Lehrkräfte bei einem Berufswechsel coacht und begleitet, kennt noch zwei weitere Gründe. Wenn Lehrer mit ihrer Schulleitung stark unzufrieden sind, kann es auch passieren, dass sie die Schule wegen schlechter Führung verlassen. Manchmal führt aber auch ein Wertekonflikt zur Kündigung, etwa wenn die Kluft zwischen den Idealen der Lehrkraft und der Praxis im Schulalltag groß ist.
Frust über das Schulsystem
„Nicht alle, die Zweifel an ihrem Beruf oder dem Schulsystem haben, hören am Ende auf, als Lehrkraft zu arbeiten“, sagt Beraterin Probst. Am Anfang schrecken vor allem viele die finanziellen Einbußen und der Verlust von Sicherheit ab. „Diejenigen, die sich zu einem Ausstieg durchringen, entscheiden: ‚Lebensqualität ist mir wichtiger als Geld‘‘‘, berichtet Probst aus ihrer Coaching-Erfahrung.
Bei Lehrkräften, die ihren Job aufgegeben haben oder zumindest mit dem Gedanken spielen, liegen Frust und Leidenschaft dicht beieinander. Da ist beispielsweise Franziska Hennrich, die sich fünf Jahre lang als angestellte Lehrerin in Rheinland-Pfalz von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln musste, um am Ende festzustellen: Bei 32 Kindern in einem Klassenzimmer, das nach Turnschuhen müffelt, ist weder Raum für Kreativität noch für individuelle Förderung.
„Was für mich eine gute Lehrerin ausmacht – vor allem die Beziehungsarbeit mit den Kindern – konnte ich in dem System Schule nicht umsetzen“, sagt Hennrich. Sie kündigte und arbeitet nun in der Studienforschung in Hessen. Eine junge Lehrerin aus NRW hielt den Stress bereits wenige Monate nach dem Referendariat psychisch und körperlich nicht länger aus. „Der Lehrplan ist teilweise so realitätsfern, dass sowohl ich als auch die Schüler keinen Sinn darin sehen.“ Außerdem fehle für die Inklusion ausreichend Personal und Unterstützung. Da ihre Schule ihr keine Teilzeitarbeit genehmigte, reichte sie nach nur sechs Monaten die Kündigung ein. Den neuen Vertrag bei einem Verein zur Lernförderung hat sie bereits unterschrieben.
Viele Ex-Lehrer bleiben der Schule treu
„Viele ehemalige Lehrkräfte bleiben dem Bereich der Schule und Pädagogik treu“, beobachtet Bildungswissenschaftler Silvio Herzog. Es gehe daher häufig nicht an erster Stelle darum, den Lehrerberuf zu verlassen. Stattdessen streben viele nach einer Anreicherung der beruflichen Aufgaben und einem passenderen Arbeitsumfeld. Schulen, die ihre Lehrkräfte halten wollen, sollten ihren Mitarbeitern daher mehr Entwicklungsperspektiven bieten, sagt Herzog.
Dazu gehören von Beginn an begleitende Personalgespräche und eine individuelle Förderung der Lehrkräfte. „Lehrerinnen und Lehrer wechseln zwar nicht häufig, aber dafür meist relativ zu Beginn ihrer Karriere den Job“, sagt Bildungswissenschaftler Herzog. Es sei daher wichtig, sich ihre Perspektiven direkt anzuhören, wenn sie von der Uni an die Schule kommen.
Ein verzerrtes Bild vom Lehrerberuf
„Einzelne Lehrer, die das Schulsystem verlassen, führen nicht direkt zu einer Verschlimmerung des Lehrermangels“, sagt Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DL). Dennoch, räumt er ein, werde der Lehrerberuf in den kommenden Jahren auch nicht einfacher. Insbesondere die heterogene Schülerschaft und die Digitalisierung forderten noch mehr Einsatz seitens der Lehrer. „Das verändert zwar das Unterrichten, ist für die meisten Lehrer aber kein Kündigungsgrund“, sagt Düll. Bei all den Aufgaben, die über den Unterricht hinausgehen, brauche es Entlastung.
Wenn es um die Attraktivität des Berufs geht, spielt für Isabell Probst neben den Arbeitsbedingungen auch das Bild des Lehrerberufs eine entscheidende Rolle. Als ehemalige Lehrerin kennt sie sowohl das Vorurteil des ständig faulen Lehrers als auch das Horrorbild der chronisch überarbeiteten Lehrerin. „Beide Bilder entsprechen nicht der Realität“, sagt Probst. „Lehrkraft sollte endlich als Profi-Beruf wahrgenommen werden, für den es vielfältige Kompetenzen braucht.“