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Foreign Policy

Friedenstruppen in der Ukraine: Europas letzte Chance auf einen dauerhaften Frieden mit Russland

Truppenübungsplatz Jägerbrück
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Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hält den Einsatz europäischer Friedenssoldaten in der Ukraine für möglich. (Symbolbild)

Frankreich wirbt um Unterstützung für eine Friedenstruppe. Dies könnte Europas einzige Möglichkeit sein, einen noch blutigeren Krieg zu verhindern.

  • Ohne eine bedeutende militärische Präsenz des Westens in der Ukraine wird Russland wahrscheinlich jede Sicherheitsgarantie für die Reste der Ukraine ignorieren.
  • Russland wird wahrscheinlich keine starke westliche Truppe mit einem robusten Mandat an der Waffenstillstandslinie akzeptieren.
  • Das nächste Jahr könnte für die Ukraine und Europa entscheidend sein, um einen neuen Status quo zu erreichen.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 20. Dezember 2024 das Magazin Foreign Policy.

Im Krieg geht es immer darum, ein Risiko einem anderen vorzuziehen. Fast drei Jahre lang hat Europa weitgehend so getan, als müsste es diese Entscheidung nicht treffen: Es könnte den Kampf der Ukraine gegen Russland unterstützen und die europäische Sicherheitsordnung intakt halten – und gleichzeitig vermeiden, die eigene Bevölkerung und die eigenen Streitkräfte einem Risiko auszusetzen. Angesichts der sich verschlechternden militärischen Lage in der Ukraine, der Aussicht auf weniger Militärhilfe aus Washington und der wachsenden Wahrscheinlichkeit eines erzwungenen Waffenstillstands zugunsten Russlands ist es jedoch fraglich, ob Europa weiterhin vor schmerzhaften Entscheidungen zurückschrecken kann.

Die dringende Frage ist, was auf einen Waffenstillstand folgt. Hier stehen Europa zwei Optionen offen: sich dazu verpflichten, einen Waffenstillstand notfalls mit Gewalt zu verteidigen, oder das Risiko eines noch brutaleren Konflikts in den kommenden Jahren eingehen, der möglicherweise nicht auf die Ukraine beschränkt bleibt.

Ohne westliche Militärpräsenz: Russland könnte Sicherheitsgarantien für die Ukraine missachten

Eine ehrliche Abrechnung ist unerlässlich. Ohne eine bedeutende militärische Präsenz des Westens in der Ukraine wird Russland wahrscheinlich jede Sicherheitsgarantie für die Reste der Ukraine ignorieren. Der designierte US-Präsident Donald Trump und sein Team haben sich bereits gegen die Entsendung von US-Truppen ausgesprochen und erklärt, dies sei Aufgabe Europas. Aus diesem Grund wirbt der französische Präsident Emmanuel Macron für eine europäische Friedenstruppe. Er besuchte vor Kurzem Polen, um seinen Standpunkt darzulegen, wurde jedoch abgewiesen. Auch die deutsche Übergangsregierung scheint eine Beteiligung abzulehnen. Der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto hingegen erklärte, Italien werde sich beteiligen. Europa kann sich dieser Debatte nicht entziehen, es sei denn, es ist bereit, die Ukraine zu verlieren und sich in Zukunft einer größeren militärischen Konfrontation zu stellen.

Solange die Ukraine die Frontlinie nicht stabilisiert hat, sind Diskussionen über den Einsatz europäischer Truppen rein theoretischer Natur. Erst wenn Russland einräumt, dass es 2025 keine bedeutenden Siege mehr erringen kann, wird es Verhandlungen über ein Einfrieren des Konflikts in Betracht ziehen. Wir könnten an diesen Punkt gelangen, wenn die kommende Trump-Regierung den Signalen folgt, dass sie eine „Eskalations-zur-Deeskalations“-Strategie in Betracht ziehen könnte – mit anderen Worten, den Druck auf Russland durch verstärkte Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen, um die Verhandlungsmacht Kiews zu stärken und Moskau zu vernünftigen Bedingungen zu zwingen. Es wird jedoch der Moment kommen, an dem Trump erklärt, dass die Ukraine nun Europas Problem ist und Europa einen Aktionsplan bereithalten muss.

