Auch Siemens-Technik im Fokus?
Atom-Geld für Putin aus Deutschland - Rosatom macht es möglich
Der Westen überzieht Russland im Ukraine-Krieg mit Sanktionen. Ein Staatskonzern scheint davon unberührt zu sein. Auch für Deutschland ist er Thema.
Moskau/München - Bereits seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland verhängt vor allem der Westen Sanktionen gegen Unternehmen und Einzelpersonen des Landes. Seit dem Einmarsch in die Ukraine im Jahr 2022 zog die EU die Daumenschrauben nochmals kräftig an. Das ist zumindest der Eindruck beim Blick auf die öffentlich zugängliche Sanktionsliste gegen 1500 Personen und über 200 Unternehmen.
Ein russischer Global-Player ist dort allerdings nicht aufgeführt. Die Rede ist von Rosatom. Das staatliche Energieunternehmen, das auch unter dem Namen „Föderale Agentur für Atomenergie Russlands“ bekannt ist, unterliegt derzeit keinerlei direkten Sanktionen.
Rosatom unter dem Sanktionsradar: Lediglich eine Tochterfirma auf der EU-Liste
Lediglich zwei Mitarbeitende von Rosatom finden sich auf der Liste, einer von ihnen ist der ehemalige Leiter von Rosatom, Sergei Kirijenko. Bereits im Jahr 2020 war Kiriyenko wegen mutmaßlicher Verstrickungen in die Vergiftung von Alexej Nawalny auf die Liste gesetzt worden, wie aus einer Veröffentlichung im Journal der Europäischen Union hervorgeht. Seit dem 25. Februar steht die Tochterfirma Rosatomflot auf der Sanktionsliste, sie ist für die Wartung von Russlands Eisbrecher-Flotte zuständig. Dabei agiert der Staatskonzern weit über die Grenzen von Russland hinaus. Auch nach Deutschland führen Spuren.
Denn bald könnte die französische Framatome GmbH Brennstäbe in der Brennelementefabrik ANF im niedersächsischen Lingen herstellen. Dafür hat sie als Muttergesellschaft der ANF mit der russischen Rosatom-Tochter TVEL ein Gemeinschaftsunternehmen in Frankreich gegründet, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf das Umweltministerium schreibt. Für die Produktion ist eine enge Kooperation mit Rosatom geplant. Ein ähnliches Projekt war zuvor abgelehnt worden - Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte erhebliche Zweifel an einer Genehmigung geäußert.
Russische Produktion in Deutschland: Habeck für Sanktionen gegen zivile Atomenergie
Die Produktion würde Brennelemente für osteuropäische Atomkraftwerke eines russischen Typs umfassen. Die Bundesregierung habe sich bei den Sanktionen zuletzt „für eine Einbeziehung auch des zivilen Nuklearsektors ausgesprochen“, sagte Habeck der dpa: „Das sollte Bestandteil des nächsten Sanktionspakets sein.“ Doch in der EU gibt es offenbar starke Widerstände - denn Rosatom hat einige Staaten indirekt in der Hand.
„Wenn es Sanktionen gäbe, dürfen diese nicht bei den Brennstäben aufhören“, fordert nun Sebastian Rötters von der NGO Urgewald gegenüber Merkur.de. Urgewald arbeitet bereits seit längerem mit weiteren Organisationen, unter anderem mit der russischen Umweltorganisation Ecodefense, zu Rosatom. „Viel entscheidender wäre es, die Expansion der russischen Atomkraftwerke zu unterbinden“, urteilt Rötters. Denn die gibt es etwa beim Nato-Partner Türkei - aber auch in der EU.
Sanktionen gegen Rosatom: Konzern an der russischen Invasion der Ukraine beteiligt
Die Frage geht über reinen Geldfluss nach Russland hinaus. Rosatom hat nach Einschätzung der britischen Regierung „tiefe Verbindungen zum russischen militärisch-industriellen Komplex“. Auch deshalb erließ das Vereinigte Königreich am 24. Februar 2023 direkte Sanktionen gegen hohe Angestellte von Rosatom, wie es in einer Regierungserklärung hieß.
Rosatom habe als staatliches Unternehmen „Waffenhersteller mit Technologie und Materialien beliefert, die für die Versorgung der russischen Frontlinie benötigt werden, einschließlich der Rüstungsunternehmen, die unter Sanktionen stehen“, heißt es in der Erklärung weiter.
Ebenfalls am 24. Februar 2023 sanktionierten die USA drei Tochterunternehmen Rosatoms. „Russland nutzt seine Energieressourcen, um politischen und wirtschaftlichen Druck auf seine Kunden weltweit auszuüben“, hieß es in der Begründung von Außenminister Antony Blinken.
