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Van der Bellen im Zugzwang

FPÖ-Chaos in Österreich: Nur diese Optionen können Kanzler Kickl noch verhindern

Verhandlungen zwischen demokratischen Parteien in Österreich sind gescheitert. Droht der Alpenrepublik nun ein Kanzler Herbert Kickl von der FPÖ?

Wien – Österreich steckt in einer Regierungskrise. Am Wochenende, gut drei Monate nach der Nationalratswahl im September 2024, scheiterten Koalitionsgespräche zwischen der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen NEOS. Der amtierende Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer kündigte wegen des Scheiterns seinen Rückzug in den kommenden Tagen an. Sein Nachfolger an der ÖVP-Spitze, Christian Stocker, will jetzt mit der Rechtsaußen-Partei FPÖ verhandeln, die als stärkste Kraft aus der Nationalratswahl hervorgegangen war, obwohl auch er dies stets ausgeschlossen hatte.

FPÖ-Kanzler Kickl, Neuwahlen, Experten-Regierung: Diese Optionen bleiben in Österreich

FPÖ-Chef Herbert Kickl wird am Montagvormittag zu einem Gespräch beim Bundespräsidenten Alexander van der Bellen erwartet. Letzterer hat in dieser Situation einige Möglichkeiten. Diese Szenarien könnten nun auf die Alpenrepublik zukommen: eine FPÖ-ÖVP-Koalition unter Kanzler Kickl, Neuwahlen, eine Experten- oder Minderheitsregierung bis hin zum Rücktritt des Bundespräsidenten. Ein Überblick für die nächsten Wochen.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Regierungskrise in Österreich: Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP – Einigkeit in Wirtschaftsfragen

Eine von Kickl geführte FPÖ-ÖVP-Koalition, könnte, so schreibt die liberale Tageszeitung Standard, „sehr bald“ Realität werden. Österreichs Medienlandschaft geht davon aus, dass Kickl am Montag vom Bundespräsidenten symbolisch den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Dann würde Kickls FPÖ wohl in Gespräche mit der ÖVP gehen. Schnellen Konsens könnte es in Wirtschaftsfragen geben, da die Programme der Parteien hier beinahe deckungsgleich sind: Steuersenkungen für Unternehmen, teils Rückbau von Arbeitnehmerrechten und Senkung der Sozialabgaben.

FPÖ und ÖVP in Österreich: Einig in Migrationspolitik – Streitpotential in der EU- und Außenpolitik

Auch in der Migrations- und Asylpolitik setzen beide Parteien in Österreich auf Abschottung. Strittig werden könnten außenpolitische Fragen, da die FPÖ Russland sehr freundlich und der EU sehr ablehnend gegenübersteht und die Unterstützung der Ukraine ablehnt. Sollte eine solche Koalition zustande kommen, befürchten Beobachter aufgrund von Kickls Äußerungen in der Vergangenheit und der Erfahrung der vergangenen FPÖ-Regierungsbeteiligung Gefahren für Frauen und Minderheiten, den Rechtsstaat sowie die Medienfreiheit. Bundespräsident van der Bellen betonte diese „Grundfesten des Zusammenlebens“ in einem Statement am Sonntag. In den vergangenen Monaten ließ er immer wieder durchblicken, dass er Kickl nicht zum Kanzler ernennen will.

Neuwahlen in Österreich? Noch höherer Sieg der FPÖ wahrscheinlich

Verfassungsrechtlich bliebe van der Bellen die Option, Neuwahlen auf Antrag der jetzigen Bundesregierung aus ÖVP und Grünen anzusetzen. Das dürfte allerdings kaum im Interesse der ÖVP sein, die dem aktuellen Umfragetrend der Nachrichtenagentur APA zufolge mit deutlichen Verlusten zu rechnen hätte. Die FPÖ hingegen könnte ihr Ergebnis gegenüber der Wahl noch auf etwa 35 Prozent der Stimmen verbessern. Im Herbst erreichte sie noch knapp 29 Prozent. Die ÖVP kam auf 26 Prozent auf den zweiten Platz.

FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte schon bald Österreichs Bundeskanzler sein.

Experten-Regierung in Österreich gegen FPÖ nach Scheitern der Verhandlungen möglich?

Theoretisch könnte van der Bellen mit den demokratischen Parteien im Nationalrat abseits der FPÖ noch eine Kompromissregierung finden. Diese könnte entweder eine Minderheitsregierung von ÖVP oder SPÖ oder eine Experten-Regierung sein. Verfassungsrechtlich braucht eine österreichische Bundesregierung nach der Ernennung durch den Bundespräsidenten grundsätzlich keine eigene Mehrheit im Parlament, solange es keine gegen sie gibt.

Trotzdem sind Minderheitsregierungen unüblich. Eine Experten- oder Beamtenregierung, wie es sie nach dem Bruch der letzten ÖVP-FPÖ-Koalition 2019 für ein halbes Jahr gab, schien daher wahrscheinlicher. Anders als 2019 müsste diese Regierung wohl allerdings politische Entscheidungen treffen, da eine milliardenschwere Haushaltslücke geschlossen werden soll. Und spätestens im Streit darüber könnte sich auch eine Mehrheit gegen ein solches Kabinett finden.

Letzter Ausweg Rücktritt? Österreichs Bundespräsident will keinen FPÖ-Kanzler ernennen

Sollten sich FPÖ und die ÖVP einig werden, könnte es sein, dass van der Bellen in die Situation gerät, Kickl als Kanzler ernennen zu müssen. Schlussendlich könnte er dies nur verhindern, in dem er zurücktritt, was in Neuwahlen des Amtes münden würde. Im vergangenen Jahr sprach Kickl unter anderem von „Fahndungslisten“ auf der er politische Gegner gesammelt habe und forderte stets, dass Österreich den Weg Viktor Orbáns in Ungarn beschreiten solle. Dort vollzog Langzeit-Premier Orbán bereits 2011 per Verfassungsreform den autoritären Staatsumbau. Die FPÖ als Partei wurde in den 1950er-Jahren von Altnazis gegründet und ist eng mit völkischen Burschenschaften verbunden. (kb)

Rubriklistenbild: © Helmut Fohringer/APA/dpa

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