Russland dürfte eine starke westliche Truppe mit robustem Mandat an der Waffenstillstandslinie ablehnen

Die Vorstellung, dass Europa Russland durch die Anwesenheit einer leichten Friedenstruppe davon abhalten könnte, einen Waffenstillstand zu brechen und seine Angriffe zu erneuern, ist reine Fantasie; dies wäre einfach kein Gegner für die kampferprobten mechanisierten Formationen Russlands und hätte daher nur einen geringen Abschreckungswert. Die andere Option ist eine robustere Truppe, die in der Lage ist, im Falle einer russischen Aggression zu kämpfen und sich zu behaupten – wie die US-Truppen entlang der entmilitarisierten Zone auf der koreanischen Halbinsel oder die NATO-Mission im Kosovo.

Die Zwickmühle ist klar: Russland wird wahrscheinlich keine starke westliche Truppe mit einem robusten Mandat an der Waffenstillstandslinie akzeptieren, während eine traditionelle Friedenstruppe der Vereinten Nationen keine ausreichende Abschreckung bieten würde. Eine mögliche Lösung könnte eine Kombination aus beidem sein: Traditionelle Friedenstruppen, idealerweise aus Ländern des globalen Südens, könnten direkt in einer entmilitarisierten Zone entlang der Waffenstillstandslinie patrouillieren, und eine robuste europäische Schnelleingreiftruppe könnte weiter hinten in der unbesetzten Ukraine stationiert werden. Es gäbe keine US-Truppen in der Ukraine, und die NATO wäre nicht beteiligt, was die Akzeptanz in Russland erhöhen könnte. Unabhängig davon wird die Trump-Regierung wahrscheinlich eine direkte Beteiligung ablehnen, um das zu vermeiden, was sie als europäische Trittbrettfahrerei ansieht, und um eine Verstrickung in den Konflikt zu verhindern.

Europas Herausforderung: Braucht es eine 90.000-Mann-Truppe für die Ukraine?

Es sollte klar sein, dass Europa eine robuste Truppe mit einem robusten Mandat bereitstellen müsste. Das von Macron angeblich vorgeschlagene Konzept sieht eine Koalition europäischer Staaten vor, die dauerhaft Landstreitkräfte in der Ukraine stationieren. Nach Berechnungen des Autors wären dafür mindestens fünf Brigaden erforderlich, was etwa 25.000 bis 30.000 Soldaten entspricht. Aufgrund der üblichen Rotation zwischen Ausbildung, aktivem Einsatz und Erholung könnte die Größe dieser Truppe bis zu 75.000 bis 90.000 Soldaten umfassen. Mit Unterstützungspersonal würde diese Zahl noch höher ausfallen.

Könnte Europa eine solche Militäroperation durchführen? Aus militärischer Sicht lautet die Antwort „vielleicht“, allerdings mit wichtigen Einschränkungen. Erstens werden die europäischen Streitkräfte angesichts der weit verbreiteten mangelnden Einsatzbereitschaft mindestens mehrere Monate für die Vorbereitungen benötigen, einschließlich der Zusammenstellung der Truppe, der Ausbildung in der kombinierten Waffenkriegsführung und der Unterweisung durch ukrainische Offiziere, die über Kenntnisse aus erster Hand über Militäroperationen im Land verfügen.

Zweitens braucht Europa eine klare Rückzugsstrategie. Die Truppe wäre nicht permanent, sondern ihr Einsatz würde es der Ukraine ermöglichen, ihre Streitkräfte wieder aufzubauen und zu stärken, um einen weiteren russischen Angriff abzuschrecken.

