Auflösung der Linksfraktion
Was passiert, wenn die Linke ihren Fraktionsstatus verliert?
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ führt zur Auflösung der Linksfraktion. Was geschieht mit den verbleibenden Abgeordneten?
Berlin - Am Montag (23. Oktober) hat sich bestätigt, was sich schon länger abgezeichnet hatte: Sahra Wagenknecht verlässt die Linke und gründet eine eigene Partei mit dem Namen „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Mit der Neugründung möchte sie nach eigener Aussage denjenigen Menschen eine Partei bieten, die sich durch aktuelle Parteien nicht vertreten fühlen. Neben Nichtwählern könnten das vor allem Menschen sein, die bisher die AfD wählen.
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag von Bild bescheinigt der neuen Partei großes Potenzial. Würde die Partei jetzt schon zur Wahl stehen, käme sie demnach auf 12 Prozent und würde damit, knapp hinter den Grünen, fünftstärkste Kraft im Bundestag. Ganz anders sieht es mit Wagenknechts alter Partei, der Linken, aus. Diese hat schon länger mit sinkenden Umfragewerten zu kämpfen und käme aktuell auf gerade mal vier Prozent.
Bei der letzten Bundestagswahl war die Linke noch auf 4,9 Prozent gekommen. Nur durch drei gewonnene Direktmandate und die sogenannte Grundmandatsklausel hatte es die Partei trotzdem ins Parlament geschafft. Allerdings hat sie derzeit nur 38 Abgeordnete im Bundestag. Um den Status als Fraktion zu erhalten, braucht es mindestens 37 Abgeordnete. Wenn Sahra Wagenknecht also, wie angekündigt, die Fraktion zusammen mit neun weiteren Abgeordneten verlässt, bedeutet das ein vorzeitiges Ende der Linksfraktion im Bundestag.
Was ist die Grundmandasklausel?
Bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien werden auch Parteien berücksichtigt, die nicht die 5-%-Hürde (Sperrklausel) überwunden haben, aber in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Bei der Bundestagswahl 1953 sogar ein einzelner Wahlkreis. Bisher kam das in der Geschichte der Bundesrepublik vier Mal vor: 1953, 1957, 1994 und 2021.
„Bündnis Sahra Wagenknecht“ wird nicht sofort gegründet - Bis dahin bleibt die Linke eine Fraktion
Bis es so weit ist, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen. Obwohl das Lager von Sahra Wagenknecht am Montag (23. Oktober) seinen Austritt verkündet hat, wird dieser nicht sofort vollzogen. Bis das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ gegründet ist, verbleiben die Abgeordneten in der Linksfraktion. Damit soll vor allem der Jobverlust der Mitarbeitenden verhindert werden. Man handle derzeit für mehr als 100 Menschen einen Sozialplan aus, habe es aus Fraktionskreisen geheißen. Das schreibt der Spiegel. Mit der Gründung der Partei, also wahrscheinlich im Januar, muss das Ausscheiden aus der Fraktion vollzogen sein. In der Geschäftsordnung des Bundestags ist festgelegt, dass Personen konkurrierender Parteien nicht derselben Fraktion angehören können.
Was ist eine „Gruppe“ im Bundestag?
Eine Gruppe ist eine Vereinigung von Abgeordneten, die die erforderliche Mindestanzahl für den Fraktionsstatus nicht erreichen. Bisher galt in der Regel, dass mindestens fünf Abgeordnete mit ähnlichen politischen Zielen sich zu einer Gruppe zusammenschließen können. Dies wäre sowohl bei der Linken als auch dem Lager von Wagenknecht der Fall. Dazu ist jedoch die Zustimmung des Bundestages erforderlich. Eine Gruppe verfügt im parlamentarischen Betrieb über weniger Rechte als eine Fraktion, bietet aber dennoch mehr Möglichkeiten, als einzelnen Abgeordneten zur Verfügung stehen.
Die Linke hat bereits Erfahrung mit dem Gruppenformat: Die letzte Gruppe im Bundestag wurde von der PDS gebildet, die später in der Linken aufging. Bei der Bundestagswahl 1994 gewann die PDS vier Direktmandate. Obwohl sie die Fünfprozenthürde nicht erreichte, zog sie daher über die Grundmandatsklausel in den Bundestag ein.
Wahrscheinlich ist, dass sich das Lager von Wagenknecht und die verbleibenden Abgeordneten der Linksfraktion dann jeweils zu einer eigenen Gruppe zusammenschließen. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass sich mehr Gruppen bilden werden, der vorwiegende Grund für Streitigkeiten in der Linksfraktion war jedoch der Umgang mit Sahra Wagenknecht. Nach aktuellem Stand hätte die Gruppe der Linksfraktion dann 28 Abgeordnete. Die Gruppe um Wagenknecht käme auf 10 Mitglieder. Möglich wäre jedoch auch, dass die verbliebenen Abgeordneten sich weiter aufspalten: In eine Gruppe um Dietmar Bartsch und in eine andere, zu denen die sogenannten Bewegungslinken gehören – also jene, die eher dem Kurs der Parteivorsitzenden folgen.
Aus der Linksfraktion werden Gruppen gebildet - Welche Rechte haben diese im Parlament?
Welche Rechte den Gruppen dann zustehen wird, entscheidet der Bundestag im Einzelfall. Damit kommt es auf die Gespräche in den kommenden Wochen sowie die Kooperationsbereitschaft der Gruppen an. Laut dem Spiegel sind erste Vorbereitungen bereits im Gange. Bisherige Gruppen im Bundestag durften weiterhin Anträge und Gesetzentwürfe einbringen. Auch große und kleine Anfragen konnten von den Gruppenmitgliedern gestellt werden. Anders als Fraktionen durften sie aber zum Beispiel keine Zählung der anwesenden Abgeordneten verlangen, um die Beschlussfähigkeit des Parlaments festzustellen. Auch namentliche Abstimmungen konnten sie nicht verlangen, ebenso wenig wie Regierungsmitglieder zur Befragung ins Plenum zitieren.
Auch die Arbeit in den Ausschüssen wird der Linksfraktion wahrscheinlich weiterhin möglich sein. Allerdings müssten dazu die Sitze neu verteilt werden, da sich die Anzahl der Sitze nach der Größe der Fraktion richtet. Möglich wäre, so der Spiegel, dass der Bundestag festlegt, dass jede Gruppe ein Mitglied und dessen Stellvertreter in jeden Ausschuss entsenden darf. Eine weitere Möglichkeit sei die Neuverteilung der Ausschusssitze unter den entstehenden Gruppen. Welche Option sich umsetzten lasse, werde derzeit geprüft. (tpn)
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