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Interview
Medienstudie: „Fehlt der Lokaljournalismus, steigt der Stimmenanteil für die AfD“
Die Zahl der Lokalzeitungen in Deutschland nimmt ab. Eine neue Studie kommt nun zu einem alarmierenden Ergebnis: Wo Lokalblätter fehlen, wird die AfD stärker.
Stuttgart/Mannheim – Der Sozialwissenschaftler und Journalist Maxim Flößer hat in einer Medienstudie die Verbindung von lokalem Journalismus und der Wahl der AfD analysiert. Die erste Untersuchung dieser Art kommt zum Ergebnis: In Gemeinden ohne Lokalzeitung gibt es mehr Stimmen für die AfD. In seiner Masterarbeit für die Uni Stuttgart beleuchtet Flößer, welche Bedrohung das Zeitungssterben für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellt und wieso gerade die lokale Berichterstattung wichtiger denn je ist.
Herr Flößer, wie kamen Sie auf die Idee, sich anzusehen, welche Rolle der Lokaljournalismus dabei spielt, ob Menschen AfD wählen?
Lokaljournalismus ist auf dem Rückzug - obwohl er wichtiger ist denn je
Und woher die Verbindung zur AfD?
Momentan ist die AfD so präsent wie noch nie. 2024 ist ein Superwahljahr, in Baden-Württemberg und anderen Ländern sind Kommunalwahlen, außerdem werden in Ostdeutschland neue Landtage gewählt. Ich habe mich gefragt, ob es einen Zusammenhang zwischen der starken AfD auf der einen und dem sich auf dem Rückgang befindenden Lokaljournalismus auf der anderen Seite gibt. Und das habe ich dann in meinem Heimatbundesland als Erster systematisch untersucht.
Was passiert denn, wenn vor Ort eine Lokalzeitung fehlt?
In anderen Ländern kann man diese Entwicklungen bereits länger beobachten, insbesondere in den USA. Wo die Lokalzeitung fehlt, sinkt die Wahlbeteiligung, die Korruption steigt und die Zufriedenheit sowie der gesellschaftliche Zusammenhalt gehen nach unten. Daraus hab ich dann meine Forschungshypothese für Deutschland und speziell Baden-Württemberg abgeleitet: Wenn der Lokaljournalismus fehlt, steigt der Stimmenanteil für die AfD.
Maxim Flößer ist Sozialwissenschaftler und Lokaljournalist. In dieser Doppelfunktion hat sich der Baden-Württemberger in einer Medienstudie mit fehlenden Lokalzeitungen und der stärker werdenden AfD beschäftigt. Das Ergebnis: Die Phänomene stehen im Zusammenhang zueinander.
Viele Gemeinden haben keine Lokalzeitung mehr – und leiden darunter
Wie sind Sie bei der Untersuchung vorgegangen?
Ich habe die Ergebnisse der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg als Grundlage genommen. Für aussagekräftige Erkenntnisse habe ich öffentlich zugängliche Daten zu den jeweiligen Gemeinden gesammelt: Bevölkerungszahl, Migrationsanteil, Männer-Frauen-Verhältnis, Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftsleistung vor Ort und weitere.
Und die Lokalzeitungen?
Da es dafür keine systematischen, öffentlich zugänglichen Daten gibt, habe ich mich für einen Sommer in mein Arbeitszimmer eingesperrt und eine eigene Erhebung erstellt, für welche Gemeinden es Lokalzeitungen gibt. Das klingt recht banal, ist aber komplizierter als gedacht. Meine Definition einer Lokalzeitung waren Medien, die für die jeweilige Gemeinde auf ihrer Website einen eigenen Reiter oder Vermerk haben. Es müssen also explizit für diesen Ort Nachrichten erscheinen. Was ich bewusst nicht als Lokalzeitung gezählt habe, sind Gemeindeblätter, Nachrichtenseiten, auf denen nur Unfallmeldungen veröffentlicht werden und ebenso, wenn in einem kleinen Ort eine größere Zeitung ohne eigene lokale Ausgabe erscheint. Im Ergebnis kam ich dann auf 900 Gemeinden mit Lokalzeitung und 200 ohne.