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Truppenentsendung in die Ukraine: Europas Kompromisse werden notwendig sein

Drittens werden angesichts der schlechten militärischen Kapazitäten und der mangelnden Einsatzbereitschaft Europas Kompromisse notwendig sein. Nationen, die nicht bereit oder nicht in der Lage sind, Truppen in die Ukraine zu entsenden, könnten dazu überredet werden, größere Verantwortung bei europäischen Militäreinsätzen auf dem Westbalkan oder in Afrika zu übernehmen, wodurch Truppen anderer Länder frei würden. Dies könnte auch bedeuten, dass europäische Truppen aus den derzeitigen UN-Friedensmissionen im Nahen Osten und anderswo abgezogen werden und einige NATO-Truppen aus den baltischen Staaten vorübergehend neu zugewiesen werden.

Viertens wird die Unterstützung der USA von entscheidender Bedeutung sein, selbst wenn Washington die Bereitstellung von Truppen ablehnt. Dies umfasst Hilfe bei der Einsatzplanung, Logistik, Aufklärung und der Bereitstellung zusätzlicher Feuerkraft. Selbst wenn die USA keine Truppen entsenden, könnten sie die Europäer mit zusätzlicher Abschreckung unterstützen, indem sie möglicherweise ihre mit dem neuen Strategic Mid-Range Fires-System und Hyperschallraketen ausgestattete Multidomain-Taskforce von Deutschland nach Polen verlegen oder mit einer solchen Verlegung drohen. Eine Positionierung der Taskforce näher an potenziellen Zielen in der Ukraine und in der russischen Exklave Kaliningrad würde eine zusätzliche Abschreckung bieten und ein starkes Signal an Russland senden.

Europäische Streitkräfte: Vorbereitung auf groß angelegte Kämpfe gegen Russland

Schließlich muss Europa ein klares Verständnis dafür haben, was eine solche Mission mit sich bringt und welche spezifischen Einsatzregeln gelten. Diese Operation wäre nicht mit europäischen Einsätzen in Afghanistan oder im Irak vergleichbar. Die europäischen Streitkräfte müssten auf hochintensive, groß angelegte Kampfeinsätze gegen Russland vorbereitet sein, nicht auf kleinere Einsätze gegen leicht bewaffnete Aufständische. Dazu gehört auch ein klarer Plan für den Umgang mit unvermeidlichen russischen Provokationen, wie Sabotage hinter der Waffenstillstandslinie oder „versehentliche“ Raketenangriffe, bei denen europäische Soldaten getötet oder verletzt werden.

Wie würde eine solche Truppe aussehen? Die europäischen Brigaden müssten mechanisiert sein und Kampfpanzer, gepanzerte Mannschaftstransportwagen, Schützenpanzer und selbstfahrende Artilleriegeschütze umfassen. Darüber hinaus würden sie kritische Unterstützungsfähigkeiten wie Luft- und Raketenabwehrsysteme, elektronische Kriegsführungsinstrumente und Pionierausrüstung benötigen, um solide Verteidigungspositionen für den Fall einer Wiederaufnahme der Feindseligkeiten zu errichten. Der Einsatz europäischer Kampfflugzeuge und anderer Flugzeuge im ukrainischen Luftraum wäre ebenfalls erforderlich.

Werden europäische Streitkräfte in ukrainische Kampfeinheiten integriert oder bleiben sie getrennt?

Eine weitere Frage, die rechtzeitig vor einem Einsatz beantwortet werden muss, ist, ob die europäischen Streitkräfte getrennt bleiben oder in die ukrainischen Kampfeinheiten integriert werden. Man könnte sich eine symbiotische Trainingsbeziehung vorstellen: Die Ukraine würde noch schneller in die Militärdoktrin der NATO integriert, während die europäischen Streitkräfte vom ukrainischen Militär lernen würden, das über die größte Erfahrung im Kampf gegen die russische Kriegsmaschinerie verfügt.

