Bundestag vor Entscheidung zu Reform
Fachärztin zur Debatte um Organspende: „Der Hirntod gilt als sichere Diagnose“
Ärzte wie Stefanie Förderreuther beurteilen, ob ein Organspender wirklich tot ist. Im Interview spricht die Münchner Neurologin ihre Arbeit und ihre Erfahrungen.
- Am Donnerstag (16. Januar) stimmt der Bundestag über eine Reform der Organspende ab.
- Die Abgeordneten haben die Wahl zwischen zwei Vorschlägen: der Widerspruchslösung und der Entscheidungslösung.
- Ärzte wie die Münchner Neurologin Stefanie Förderreuther beurteilen, ob ein Organspender wirklich tot ist.
München – Tot oder lebendig? Stefanie Förderreuther muss auf diese wohl größte aller Fragen Antworten geben. Sie und ihre Kollegen entscheiden in München und Umgebung darüber, wann bei einem Menschen der Hirntod eingetreten ist. Ihr Urteil ist die Voraussetzung für jede Organspende. Im Interview erklärt die Ärztin, wie ihre Einsätze ablaufen, ob es auch Fehldiagnosen gibt, und ob Organspender vielleicht doch Schmerzen spüren können.
In Deutschland müssen speziell qualifizierte Ärzte den Hirntod eines Menschen feststellen, bevor dessen Organe entnommen werden dürfen. Wir sind ein ganzes Team von Kollegen, die in solchen Fällen zu auswärtigen Kliniken in München und Umgebung fahren und die Ärzte dort bei der Todesfeststellung unterstützen.
Organspende-Entscheidung im Bundestag: Wie Fachärzte den Tod feststellen
Es geht immer um Patienten, die sehr schwere Hirnverletzungen erlitten haben, oder deren Gehirn durch Sauerstoffmangel geschädigt wurde – zum Beispiel, wenn sie nach einem Herzinfarkt wiederbelebt wurden. Diese Patienten befinden sich auf der Intensivstation, sie müssen beatmet werden und brauchen in der Regel kreislaufstützende Medikamente.
Der Hirntod setzt nicht plötzlich ein. Vielmehr ist es so, dass das Gehirn infolge der Schädigung immer weiter anschwillt und der Druck im Schädel zunehmend ansteigt. Gelingt es nicht, das aufzuhalten, wird das Gehirn irgendwann nicht mehr mit Blut versorgt – und kann nicht überleben. Es liegt an uns, festzustellen, ob das passiert ist.
Wenn sich ein Hirntod anbahnt, nehmen die Kliniken über die Deutsche Stiftung Organtransplantation Kontakt mit uns auf. Schon am Telefon machen wir uns ein erstes Bild von den Voraussetzungen. Um welche Diagnose geht es? Kann sich das Gehirn wieder erholen? Kann es auch sein, dass der Patient aus anderen Gründen im Koma liegt? Ist der Befund womöglich durch Medikamente verschleiert? Gerade wenn Patienten schon länger auf der Intensivstation liegen, erfordert eine solche Einschätzung viel Erfahrung.
Wenn wir am Telefon den Eindruck gewonnen haben, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, fahren wir möglichst schnell zu den Patienten in die Klinik. Da wir diese Aufgabe aber alle als Nebentätigkeit erfüllen, können wir in der Regel erst kommen, nachdem wir den Dienst in unseren eigenen Kliniken beendet haben. Oder am Wochenende.
Es geht um Organspenden. Muss das nicht schneller gehen?
Meistens können die Kliniken die Patienten so lange stabilisieren, bis wir die Todesfeststellung abgeschlossen haben. Aber ja, es gibt auch Fälle, in denen es schnell gehen sollte.
Die Voraussetzungen werden dann nochmals anhand der Unterlagen geprüft und zwei Fachärzte untersuchen dort unabhängig voneinander den Patienten. Beide müssen eine mehrjährige Intensiv-Erfahrung aufweisen. Einer von beiden muss zudem Neurologe oder Neurochirurg sein. Geht es um ein Kind, muss zusätzlich ein Kinderarzt anwesend sein. Wir Ärzte klären, ob wirklich keinerlei Hirntätigkeit mehr vorhanden ist. Das müssen wir abgrenzen von neurologischen Reflexen oder Phänomenen, die vom Rückenmark ausgelöst werden. Denn trotz des Hirntods können andere Teile des Nervensystems ja noch arbeiten.
Organspende-Entscheidung im Bundestag: Richtlinie zu Todesfeststellung begegnet allen Eventualitäten
Das wäre natürlich entsetzlich. Doch der Hirntod gilt als eine der sichersten Diagnosen überhaupt, und die Richtlinie, nach der wir arbeiten, ist unglaublich sicher und begegnet allen Eventualitäten. Es greift das Vier-Augen-Prinzip. Wenn nur bei einem der beiden untersuchenden Ärzte die geringsten Zweifel bestehen, kann der Tod nicht festgestellt werden.
In Deutschland sind noch nie Fehldiagnosen bekannt geworden. Es gab zwar formale Fehler beim Ausfüllen der Protokolle, aber es gab nie inhaltliche Fehler. Gutachter hatten in keinem Fall Zweifel, dass die Patienten, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, auch tatsächlich tot waren.
Nein, es gibt keine Betäubung. Ein hirntoter Mensch kann schließlich nichts mehr bewusst erleben und er kann auch keinen Schmerz empfinden. Denn dazu bräuchte er sein Gehirn. Denkbar ist aber, dass Medikamente gegeben werden, um Rückenmarksreflexe zu unterdrücken. Aber noch einmal: Wer hirntot ist, kann bei der Organentnahme keinen Schmerz empfinden.
Im Grunde gibt es keine unterschiedlichen Arten von Tod. Wenn ein Mensch tot ist, ist er tot. Er kann durch einen Herzkreislaufstillstand versterben oder durch den Hirntod. Viel wichtiger ist aber die Frage: Liegen sichere Todeszeichen vor?
Der Herzstillstand alleine ist keines. Es gibt sogar selten Berichte über Patienten, die nach einem Herzstillstand im Leichenschauhaus lagen und dort offenbar noch einmal geatmet haben. Bemerkt wurde das, weil sich über der Plastikfolie Flüssigkeit abgeschlagen hat. Der Hirntod ist hingegen ein sicheres Todeszeichen. Das ist schwierig zu vermitteln, weil Menschen, deren Herz nicht mehr schlägt, genau so aussehen, wie wir uns einen Toten vorstellen. Bei einem hirntoten Menschen, der künstlich beatmet wird, ist das hingegen nicht so. Doch der äußere Anschein trügt.
Ja.
Ich halte den Plan von Jens Spahn für gut. Es ist einfach wichtig, dass die Menschen sich mit der Frage auseinandersetzen. Jeder, der einen neuen Handy-Vertrag abschließt, nimmt sich dafür Zeit. Diese Zeit sollte man sich auch für das Thema Organspende nehmen. Das nimmt auch viel Last von den Angehörigen, die heute unmittelbar nach einem Verlust mit Fragen konfrontiert werden, die sie oft überfordern.
Interview: Sebastian Horsch
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Vor der Abstimmung im Bundestag präsentieren unsere Redakteure ein Pro und Contra zur Widerspruchslösung.
Update vom 16. Januar 2019: Der Bundestag entscheidet darüber, wie die Organspende zukünftig gesetzlich geregelt wird. Die Fraktionsdisziplin wurde für diese Entscheidung bei den Parteien ausgesetzt. Die Abgeordneten stimmten für eine erweiterte Zustimmungslösung bei der Organspende.
