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Unattraktive soziale Berufe

Kranken- und Altenpflege vor dem Kollaps – Das muss sich ändern

Der soziale Sektor steht schlecht da, grundlegende Leistungen der Daseinsvorsorge drohen wegzubrechen. Experten fordern Veränderung – speziell bei Männern.

Berlin – Die Lage ist ernst. Der soziale Sektor, darunter Pflege und Erzieher-Berufe, steuert auf einen Kollaps zu, warnen Experten. „Das größte Risiko ist, dass grundlegende Leistungen der sozialen Daseinsvorsorge, die wir in unserem Wohlfahrtsstaat als selbstverständlich erachten, wegbrechen“, sagt Joß Steinke, Bereichsleiter Jugend und Wohlfahrtspflege des Deutschen Roten Kreuz (DRK). Steinke und ein Team aus Expertinnen und Experten haben den Fachkräftemangel und die Personalnot im sozialen Sektor analysiert.

Kranken- und Altenpflege – Beschäftigte werden immer älter

Rund drei Millionen Menschen sind in Deutschland im sozialen Sektor beschäftigt. Trotzdem herrscht besonders in der Pflege, bei Kitas und im Gesundheitsbereich ein akuter Personalmangel. In der Studie „Vor dem Kollaps!? Beschäftigung im sozialen Sektor“ haben Steinke, Jasmin Rocha, Managerin im Generalsekretariat des DRK sowie Christian Hohendanner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Probleme der Branche ausformuliert.

Ähnlich wie in anderen Branchen schlägt auch im sozialen Sektor der demografische Wandel bald ein. Viele Angestellte stehen vor der Rente. Im Jahr 2008 lag der Anteil der 50- bis 64-jährigen Beschäftigten noch bei 27 Prozent, 2021 bereits bei 37. Hinzu kommt, dass Löhne, Arbeitszeiten und die Belastung etwa in Pflegeberufen oft wenige Anreize für potenzielle Angestellte bieten. „Im Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte hat der soziale Sektor im Vergleich zu anderen Branchen leider strukturelle Nachteile“, sagt Mitautor Hohendanner im Rahmen der Vorstellung. Entsprechend steigen im sozialen Sektor unbesetzte Stellen.

Maßnahmenkatalog, um Pflegekollaps zu verhindern

Deshalb haben die drei Autoren nun einen Forderungskatalog präsentiert, der einen Kollaps verhindern soll. Im ersten Schritt sollen regionale Versorgungsmängel bundesweit erfasst werden. Da für viele Sozialleistungen wie etwa den Unterhalt von Kitas oder Pflegeheimen Kommunen verantwortlich sind, müsse der Bund rechtzeitig wissen, wo etwa finanzschwache Gemeinden Sozialleistungen kürzen und sich die Personal-Not somit vergrößere, heißt es in der Studie.

Weiter solle der soziale Sektor künftig als Ganzes gedacht werden, um die Abwanderung von Personal zu verhindern und neue Menschen für die Berufe begeistern zu können. Die Experten schlagen eine zentral organisierte Beschäftigungspolitik der Bundesagentur für Arbeit vor, um den sozialen Sektor besonders in der Ausbildung gegenüber anderen Branchen konkurrenzfähiger zu machen.

Care-Arbeit: Männer müssen Frauen mehr im Haushalt unterstützen

Da in sozialen Berufen größtenteils Frauen tätig sind und diese wegen der Sorge-Arbeit (Care-Arbeit) innerhalb der Familie oft nicht Vollzeit arbeiten können, schlagen die drei Studien-Autoren vor, neue Debatten über eine gleichmäßige Verteilung der häuslichen Pflichten zu führen. So soll das Arbeitszeitpotenzial von Frauen besser genutzt werden. „Ohne einen stärkeren, selbstverständlichen Einsatz von Vätern und ohne die Hinzuziehung von nicht-erwerbstätigen Großeltern und Nachbarschaftshilfen wird dies kaum möglich sein“, heißt es in der Studie. Auch steuerliche Anreize für Vollzeitbeschäftigte in sozialen Berufen seien eine Möglichkeit, dem Personalmangel entgegenzuwirken.

Neben Forderungen nach mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie fordern die Experten die Politik außerdem auf, grundsätzliche Entscheidungen für die Branche zu fällen: „Ist eine Dominanz profitorientierter Anbieter politisch präferiert? Sind die Konsequenzen dabei ausreichend klar? Bis zu welchem Grad ist es politisch hinnehmbar, dass sich die Angebote weniger an Bedürfnissen der zu Versorgenden und der Beschäftigten und mehr an Profitchancen ausrichtet?“ Politik und Gesellschaft müssen sich laut Studien-Autoren grundsätzlich fragen, was ihnen der soziale Sektor wert sei.

Rubriklistenbild: © Marijan Murat

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