Nehmen wir einmal an, dass all dies möglich ist. Die größte Frage bleibt jedoch: Würden die Europäer tatsächlich gegen russische Streitkräfte kämpfen, um die Waffenstillstandslinie durchzusetzen? Vor allem ist Krieg ein Willenskampf. Was wäre, wenn es europäischen Politikern am Willen zum Kampf mangelt? Wenn russische Streitkräfte angreifen, werden die europäischen Staats- und Regierungschefs dann wochenlang höflich den russischen Präsidenten Wladimir Putin bitten, damit aufzuhören, während sie entscheiden, was zu tun ist, und gleichzeitig um Unterstützung durch die USA bitten? Was wäre, wenn ein Land bereit ist zu kämpfen, ein anderes jedoch nicht – und seine Truppen einseitig abzieht? Könnte Putin die Präsenz europäischer Truppen einfach ignorieren und seinen Truppen befehlen, ihre Stützpunkte zu umgehen? Was passiert, wenn er Raketen über die Köpfe der Europäer hinweg auf die Ukraine abfeuert, nur um ihre Reaktion zu testen? Diese und viele weitere Fragen müssen vor einem tatsächlichen Einsatz durchgespielt und beantwortet werden.

Ukraine-Krieg: Die Ursprünge des Konflikts mit Russland

Menschen in Kiews feiern die Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion
Alles begann mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Die Öffnung der Grenzen zunächst in Ungarn leitete das Ende der Sowjetunion ein. Der riesige Vielvölkerstaat zerfiel in seine Einzelteile. Am 25. August 1991 erreichte der Prozess die Ukraine. In Kiew feierten die Menschen das Ergebnis eines Referendums, in dem sich die Bevölkerung mit der klaren Mehrheit von 90 Prozent für die Unabhängigkeit von Moskau ausgesprochen hatte. Im Dezember desselben Jahres erklärte sich die Ukraine zum unabhängigen Staat. Seitdem schwelt der Konflikt mit Russland. © Anatoly Sapronenkov/afp
Budapester Memorandum
Doch Anfang der 1990er Jahre sah es nicht danach aus, als ob sich die neuen Staaten Russland und Ukraine rund 30 Jahre später auf dem Schlachtfeld wiederfinden würden. Ganz im Gegenteil. Im Jahr 1994 unterzeichneten Russland, das Vereinigte Königreich und die USA in Ungarn das „Budapester Memorandum“ – eine Vereinbarung, in der sie den neu gegründeten Staaten Kasachstan, Belarus und der Ukraine Sicherheitsgarantien gaben.  © Aleksander V. Chernykh/Imago
Ukrainedemo, München
Als Gegenleistung traten die drei Staaten dem Atomwaffensperrvertrag bei und beseitigten alle Nuklearwaffen von ihrem Territorium. Es sah danach aus, als ob der Ostblock tatsächlich einen Übergang zu einer friedlichen Koexistenz vieler Staaten schaffen würde. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs erinnern auch heute noch viele Menschen an das Budapester Memorandum von 1994. Ein Beispiel: Die Demonstration im Februar 2025 in München.  © Imago
Orangene Revolution in der Ukraine
Bereits 2004 wurde deutlich, dass der Wandel nicht ohne Konflikte vonstattengehen würde. In der Ukraine lösten Vorwürfe des Wahlbetrugs gegen den Russland-treuen Präsidenten Wiktor Janukowytsch Proteste  © Mladen Antonov/afp
Ukraine proteste
Die Menschen der Ukraine erreichten vorübergehend ihr Ziel. Der Wahlsieg Janukowytschs wurde von einem Gericht für ungültig erklärt, bei der Wiederholung der Stichwahl setzte sich Wiktor Juschtschenko durch und wurde neuer Präsident der Ukraine. Die Revolution blieb friedlich und die Abspaltung von Russland schien endgültig gelungen. © Joe Klamar/AFP
Wiktor Juschtschenko ,Präsident der Ukraine
Als der Moskau kritisch gegenüberstehende Wiktor Juschtschenko im Januar 2005 Präsident der Ukraine wurde, hatte er bereits einen Giftanschlag mit einer Dioxinvariante überlebt, die nur in wenigen Ländern produziert wird – darunter Russland. Juschtschenko überlebte dank einer Behandlung in einem Wiener Krankenhaus.  © Mladen Antonov/afp
