Gang in die „parlamentarische Immunität“
Kanzler Kurz geht - und hat offenbar große Pläne: Kalkül hinter dem Polit-Beben in Österreich?
Mit seinem Rücktritt will Kanzler Sebastian Kurz die Regierungskrise in Österreich beenden. Aber viele vermuten in seinen Plänen machtpolitische Hintergedanken.
Wien - Zuletzt war der Druck, auch parteiintern, zu groß geworden. Nun hat Österreichs Kanzler Sebastian Kurz seinen Rücktritt verkündet. Sein Amt überlässt er Außenminister Alexander Schallenberg – der 35-Jährige Kurz bleibt aber wohl die zentrale ÖVP-Figur.
Denn Kurz bleibt nicht nur ihr Vorsitzender (Parteiobmann). Er wird auch ihr Klubobmann (Fraktionschef im Parlament). „Ich werde als Parteiobmann und als Klubobmann ins Parlament zurückkehren und dort versuchen, meinen Beitrag zu leisten. Vor allem aber werde ich selbstverständlich auch die Chance nutzen, die Vorwürfe, die gegen mich erhoben worden sind, zu entkräften und zu widerlegen“, hatte Kurz am Samstagabend bei seiner Rücktritts-PK angekündigt.
„In der Position des Klubchefs dominiert er das Tempo der Regierung“, analysiert das Portal oe24.at. Kurz‘ Vorgänger ist August Wöginger. Als ÖVP-Chef hat Kurz weitreichende Befugnisse: Er kann das Regierungsteam, die Kandidatenlisten bei Parlamentswahlen sowie die politische Linie der ÖVP allein bestimmen.
Kritik an Amtswechsel von Kurz: „Flucht in die parlamentarische Immunität“
Die Opposition ist mit dieser Rochade nicht zufrieden. Damit bleibe das „System Kurz“ erhalten, kritisierte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.
„Sebastian Kurz tritt die Flucht in die parlamentarische Immunität an“, sagte der Chef der rechten FPÖ, Herbert Kickl. Die Chefin der liberalen Neos, Beate Meinl-Reisinger, meinte, dass Kurz weiter alle Fäden in der Hand behalten werde.
Österreich: Schallenberg bei Migration ähnlicher Hardliner wie Kurz
Und Kurz‘ designierter Nachfolger? Der 52-Jährige Schallenberg ist seit Jahren in Spitzenfunktionen für die Außenpolitik Österreichs* mitverantwortlich. Der mehrsprachige, international erfahrene Diplomat vertritt in Fragen der Migration einen genauso harten Kurs wie Kurz. Für Sonntag haben Schallenberg und Kogler ein Vieraugengespräch vereinbart.
Die mit der ÖVP regierenden österreichischen Grünen hatten in den vergangenen Tagen bereits mit Oppositionsparteien Gespräche über eine Mehrparteienregierung ohne ÖVP geführt - für den Fall, dass der Kanzler nicht zurücktritt.
Korruptionsvorwürfe: Sebastian Kurz beteuert seine Unschuld
Die Regierungskrise war durch Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgelöst worden. Enge Mitstreiter des Kanzlers stehen im Verdacht, wohlmeinende Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Auch Kurz wird als Beschuldigter geführt.
In einer siebenminütigen Rede betonte der Kanzler am Samstag erneut seine Unschuld. Er gebe sein Amt aber aus Verantwortung für das Land ab. (AFP/dpa/frs) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA