Interview erregt Aufsehen
Schoigus Antwort auf die Frage nach dem Kriegsende in der Ukraine sagt mehr, als ihm lieb sein dürfte
Sergei Schoigu macht im Ukraine-Krieg keine sonderlich glückliche Figur. In einem Interview offenbart der Verteidigungsminister Zweifel an seinen Truppen.
Moskau – Eines muss man Kreml-Chef Wladimir Putin ebenso lassen wie seinem Außenminister Sergei Lawrow oder dem einstigen Quasi-Interims-Präsidenten Dmitri Medwedew: Russlands Führungsfiguren verstehen es im Ukraine-Krieg, mit ihren aggressiven Reden in der Bevölkerung den Hass auf den Westen und das überfallene Nachbarland zu schüren und immer neu anzufachen. Und obendrein bei nicht wenigen Bürgern eine Kriegslust heraufzubeschwören und aufrechtzuerhalten. Wohl nur deshalb sitzen sie nach wie vor so fest im Sattel, scheinen im eigenen Land unantastbar.
Trotz all der Rückschläge, die den Angriffskrieg begleiten, der in Russland auch nach anderthalb Jahren noch immer offiziell als militärische Spezialoperation firmiert. Die Männer aus dem Machtzentrum sind geübt darin, Feindbilder aufzubauen und die Menge aufzustacheln. Das ist einerseits eine Gefahr für die Weltordnung, lässt die Mitglieder des Führungszirkels aber wohl ruhiger schlafen.
Video: Das sind die Akteure im Kreml-Machtkampf
Schoigu im Staats-TV: Kein Lautsprecher wie Putin oder Medwedew
Sergei Schoigu scheint sich deutlich schwerer damit zu tun, in den Propaganda-Modus zu schalten. Der Verteidigungsminister tritt in der Öffentlichkeit kaum als großer Redner in Erscheinung. Das könnte damit zusammenhängen, dass er seit Beginn des Überfalls wegen diverser militärischer Entscheidungen auch von Verbündeten schwer unter Beschuss geraten ist. Etwa vom mittlerweile verstorbenen Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin oder dem seit einigen Wochen inhaftierten einstigen Militärführer Igor Girkin.
Vielleicht aber auch damit, dass Schoigu bei weitem nicht dieses Feuer zu entfachen vermag, auf das Putin bei all den schlechten Nachrichten von der Front – auch während der aktuellen Gegenoffensive der Ukraine – angewiesen ist. In einem Interview mit dem russischen Staatsfernsehen offenbart der 68-Jährige, der sein Amt 2012 annahm, jedenfalls überdeutlich, dass er keiner dieser Lautsprecher wie sein Chef, Lawrow oder Medwedew ist.
Schoigu und das Kriegsende: Putins Verteidigungsminister zuckt bei wichtiger Frage mit den Schultern
Wie ein bei Twitter kursierendes Video zeigt, wird Schoigu vom Reporter von Rossija 1 gefragt, ob Russland diesen Krieg gewinnen wird. Für Putin wäre dies sicher ein gefundenes Fressen, um minutenlang darüber auszuholen, warum sein Land der Ukraine so sehr überlegen ist und seine Spezialoperation gar nicht anders als mit einem Sieg für Moskau enden kann. Doch Schoigu lässt eben diese Chance verstreichen, verstolpert die perfekte Vorlage des Journalisten regelrecht.
Statt schnell und entschlossen zu antworten, zuckt er zunächst nur mit den Schultern. Und scheint damit ausdrücken zu wollen: Woher soll ich das wissen? Eine Antwort, die tief blicken lässt. Immerhin rafft er sich nach deutlich zu langer Bedenkzeit noch zu der Feststellung auf: „Wir haben keine andere Wahl.“
Diese wenig überzeugende Reaktion genügte dem Kreml aber offenbar nicht. Wie die als unabhängig geltende Moscow Times berichtet, wurde das Video des Interviews bereits von der Website des TV-Senders entfernt. Doch das Internet vergisst eben nicht – was auch Putin und seinen Unterstützern klar sein sollte.
“Somewhere it is more difficult, somewhere it is easier, but I can say that the guys act confidently, the commanders act confidently and reliably, reliably defend what we need to defend today. We will win, we have no other options,” Shoigu said. pic.twitter.com/pWA7y2KYpi
— NOELREPORTS 🇪🇺 🇺🇦 (@NOELreports) September 13, 2023
Schoigu-Interview im Internet: Ehrliche Einschätzung statt russische Propaganda
So verbreitete unter anderem Anton Geraschenko, der Berater des ukrainischen Innenministers, den dreisekündigen Ausschnitt. Es sind aber auch noch längere Fassungen zu finden, die verdeutlichen, dass Schoigu schon bei seinen vorigen Antworten nicht gerade Begeisterung versprüht. Statt Propaganda pur liefert er eine deutlich ehrlichere Einschätzung über die Lage im Kriegsgebiet, als es Putin lieb sein kann.
„Wir haben die Frühlings- und Sommer-Kampagne hinter uns. Jetzt steht die Herbst-Kampagne bevor“, wird er in einer englischen Übersetzung zitiert: „Die Truppen sind dabei, die Verteidigung in die richtige Richtung zu lenken. Mancherorts ist es schwerer, mancherorts ist es einfacher, aber ich kann ihnen sagen, dass die Jungs zuversichtlich agieren, die Kommandeure zuversichtlich agieren und zuverlässig verteidigen, was wir heute verteidigen müssen.“
Und weiter: „Das sind die Richtungen, in die die ukrainischen Streitkräfte durchbrechen wollen, aber die Hauptaufgabe ist es, ihr Equipment auszuschalten.“ Daraufhin folgt die wohl von langer Hand geplante und mit großen Erwartungen vorgetragene Frage des Reporters. Und die Antwort, wegen der Putin nochmal ein ernstes Wörtchen mit seinem ohnehin angeschlagenen Verteidigungsminister wird reden müssen. (mg)