Tymoschenko Putin
In den folgenden Jahren nach der Amtsübernahme hatte Juschtschenko vor allem mit Konflikten innerhalb des politischen Bündnisses zu kämpfen, das zuvor die demokratische Wahl in dem Land erzwungen hatte. Seine Partei „Unsere Ukraine“ zerstritt sich mit dem von Julija Tymoschenko geführten Parteienblock. Als Ministerpräsidentin der Ukraine hatte sie auch viel mit Wladimir Putin zu tun, so auch im April 2009 in Moskau. © Imago
Das Bündnis zerbrach und Wiktor Janukowitsch nutzte bei der Präsidentschaftswahl 2010 seine Chance.
Das Bündnis zerbrach und Wiktor Janukowytsch nutzte bei der Präsidentschaftswahl 2010 seine Chance. Er gewann die Wahl mit knappem Vorsprung vor Julija Tymoschenko. Amtsinhaber Wiktor Juschtschenko erhielt gerade mal fünf Prozent der abgegebenen Stimmen.  © Yaroslav Debely/afp
Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew, Ukraine, 2014
Präsident Wiktor Janukowytsch wollte die Ukraine wieder näher an Russland führen – auch aufgrund des wirtschaftlichen Drucks, den Russlands Präsident Wladimir Putin auf das Nachbarland ausüben ließ. Um die Ukraine wieder in den Einflussbereich Moskaus zu führen, setzte Janukowytsch im November 2013 das ein Jahr zuvor verhandelte Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union aus.  © Sergey Dolzhenko/dpa
Maidan-Proteste Ukraine
Es folgten monatelange Massenproteste in vielen Teilen des Landes, deren Zentrum der Maidan-Platz in Kiew war. Organisiert wurden die Proteste von einem breiten Oppositionsbündnis, an dem neben Julija Tymoschenko auch die Partei des ehemaligen Boxweltmeisters und späteren Bürgermeisters von Kiew, Vitali Klitschko, beteiligt waren. © Sandro Maddalena/AFP
Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine
Die Forderung der Menschen war eindeutig: Rücktritt der Regierung Janukowiysch und vorgezogene Neuwahlen um das Präsidentenamt. „Heute ist die ganze Ukraine gegen die Regierung aufgestanden, und wir werden bis zum Ende stehen“, so Vitali Klitschko damals. Die Protestbewegung errichtete mitten auf dem Maidan-Platz in Kiew ihr Lager. Janukowytsch schickte die Polizei, unterstützt von der gefürchteten Berkut-Spezialeinheit. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die über mehrere Monate andauerten. © Sergey Dolzhenko/dpa
Der Platz Euromaidan in Kiew, Hauptstadt der Ukraine, ist nach den Protesten verwüstet.
Die monatelangen Straßenkämpfe rund um den Maidan-Platz in Kiew forderten mehr als 100 Todesopfer. Etwa 300 weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Berichte über den Einsatz von Scharfschützen machten die Runde, die sowohl auf die Protestierenden als auch auf die Polizei gefeuert haben sollen. Wer sie schickte, ist bis heute nicht geklärt. Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine von 2014 bis 2019, vertrat die These, Russland habe die Scharfschützen entsendet, um die Lage im Nachbarland weiter zu destabilisieren. Spricht man heute in der Ukraine über die Opfer des Maidan-Protests, nennt man sie ehrfürchtig „die Himmlischen Hundert“. © Sergey Dolzhenko/dpa
Demonstranten posieren in der Villa von Viktor Janukowitsch, ehemaliger Präsident der Ukraine