Studie: Wo die Lokalzeitung fehlt, wird die AfD stärker
Und was ist die Erkenntnis der Medienstudie?
Im ersten Schritt habe ich mit statistischen Berechnungen untersucht, ob die AfD-Stimmen steigen, wenn keine Lokalzeitung da ist. Das Ergebnis: In Gemeinden ohne Lokalblatt steigt der Stimmenanteil der AfD um rund 1,6 Prozentpunkte. Um möglichst ausschließen zu können, dass andere Gründe wie etwa hohe Arbeitslosigkeit eigentlich für das Ergebnis sorgen, habe ich auch all diese Daten in die Berechnung genommen. Dann liegt der Wert noch bei 0,6 Prozentpunkten.
1,6 beziehungsweise 0,6 Prozentpunkte – ist das nicht etwas wenig für verlässliche Aussagen?
Die Ergebnisse sind statistisch signifikant. In der Sozialwissenschaft ist es häufig so, dass Unterschiede nicht riesig sind, viele Faktoren spielen bei der Wahl eine Rolle. Das ist die erste Untersuchung dieser Art und die Mittel waren begrenzt, es handelt sich um eine Masterarbeit. Das Ergebnis ist für mich aber eine Bestätigung, dass ich da an etwas dran bin. Jetzt hoffe ich, dass viele Menschen an der Arbeit ansetzen und weitermachen.
Lokaljournalismus deckt Skandale auf und erklärt komplexe Politik
Wo Lokalzeitungen fehlen, wird also mehr AfD gewählt. Wieso, welche Effekte hat ein Lokalblatt?
Vor Ort ist die Lokalzeitung nach wie vor das wichtigste Medium der Menschen, das hohes Vertrauen genießt. Lokaljournalismus ist in der Gemeinde präsent, berichtet kritisch und deckt auf, was vor Ort passiert, wenn beispielsweise das hiesige Unternehmen in zwielichtige Geschäfte verstrickt ist. Viele Skandale werden durch Lokaljournalismus aufgedeckt. Dafür muss er aber da sein und gut gemacht sein. Außerdem kann die Lokalzeitung die Unzufriedenheit vieler Menschen abfangen oder zumindest dafür sorgen, dass sie nicht bei der AfD landet. Unzufriedenheit ist gerechtfertigt, darum geht es mir nicht. Das Wichtige ist, dass eine Lokalzeitung es besser als alle anderen Medien schaffen kann, komplexe politische Entscheidungsprozesse und Zusammenhänge zu erklären.
Wie darf man sich das vorstellen?
Das Thema Heizungsgesetz und Wärmepunkte etwa wurde bundesweit wahnsinnig ideologisch aufgeladen diskutiert. Am Ende wusste niemand mehr, worum es im Kern überhaupt geht und alle fühlten sich von der Bundesregierung betrogen. Hier kann der Lokaljournalismus glänzen, denn: Er kann vor die Tür gehen und den Menschen von vor Ort erklären, wie eine Wärmepumpe funktioniert, wo sie Sinn ergibt und welche Veränderungen ein solches Gesetz ganz konkret für die Region bedeutet.
Hat guter Lokaljournalismus eine Zukunft?
Gerade in Zeiten schwindender Lokalzeitungen ist diese Studie also ein Plädoyer für den Journalismus vor Ort.
Lokaljournalismus kommt mehr denn je die wichtige Aufgabe zu, den Menschen die großen und schweren Themen konkret zu erklären. Die Lokalmedien sowie die Menschen müssen sich dieser einordnenden Rolle und Verantwortung wieder bewusst werden, dann ist guter Journalismus vor Ort meiner Meinung nach auch weiterhin möglich.