Putins Machthebel: Rosatom wird zum Politikum
Andere russische Konzerne, die Verbindungen zur Waffenindustrie haben, befinden sich durchaus auf der Sanktionsliste EU. Hier ist beispielsweise der Lastwagenhersteller Kamaz aufgeführt.
Die USA problematisierten zudem, dass Rosatom maßgeblich an der Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja beteiligt war und ist. Das größte Atomkraftwerk Europas befindet sich eigentlich auf dem Territorium der Ukraine und wurde von russischen Truppen besetzt. Immer wieder verweigerte Rosatom als AKW-Betreiber der Besatzer Inspektionen der internationalen Atomenergiebehörde IAEA.
Im Oktober 2022 wurde sogar kurzzeitig der ehemalige Leiter des Kraftwerks im Bereich des von Rosatom kontrollierten AKWs verschleppt, wie der ukrainische Betreiber Enerhoatom damals mitteilte. „Rosatom war von Anfang an der Invasion in der Ukraine beteiligt“, sagt Rötters mit Blick auf Saporischschja und Tschernobyl.
Sanktionen gegen Russland: Siemens-Technik im Fokus
Mittlerweile sanktionieren die USA selbst den Handel mit Toastern, Haartrocknern und Mikrowellen, da die Geräte Chips beinhalten können, die in Waffensystem von Russland Verwendung finden könnten, wie die New York Times schreibt. Dabei gestaltet sich der Kampf gegen Technologieexporte nach Russland immer schwieriger.
Wenn bereits simple Haushaltsgeräte für Waffensysteme umfunktioniert werden können, dürfte die Lieferung von Steuersystemen für ganze Atomkraftanlagen wohl ein weitaus größeres Problem darstellen. Doch „Instrumentation & Control“-Systeme von Siemens Energy seien unter anderem für die beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Kursk II in Russland vorgesehen, warnte im Februar der Umweltschützer und Träger des Alternativen Nobelpreises Wladimir Sliwjak.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine stoppte Siemens Energy zwar sämtliche Neugeschäfte in Russland. Service- und Wartungsarbeiten seien davon jedoch ausgeschlossen, berichtete die ARD-„Tagesschau“.
Ein Sprecher von Siemens Energy betonte nun auf Anfrage von Merkur.de von IPPEN.MEDIA, man sei das erste Unternehmen gewesen, das „direkt am 24. Februar 2022 den Angriff verurteilt hat“. Im Herbst 2022 habe man auch die Gesellschaften und Beteiligen in Russland inklusive der Werke verkauft. „Lediglich bezüglich der Landesgesellschaft steht noch die erforderliche Präsidialgenehmigung aus“, räumte er allerdings ein.
Sliwjak befürchtet indes, dass Siemens ohne „Kehrtwende“ des Unternehmens auch bei Rosatom-Reaktoren in Ägypten, Bangladesch, China, Indien, dem Iran und der Türkei der präferierte System-Hersteller bleibe.
Türkei und Russland Hand in Hand: Sanktionen machen Siemens Strich durch den Vertrag
Dabei nutzt Russland den Staatskonzern Rosatom, um seine geopolitische Macht auszubauen, wie die USA bereits zum ersten Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine in ihrem Sanktionspapier schrieben. Das erste Atomkraftwerk der Türkei, das am 27. April 2023 eingeweiht werden soll, wird mit Brennstoffreaktoren aus Russland betrieben werden.
- Die Stellung von Rosatom auf dem Weltmarkt
- Russland kontrolliert über 50 Prozent: Eine Studie fand heraus, dass über 50 Prozent der weltweiten Nuklearprojekte im Zeitraum 2000 bis 2015 auf Russland entfielen.
- Verträge mit über 35 Ländern: Damit hat Russland über den Staatskonzern Rosatom im Bereich „Bau und Betrieb von Reaktoren, Brennstofflieferung und Atomabfallentsorgung“ doppelt so viele Verträge im Ausland abgeschlossen, wie beispielsweise Unternehmen aus Frankreich.
- Anteil am globalen Reaktormarkt: Russland soll durch die Geschäfte von Rosatom rund 60 Prozent des globalen Reaktorenmarktes dominieren und dabei Verträge im Wert von 300 Milliarden Dollar abgeschlossen haben.
- Grund für die russische Dominanz: Experten machen den quasi unbegrenzten Zugang zum Staatshaushalt und die damit verbundenen Kreditmöglichkeiten für Rosatomkunden für die starke Dominanz verantwortlich.