Nach rund drei Monaten erbittert geführter Kämpfe gelang dem Widerstand das kaum für möglich Gehaltene: Die Amtsenthebung Wiktor Janukowytschs. Der verhasste Präsident hatte zu diesem Zeitpunkt die UKraine bereits verlassen und war nach Russland geflohen. Die Menschen nutzten die Gelegenheit, um in der prunkvollen Residenz des Präsidenten für Erinnerungsfotos zu posieren. Am 26. Februar 2014 einigte sich der „Maidan-Rat“ auf eigene Kandidaten für ein Regierungskabinett. Präsidentschaftswahlen wurden für den 25. Mai anberaumt. Die Ukraine habe es geschafft, eine Diktatur zu stürzen, beschrieb zu diesem Zeitpunkt aus der Haft entlassene Julija Tymoschenko die historischen Ereignisse.  © Sergey Dolzhenko/dpa
Ein Mann stellt sich in Sewastopol, eine Stadt im Süden der Krim-Halbinsel, den Truppen Russlands entgegen.
Doch der mutmaßliche Frieden hielt nicht lange. Vor allem im Osten der Ukraine blieb der Jubel über die Absetzung Janukowytschs aus. Gouverneure und Regionalabgeordnete im Donbass stellten die Autorität des Nationalparlaments in Kiew infrage. Wladimir Putin nannte den Umsturz „gut vorbereitet aus dem Ausland“. Am 1. März schickte Russlands Präsident dann seine Truppen in den Nachbarstaat. Wie Putin behauptete, um die russischstämmige Bevölkerung wie die auf der Krim stationierten eigenen Truppen zu schützen. In Sewastopol, ganz im Süden der Halbinsel gelegen, stellte sich ein unbewaffneter Mann den russischen Truppen entgegen. Aufhalten konnte er sie nicht. © Viktor Drachev/afp
Bürgerkrieg in Donezk, eine Stadt im Donbas, dem Osten der Ukraine
Am 18. März 2014 annektierte Russland die Halbinsel Krim. Kurz darauf brach im Donbass der Bürgerkrieg aus. Mit Russland verbündete und von Moskau ausgerüstete Separatisten kämpften gegen die Armee und Nationalgarde Kiews. Schauplatz der Schlachten waren vor allem die Großstädte im Osten der Ukraine wie Donezk (im Bild), Mariupol und Luhansk. © Chernyshev Aleksey/apf
Prorussische Separatisten kämpfen im Donbas gegen Einheiten der Ukraine
Der Bürgerkrieg erfasste nach und nach immer mehr Gebiete im Osten der Ukraine. Keine der Parteien konnte einen nachhaltigen Sieg erringen. Prorussische Separatisten errichteten Schützengräben, zum Beispiel nahe der Stadt Slawjansk. Bis November 2015 fielen den Kämpfen laut Zahlen der Vereinten Nationen 9100 Menschen zum Opfer, mehr als 20.000 wurden verletzt. Von 2016 an kamen internationalen Schätzungen zufolge jährlich bis zu 600 weitere Todesopfer dazu. © Michael Bunel/Imago
Trümmer von Flug 17 Malaysian Airlines nach dem Abschuss nahe Donezk im Osten der Ukraine
Aufmerksam auf den Bürgerkrieg im Osten der Ukraine wurde die internationale Staatengemeinschaft vor allem am 17. Juli 2014, als ein ziviles Passagierflugzeug über einem Dorf nahe Donezk abstürzte. Alle 298 Insassen kamen ums Leben. Die Maschine der Fluggesellschaft Malaysian Airlines war von einer Boden-Luft-Rakete getroffen worden. Abgefeuert hatte die Rakete laut internationalen Untersuchungen die 53. Flugabwehrbrigade der Russischen Föderation. In den Tagen zuvor waren bereits zwei Flugzeuge der ukrainischen Luftwaffe in der Region abgeschossen worden. © ITAR-TASS/Imago
Russlands Präsident Putin (l.), Frankreichs Präsident Francois Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Petro Poroschenko in Minsk
Die Ukraine wollte den Osten des eigenen Landes ebenso wenig aufgeben wie Russland seine Ansprüche darauf. Im September 2014 kamen deshalb auf internationalen Druck Russlands Präsident Putin (l.), Frankreichs Präsident François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Petro Poroschenko in Minsk zusammen. In der belarussischen Hauptstadt unterzeichneten sie das „Minsker Abkommen“, das einen sofortigen Waffenstillstand und eine schrittweise Demilitarisierung des Donbass vorsah. Die OSZE sollte die Umsetzung überwachen, zudem sollten humanitäre Korridore errichtet werden. Der Waffenstillstand hielt jedoch nicht lange und schon im Januar 2015 wurden aus zahlreichen Gebieten wieder Kämpfe gemeldet. © Mykola Lazarenko/afp
