Pflege unter Druck
Extrem hoher Krankenstand in der Pflege kostet fast 16000 Arbeitskräfte
Pflegekräfte fallen deutlich öfter aus als andere Arbeitnehmer. Ein Münchner Gesundheitsökonom hat die Folgen berechnet. Mit schockierendem Ergebnis.
Jens Spahn (CDU) produziert am liebsten positive Nachrichten. Damit ihm der Nachschub daran nie ausgeht, hat der ehrgeizige Bundesgesundheitsminister in 18 Monaten 18 Gesetze rausgehauen, und ist zuletzt nebenbei auch noch staatsmännisch nach Mexiko und durch Afrika gereist. Die mediale Botschaft schwingt immer mit: Der Gesundheitsminister löst Probleme, statt nur darüber zu reden.
Wenn dieser Jens Spahn also öffentlich Schwierigkeiten einräumt, darf man davon ausgehen, dass die Sache ziemlich ernst ist.
13 000 neue Stellen für die stationäre Altenpflege hat der Minister 2018 versprochen. Zum ersten Januar trat das entsprechende Gesetz in Kraft. Doch, „es hapert an der Umsetzung“, konstatierte Spahn zuletzt selbst. Denn bis Mitte Juli wurden bundesweit nur etwa 2800 Anträge auf Förderung von zusätzlichem Pflegepersonal gestellt - und davon wurden wiederum nur knapp über 300 bewilligt. Nicht mal drei Prozent also.
Pflegekräftemangel: Münchner Gesundeheitsökonom schlägt Alarm
Es zeigt sich: Der Personalmangel und bürokratische Hürden bringen den Plan mächtig ins Stottern. In Spahns Ministerium ist man alarmiert. Auf Nachfrage unserer Zeitung betont eine Sprecherin, man sei „mit den Pflegekassen und den Einrichtungsträgerverbänden in Gesprächen, um die Bewilligungsprozesse für diese Stellen zu beschleunigen und die Zahl der Antragstellungen insgesamt zu erhöhen“.
Weil es offensichtlich nicht so einfach ist, neues Personal zu gewinnen, empfiehlt der Münchner Gesundheitsökonom Marcus Breu, den Fokus auf das Pflegepersonal zu richten,
das es bereits gibt. Dort schlummere nämlich ein enormes Potenzial. Denn gerade Pflegekräfte empfinden ihre Arbeit nicht nur deutlich öfter als körperlich und psychisch sehr stark belastend, sie fallen auch tatsächlich viel öfter aus als andere Berufsgruppen. Beschäftigte in der Altenpflege fehlen laut einer Erhebung der BKK mit durchschnittlich 24,1 Tagen krankheitsbedingt am Arbeitsplatz – über eine Kalenderwoche öfter als alle Beschäftigten insgesamt im Durchschnitt (16,1 Tage). Auch Krankenpflegekräfte liegen mit 19,3 Tagen deutlich darüber.
Auf dieser Grundlage rechnet Breu vor, dass es pro Jahr in der Gesundheits- und Krankenpflege 14,7 Millionen Fehltage gebe, und in der Altenpflege rund zehn Millionen. Das entspreche insgesamt 68 000 ausgefallenen Erwerbsjahren. Neben dem Personalengpass sei auch der wirtschaftliche Schaden enorm. Pro Jahr entstünden so für beide Pflegebereiche über 2,5 Milliarden Euro an Lohnausfallkosten. Dazu kämen mehr als 3,1 Milliarden Euro an Kosten durch den Verlust der Arbeitsproduktivität. Gigantische Summen, die sich deutlich verringern ließen, wenn man die Ausfälle der Pflegekräfte auf Normalmaß reduzieren könnte. Nur: „Einmal in der Woche Rückenkurs“ würde dafür sicher nicht ausreichen, sagt Breu. Es brauche stattdessen ein Umdenken und politische Gespräche mit den Verantwortlichen – „und das sind oft die Heimleiter“.
Pflegekräftemangel: Gesundheit der Pflegekräfte stärken
Diese Anstrengung könnte sich lohnen. Denn: Ließen sich die Fehltage im Pflegebereich tatsächlich auf das Niveau der durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeitstage über alle Berufsgruppen reduzieren, ergebe sich ein Präventionspotenzial in Höhe von 5,8 Millionen Tagen – „was mit insgesamt 15 900 Pflegestellen korrespondiert“, rechnet Breu vor.
Eine Perspektive, die mit Blick auf den
Pflegekräftemangel auch den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses im Landtag überzeugt. Die Gesundheit der Pflegekräfte zu stärken, „wäre kurzfristig wirksam“, sagt Bernhard Seidenath (CSU) unserer Zeitung. Die Frage sei: „Wie kommen wir da hin?“ Es gebe ja bereits politische Initiativen zur Gesundheitsförderung. Aus Seidenaths Sicht liegt der Ball – neben der Politik – auch im Spielfeld der Arbeitgeber. „Letztlich ist es eine Managementaufgabe, die Leute gesund zu halten.“
Der CSU-Politiker kündigt an, zeitnah Anträge in den Landtag einzubringen, um das Thema voranzutreiben. Eine Möglichkeit sei einen Preis auszuloben, um positive Beispiele zu sammeln, wie besserer Gesundheitsschutz in der Pflege gelingen kann.
Sebastian Horsch