- Ziel der günstigen AKW-Projekte: Der Kreml sieht in den Projekten ein geopolitisches Einflussinstrument. Ärmere Staaten werden an russische Technologie gebunden, andere Staaten indirekt zu politischer Loyalität verpflichtet. „Die ökonomischen Rahmendaten der AKW-Projekte lassen keinen Zweifel: Kommerzielle Gewinne sind nicht das hauptsächliche Ziel dieser Geschäfte“, lautet die Einschätzung der Heinrich-Böll-Stiftung.
- Quellen: capital.de, Boell.de, Energiepolitik Band 128
Welche starke politische Dimension solche Projekte Rosatoms in Nato-Staaten haben, zeigt alleine schon die Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Einweihungszeremonie im türkischen Akkuyu. Auch für dieses AKW waren höchstwahrscheinlich Ansteuerungen aus dem Hause Siemens vorgesehen, wie eine Recherche der NGO Urgewald zeigt. Mitte Februar stellte Rosatom der russischen Staatsagentur Tass zufolge klar, Siemens habe keine Signale gegeben, dass man die Belieferung einstellen wolle. Zuvor hatte die Zeitung Kommersant berichtet, es gebe noch keine Ausfuhrgenehmigungen.
„Exporte an Rosatom und seine Tochterfirmen sollten sanktioniert werden“, ist Rötters jedenfalls überzeugt. Allerdings sei es schon eine positive Entwicklung, wenn die Atomenergiedebatte überhaupt auf die Agenda komme. „Rosatom steht in puncto politischer Verflechtung mit dem Kreml anderen Konzernen wie Gazprom und anderen in nichts nach.“
Russland in Europa: Einige Rosatom-Projekte laufen ungehindert weiter
Der geopolitische Arm von Russland reicht mithilfe von Rosatom allerdings eben auch bis in die EU hinein. In Ungarn übernimmt Rosatom den Bau zweier zusätzlicher Reaktorblöcke. Die Finanzierung des Projekts wird ebenfalls zu 80 Prozent von Russland übernommen; es geht wohl um rund elf Milliarden Euro. Laut der ungarischen Nachrichtenseite Origo handelt es sich hierbei um die bis dato größte Investition des Landes.
- Rosatom außerhalb von Russland
- Billige Kredite: Teil der Rosatom-Strategie ist wohl die Vergabe vergleichsweise billiger Kredite für den Bau ihrer Atomkraftwerke in anderen Ländern. Damit ködert der russische Staatskonzern vor allem ärmere Länder.
- Länder in denen Rosatom baut: China, Indien, Türkei, Bangladesch, Ägypten und Ungarn.
- Bindung an Russland: Rosatom-Kraftwerke machen die Staaten auf lange Sicht von russischem Kernbrennstoff, sowie deren Wartungen abhängig. Ein Umbau ist zwar häufig möglich, aber technologisch herausfordernd und zeitintensiv.
- Länder, die derzeit noch auf russischen Brennstoff angewiesen sind: Ungarn, Slowakei, Tschechien, Finnland und die Ukraine. Letztere hat bereits die Hälfte ihrer Kraftwerke auf US-Kernbrennstoff umgestellt.
- Quelle: klimareporter.de
Da Viktor Orban möglicherweise die Ausschreibungsrichtlinien der EU umging, indem er den Auftrag direkt an Rosatom abgab, wurde im Jahr 2015 ein entsprechendes Verfahren auf EU-Ebene eingeleitet. Es wurde 2016 jedoch eingestellt, wie die französische Nachrichtenagentur AFP schreibt.
Die Ansteuerungen für das ungarische Projekt Paks II sollen auch von Siemens Energy bereitgestellt werden. Derzeit warten die Lieferungen jedoch noch auf Genehmigung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), auch das zeigen die Recherchen von Urgewald. Der Konzern soll zudem angegeben haben, sich an „alle Verträge halten zu wollen“. Beobachter kritisieren, dass Siemens Energy so die Abhängigkeit Ungarns von Russland zementiere.
Siemens Energy bestätigte Merkur.de die Pläne mehr oder minder deutlich: „Die Verträge über die Leittechnik für das AKW Paks in Ungarn wurden lange vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine abgeschlossen. Die BAFA hat allerdings noch keine Ausfuhrgenehmigung erteilt, daher ist die Lieferung nicht erfolgt“, hieß es.
Trotz Sanktionen kaufen die USA Uran aus Russland – zuletzt wurden die Einfuhren drastisch erhöht. (Lucas Maier)
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