Hilft Deutschland genug?
Grüne fordert bei „Lanz“ brisanten Ukraine-Schritt – und beschreibt nach Kiew-Besuch „Terror pur“
Bei „Markus Lanz“ schildert Marieluise Beck Eindrücke aus der Ukraine – und kommt zu einer heiklen Schlussfolgerung. Auch Linien von Russland nach Frankreich zieht die Runde.
Hamburg – Bei „Markus Lanz“ spricht am Donnerstag die Grüne-Abgeordnete Marieluise Beck über die Eindrücke ihres Besuchs in Kiew. Wladimir Putins Strategie im Ukraine-Konflikt stütze sich auf Einschüchterung und Terror – diesem Zweck dienten auch die Raketenangriffe auf Lwiw und Odessa, meint Beck.
Die Zivilbevölkerung lebe in ständiger Angst und komme nicht zur Ruhe, immer in der Angst vor dem nächsten Angriff. Hinzu komme eine Form systematisierter sexueller Gewalt: „Wir wissen inzwischen, dass russische Soldaten mit Kondomen ausgestattet sind. Hier ist diese Gewalt gegen Frauen, der sexuelle Missbrauch, Teil der Kriegsführung. Das ist natürlich Terror pur. In Butscha sind es 14-jährige Mädchen gewesen.“ Die Grüne leitet aus ihren Eindrücken aber auch Forderungen an Kanzler Olaf Scholz (SPD) ab:
Bei „Markus Lanz“ - Grünen-Politikerin Marieluise Beck: „Wir hätten der Ukraine früher helfen müssen“
Denn Beck klagt, die deutsche Politik habe sich zu lange geweigert, dem drohenden Konflikt angemessen zu begegnen. Spätestens im Herbst hätte angesichts des russischen Aufmarsches überlegt werden müssen, wie man die Ukraine ausstatten müsse, um einen möglichen Angriff zu verhindern. „Die Vorbereitung auf einen Angriff kann bedeuten, dass der Angriff nicht stattfindet“, sagt Beck –und räumt ein: Ihr als Grünen-Politikerin falle es nicht leicht, Begriffe wie „Abschreckung“ in den Mund zu nehmen.
Der Militärexperte Carlo Masala bestätigt Becks Einschätzung: „Dass er eine militärische Operation durchführen wird, war für mich auch allerspätestens im Dezember klar, als klar war, die USA und die Nato gehen auf die zentralen politischen Forderungen nicht ein.“ Talkmaster Markus Lanz denkt laut darüber nach, dass die Konsequenz daraus ein präventives Hochrüsten bedeutet hätte. Beck bejaht das. Deutschland hätte der Ukraine aber dabei helfen müssen, „sich sehr, sehr gut auszustatten“, um das Risiko für Putin so weit zu erhöhen, dass sich ein Angriff nicht lohne.
Debatte um den Ukraine-Krieg bei „Markus Lanz“ - Was kann Deutschland überhaupt liefern?
Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann widerspricht Beck. Der Westen habe sich durchaus vorbereitet, der „Normalbürger“ habe davon vielleicht nichts mitbekommen, aber die Geheimdienste und das Militär seien umfassend informiert gewesen – bis hin zur tagesgenauen Ansage der Amerikaner, wann der Angriff Russlands auf die Ukraine stattfinden werde. Weil Herrmann außerdem bezweifelt, dass Putin sich überhaupt von einem Angriff hätte abschrecken lassen, spricht auch sie sich für Aufrüstung aus, denn: „Die Bundeswehr ist blank.“ Beck besteht darauf, dass dennoch „spätestens ab dem Herbst ein massives Handeln“ hätte stattfinden müssen, um die Ukraine besser zu unterstützen.
Als Hermann anschließend ausführt, wie gering die Panzerbestände der Bundeswehr de facto seien und Masala das bestätigt, unkt der Gastgeber, es wäre besser, die Sendung abzubrechen: „Wenn die Russen jetzt mithören, dann wird es schwierig.“ Beck unterbricht den Anflug von Heiterkeit und moniert, es sei anmaßend, der Ukraine auf ihre Bitte um Marder-Panzer zu entgegnen, ihre Truppen seien nicht in der Lage, diese zu bedienen.