Wolodymyr Selenskyj feiert seinen Sieg bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine 2019
Während die Ukraine im Osten zu zerfallen drohte, ereignete sich in Kiew ein historischer Machtwechsel. Wolodymyr Selenskyj gewann 2019 die Präsidentschaftswahl und löste Petro Poroschenko an der Spitze des Staates ab.  © Genya Savilov/afp
Wolodymyr Selenskyj
Selenskyj hatte sich bis dahin als Schauspieler und Komiker einen Namen gemacht. In der Comedy-Serie „Diener des Volkes“ spielte Selenskyj von 2015 bis 2017 bereits einen Lehrer, der zunächst Youtube-Star und schließlich Präsident der Ukraine wird. Zwei Jahre später wurde die Geschichte real. Selenskyj wurde am 20. Mai 2019 ins Amt eingeführt. Kurz darauf löste der bis dato parteilose Präsident das Parlament auf und kündigte Neuwahlen an. Seine neu gegründete Partei, die er nach seiner Fernsehserie benannte, erzielte die absolute Mehrheit.  © Sergii Kharchenko/Imago
Russische Separatisten in der Ost-Ukraine
Selenskyj wollte nach seinem Wahlsieg die zahlreichen innenpolitischen Probleme der Ukraine angehen: vor allem die Bekämpfung der Korruption und die Entmachtung der Oligarchen. Doch den neuen, russland-kritischen Präsidenten der Ukraine holten die außenpolitischen Konflikte mit dem Nachbarn ein. © Alexander Ryumin/Imago
Ukraine Militär
Im Herbst 2021 begann Russland, seine Truppen in den von Separatisten kontrollierte Regionen in der Ost-Ukraine zu verstärken. Auch an der Grenze im Norden zog Putin immer mehr Militär zusammen. Selenskyj warnte im November 2021 vor einem Staatsstreich, den Moskau in der Ukraine plane. Auch die Nato schätzte die Lage an der Grenze als höchst kritisch ein. In der Ukraine wurden die Militärübungen forciert. © Sergei Supinsky/AFP
Putin
Noch drei Tage bis zum Krieg: Am 21. Februar 2022 unterzeichnet der russische Präsident Wladimir Putin verschiedene Dekrete zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk. © Alexey Nikolsky/AFP
Explosion in Kiew nach Beginn des Ukraine-Kriegs mit Russland
Am 24. Februar 2022 wurde der Ukraine-Konflikt endgültig zum Krieg. Russische Truppen überfielen das Land entlang der gesamten Grenze. Putins Plan sah eine kurze „militärische Spezialoperation“, wie die Invasion in Russland genannt wurde, vor. Die ukrainischen Streitkräfte sollten mit einem Blitzkrieg in die Knie gezwungen werden. Moskau konzentrierte die Attacken auf Kiew. Innerhalb weniger Tage sollte die Hauptstadt eingenommen und die Regierung Selenskyjs gestürzt werden. Doch der Plan scheiterte und nach Wochen intensiver Kämpfe und hoher Verluste in den eigenen Reihen musste sich die russische Armee aus dem Norden des Landes zurückziehen. Putin konzentrierte die eigene Streitmacht nun auf den Osten der Ukraine. © Ukrainian President‘s Office/Imago
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei einer Fernsehansprache aus Kiew
Seit Februar 2022 tobt nun der Ukraine-Krieg. Gesicht des Widerstands gegen Russland wurde Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich zu Beginn des Konflikts weigerte, das Angebot der USA anzunehmen und das Land zu verlassen. „Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“, sagte Selenskyj. Die sollte er bekommen. Zahlreiche westliche Staaten lieferten Ausrüstung, Waffen und Kriegsgerät in die Ukraine. Hunderttausende Soldaten aus beiden Ländern sollen bereits gefallen sein, ebenso mehr als 10.000 Zivilpersonen. Ein Ende des Kriegs ist nach wie vor nicht in Sicht. © Ukraine Presidency/afp

Die wahre Bedeutung der Ukraine für die europäische Sicherheitsarchitektur muss geklärt werden

Wie immer kann Putin auf die Uneinigkeit der Europäer setzen, die er selbst mitgefördert hat. Frankreich steckt in einer politischen Krise, während die kürzlich gescheiterte Regierung in Deutschland vor Wahlen steht, bei denen das Thema der deutschen Unterstützung für die Ukraine bereits von politischen Extremisten und Fraktionen in den traditionellen Parteien manipuliert wird. In Europa herrscht Kriegsmüdigkeit. In den kommenden Monaten könnten die Propagandisten des Kremls, unterstützt von ihren europäischen Sympathisanten, versuchen, Russland als den wahren Friedenssuchenden darzustellen, der sich mit der Forderung nach Teilen der Ukraine begnügt.

Um dieser Darstellung entgegenzuwirken, muss zunächst Klarheit über die wahre Bedeutung der Ukraine für die europäische Sicherheitsarchitektur geschaffen werden. Wenn die Ukraine tatsächlich von entscheidender Bedeutung ist, muss den Europäern erklärt werden, dass es in diesem Krieg nicht nur um die Zukunft der Ukraine geht, sondern auch um die Fähigkeit Europas, sichere Grenzen zu erhalten und den Frieden auf dem gesamten Kontinent zu wahren. Gleichzeitig müssen die Europäer verstehen, dass ein entscheidender Sieg der Ukraine, der große Teile der von Russland besetzten Ukraine befreit, kurz- bis mittelfristig nicht mehr realisierbar sein könnte. Das ist kein Defätismus, sondern Realismus – und diese Ansicht wird von vielen Ukrainern geteilt, die sich der Realität vor Ort bewusst sind.

Das nächste Jahr könnte für die Ukraine und Europa entscheidend sein, um einen neuen Status quo zu erreichen. Wenn die Europäer den nächsten Krieg vermeiden wollen, müssen sie bereit sein, sich direkt in der Ukraine zu engagieren – trotz der offensichtlichen Risiken. Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland irgendeine schriftliche Verpflichtung einhält, ist gering bis gleich null, eine Lektion, die der Westen hoffentlich gelernt hat. Es geht darum, zwischen bekannten und unbekannten Bedrohungen zu wählen: sich jetzt einem geschwächten russischen Militär zu stellen, mit der Chance, es von weiteren Angriffen abzuhalten, oder die hohe Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit einem erstarkten Russland in einigen Jahren in Kauf zu nehmen. Militäraktionen bergen Risiken. Nicht zu handeln, könnte jedoch ein noch größeres Risiko für die Sicherheit Europas darstellen.

Zum Autor

Franz-Stefan Gady ist Associate Fellow für Cyber-Macht und zukünftige Konflikte am International Institute for Strategic Studies, Adjunct Senior Fellow für Verteidigung am Center for a New American Security und Autor von Die Rückkehr des Krieges: Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen (The Return of War: Why We Must Relearn How to Deal With War). X: @hoanssolo

Wir testen zurzeit maschinelle Übersetzungen. Dieser Artikel wurde aus dem Englischen automatisiert ins Deutsche übersetzt.

Dieser Artikel war zuerst am 20. Dezember 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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