Das sei nur eine von mehreren vorgeschobenen Erklärungen Scholz‘, durch die das Vertrauen der Ukraine zu Deutschland verloren gehe, schließlich gehe es beim Ukraine-Krieg auch um die Freiheit Europas. Beck: „Ich finde, dass wir uns auf sehr dünnem Eis bewegen, was die Wahrhaftigkeit in Deutschland anlangt.“
„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 21. April:
- Marieluise Beck (Grüne) – Bundestagsabgeordnete und Osteuropa-Expertin
- Ulrike Herrmann – taz-Journalistin
- Ronja Kempin – Politologin
- Prof. Carlo Masala – Militärexperte
Moderator Lanz holt die Politologin Ronja Kempin ins Gespräch und fragt, ob der Kontakt zwischen Washington, Paris und Berlin womöglich viel enger sei, als das in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Kempin bejaht diese Einschätzung, schließlich folge man auch in Frankreich der Linie, nicht öffentlich über Waffenlieferungen an die Ukraine zu sprechen. Auch über den „essenziellen Beitrag“ der französisch-amerikanischen Bemühungen, der Ukraine mehrfach täglich Aufklärungsbilder zukommen zu lassen, werde in der französischen Öffentlichkeit wenig gesprochen: „Die Franzosen brüsten sich nicht wie die Amerikaner. Sie machen es einfach.“
„Wir müssen Putin die Eskalationsdominanz aus der Hand nehmen“, fordert Beck, woraufhin Lanz wissen möchte, welche Maßnahmen das konkret zur Folge hätte. Eine Flugverbotszone würde sich Beck „von Herzen wünschen“, nachdem sie Kriegsopfer im Kindesalter in einem Kiewer Krankenhaus gesehen habe. Weil dazu in den Nato-Ländern jedoch der politische Wille fehle, müsse die Ukraine zumindest so ausgestattet werden, dass sie sich gegen den „Terror aus dem Himmel“ verteidigen könne. Herrmann wirft ein, dass „alle Luftabwehrraketen die man liefern kann“ auch geliefert und weitere „mit Hochdruck produziert“ würden.
Macron gegen Le Pen in Frankreich: Markus Lanz hofft, dass die Präsidentschaftswahl „nicht schief geht“
Der Präsidentschafts-Stichwahl in Frankreich zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und Marine Le Pen, darüber ist sich die „Markus Lanz“-Runde einig, dürfte auch Putin gespannt entgegenblicken. Sollte die Rechtspopulistin Le Pen gewinnen, vermutet Kempin, könne Historisches geschehen. Frankreichs Staatsoberhaupt würde dann nicht, wie sonst üblich, den ersten Antrittsbesuch in Berlin absolvieren, sondern in Brüssel. Dort werde sie ihre Forderungen vortragen, etwa weniger Geld an die Europäische Union zu überweisen und das Ende der europäischen Freizügigkeit.
All dies wäre wohl im Sinne des russischen Präsidenten, der in Frankreich und Le Pens Partei viel investiert habe, um die Spaltung Europas voranzutreiben. Talkmaster Lanz macht deshalb am Ende der Sendung keinen Hehl daraus, der Wahl bang entgegenzublicken: „Wir haben uns hier darüber unterhalten, das mit Trump wird nicht passieren, es ist passiert. Wir haben über den Brexit gesprochen, es ist passiert. Wollen wir hoffen, dass es dieses Mal nicht schiefgeht.“
„Markus Lanz“ - Das Fazit der Sendung
Die „Markus Lanz“-Runde oszilliert am Donnerstagabend um die Frage, welche Waffen und wie viele von ihnen Deutschland in die Ukraine liefern kann und sollte. Die Grüne-Abgeordnete Marieluise Beck findet es untragbar, dass die Bundesrepublik nicht allen Wünschen der Ukraine nachkommt und kann nicht nachvollziehen, dass die Journalistin Ulrike Herrmann für Haltung und Handeln der Bundesregierung Verständnis aufbringt.
Militärexperte Carlo Masala sitzt zwischen den Stühlen und umreißt den weiteren Verlauf des Konflikts: Alle Zeichen stehen auf Stellungskrieg in der Ostukraine. Eine weitere mögliche Disruption mitten in Europa könnte ein Wahlsieg Marine Le Pens bei der französischen Stichwahl am Sonntag sein – dann hätte sich Putins Investment in den Rassemblement National gelohnt, erklärt zum Abschluss der Sendung die Politologin Ronja Kempin. (Hermann Racke)